Meseberg. Die Stimmung unter den Koalitionären bei der ersten Kabinettsklausur in Meseberg war wohl bestens. Doch gilt das auch für Inhalte?

Es dauert bei der Pressekonferenz einige Minuten, dann ringt sich die Kanzlerin doch noch eine persönliche Bemerkung ab. „Ich kann nur von später Stunde und Rotwein berichten – über Himbeergeist war ich nicht informiert. Aber der Geist war allgemein gut“, kommentiert Angela Merkel die Atmosphäre der zweitägigen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg in Brandenburg.

Sie nehme von der ersten Kabinettsklausur der neuen Regierung mit, dass der Wille zur Einigung da sei. Ihr sozialdemokratischer Vizekanzler, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, pflichtet Merkel bei: „Teambuilding gelungen. Der Rest kommt jetzt.“

Merkel und Scholz sind sich in Auftritt und Ton äußerst ähnlich, bei ihnen stimmt die Chemie ohnehin. Beide prägt ein ähnlich unaufgeregter, pragmatischer Politikstil. So versuchen dann auch am Mittwoch beide in jeweils trockenem Ton zu verkaufen, dass es in den ersten Wochen der Regierungsbildung keinen dramatischen Dissens gegeben habe.

Merkel sucht das Hickhack und das unharmonische Außenbild ihrer Truppe zu relativieren. Es werde in der Regierung immer Debatten geben. Es werde erwartet, „dass Meinungsbildungen transparent ablaufen, dass Parteien auch mit ihren Positionen erkennbar sind“. Wenn dies öffentlich werde, „bedeutet das auch, dass wir nicht alle morgens aufwachen und immer den gleichen Gedanken haben“. Es gebe hier nun mal unterschiedliche Persönlichkeiten, die „auch noch Mitglied in unterschiedlichen Parteien sind“.

Merkel und Scholz sind sichtlich um Harmonie bemüht

Sie sagt nicht, dass die Debatten im ersten Monat der schwarz-roten Regierung vor allem zwei Minister aus ihren Reihen ausgelöst haben. Die von ihr erwähnten Grundüberzeugungen schienen vor allem in der Union strittig zu sein. CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer sowie Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU hatten mit Aussagen zum Islam und zu Hartz IV sowie zu rechtsfreien Räumen in Deutschland polarisiert und bei der SPD die Gemüter erregt. Die Sozialdemokraten hatten die beiden Unionsminister aufgerufen, sich um ihre Aufgaben und nicht um Überschriften in den Medien zu sorgen.

Doch eine kleine Spitze gegen Seehofer und Spahn kommt der CDU-Chefin dann doch über die Lippen. Alle Regierungsmitglieder seien „sehr willig und freudig, die Aufgaben anzunehmen und umzusetzen“, sagt sie. „Jeder hat genug Arbeit, da bleibt nicht viel Zeit für anderes“, schiebt sie noch hinterher. „Jeder hat so sein Päckchen zu tragen.“ Der SPD-Vizekanzler lächelt bei diesen Worten vielsagend.

Die CDU-Chefin wiederum schmunzelt, als Scholz die Frage nach einem aus der SPD geforderten Kanzler-Machtwort mit dem knappen Satz abbügelt: „Alle Regierungsmitglieder sind sich einig, dass sie an Taten gemessen werden.“ Und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) meint anschließend, es bedürfe gar keiner Ansage, dass in der Groko jetzt Frieden herrschen soll: „Nicht alles ist Streit, wenn man unterschiedlicher Meinung ist.“

CSU-Mann Dobrindt warnt vor Maulkörben

Alles gut also? Wie es wirklich weitergehen dürfte, hatte zuvor CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gegenüber unserer Redaktion deutlich gemacht. „Ich rate dazu, nicht den Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und Debatten zu vermeiden.“ Wer Maulkörbe verteilen wolle, ernte den Protest der Bürger, der sich am Wahltag entlade, hatte er Richtung SPD gesagt.

Doch zumindest der Dienstag, der erste Tag der Klausur, diente dem Teambuilding. Das idyllische Schloss Meseberg nördlich von Berlin, von Schriftsteller Theodor Fontane als „Zauberschloss“ geadelt, ist dafür sehr geeignet. Es wird von der Bundesregierung seit 2007 als Gästehaus und Konferenzzentrum genutzt und zählt zu den schönsten Barockbauten Brandenburgs.

