Washington. Beim „March für Our Lives“ protestieren in den USA Hunderttausende gegen Waffengewalt. Mit der Regierung gehen sie hart ins Gericht.

Cameron Kasky ist das schlotternde Nervenkostüm anzusehen, als er um kurz nach zwölf ans Mikrofon auf die Bühne in der Nähe des Kapitols in Washington tritt. Eine solche Menschenmenge hat der 17-Jährige, der das Schul-Massaker an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland/Florida vor sechs Wochen überlebt hat und seither eines der dominierenden Gesichter der „Nie wieder“-Bewegung ist, noch nie vor sich gehabt.

300.000, vielleicht 400.000 Menschen, so schätzt ein Polizist, drängen sich dicht an dicht im strahlenden Vorfrühlings-Sonnenschein auf der Pennsylvania Avenue nahe des Weißen Hauses beim „Marc for Our Lives“ – beim „