So traf sich das vierte Kabinett Merkel am Dienstagabend dann auch im großen Garten hinter dem Schloss zu Gesprächen, trank Wein, aß Sellerie-Schnitzel von Kanzlerkoch Ulrich Kerz. Und machte neue Bekanntschaften, von 15 Ministern sind immerhin 13 neu auf ihren Posten. Horst Seehofer etwa freute sich zum Beispiel auf die Bekanntschaften mit den neuen SPD-Ministern, mit denen es vor der Regierung keine Anknüpfungspunkte gegeben hätte. CSU-Staatsministerin Dorothee Bär, zuständig für Digitalisierung, gelang es, die Kanzlerin für ein Selfie vor einem Prunkbild zu gewinnen und damit Grüße an eine Stiftung für digitale Spiele zu senden.

Ältere Minister loben am Mittwoch, dass der Ton auf einer Kabinettsklausur noch nie so sachlich und frei von „persönlichen Profilneurosen“ gewesen sei. Bis um halb vier morgens hielten einige der Anwesenden dem Vernehmen nach durch.

Inhaltliche Ergebnisse gibt es kaum

Inhaltlich blieben die Ergebnisse der Klausurtagung jedoch recht dünn. Merkel und Scholz bieten am Mittwoch keine wegweisenden Beschlüsse. Das Kabinett billigte die Verlängerung von zwei Bundeswehreinsätzen. Die schon in der vergangenen großen Koalition zugesicherte Vollbeschäftigung bis 2025 soll wieder erreicht werden, eine Brücke den Übergang von Teilzeit zurück auf eine Vollzeitstelle erleichtern. Die Grenzkontrollen zu Österreich sollen vorerst bleiben.

Doch bei den drohenden Diesel-Fahrverboten, einem Problem, das vielen Bürgern unter den Nägeln brennt, bleibt die Kanzlerin vage. Sie äußert sich zu umfangreichen technischen Nachrüstungen von Dieselfahrzeugen skeptisch. Diese seien „relativ kostenintensiv“. Nur so viel: Die Regierung habe „ganz klare Erwartungen“ an die Autoindustrie, die „erkennbar gravierende Fehler“ gemacht habe. „Dafür kann weder der Kunde geradestehen noch der Steuerzahler, sondern das muss so weit wie möglich von der Automobilindus­trie wieder in Ordnung gebracht werden.“ CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer war bereits vorgeprescht und hatte Hardware-Nachrüstungen für Diesel-Autos ausgeschlossen

Und während US-Präsident Donald Trump Russland via Twitter mit schönen, neuen und smarten Raketen in Syrien droht, bleibt die deutsche Rolle in dem eskalierenden Konflikt bisher unklar. Merkel will sich nicht festlegen lassen, ob sie sich hinter einen Angriff der USA oder Frankreichs stellen würde. Nur dass am 2. Mai der Bundeshaushalt für das laufende Jahr ohne neue Schulden im Kabinett beschlossen werden soll, verkündet Merkel.

Kanzlerin und Vizekanzler waren sich in der Deutung der Tagung sehr einig: Aufgabe sei die Teambildung gewesen. „Das Ziel war, sich gegenseitig kennenzulernen, Arbeitsfähigkeit herzustellen.“ Scholz sekundiert etwas schmallippig, die ganze Vorhabenliste stehe ja im 177-seitigen Koalitionsvertrag. „Die Koalitionsverhandlungen sind auch abgeschlossen. Das ist die Vorhabenplanung für die nächsten Jahre. Und die einzelnen Ressortchefinnen und Ressortchefs machen sich jetzt an die Arbeit, um das Stück für Stück umzusetzen.“

Die Opposition zerpflückt die Klausurtagung der Regierung

Der Opposition jedenfalls ist das zu wenig: In Meseberg habe ein zutiefst zerstrittenes Bundeskabinett versucht, sich gegenseitig zu therapieren, kritisiert etwa Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter.

FDP-Chef Christian Lindner zieht ebenfalls ein negatives Fazit: „Die Bilanz ist: Außer Spesen nichts gewesen“, sagte Lindner. Die Reibereien innerhalb der Koalition aus Union und SPD schienen eher zuzunehmen.

„Die große Koalition streitet, und sie präsentiert keine Antworten auf die Fragen, die das Land und die Menschen bewegen“, kritisiert er.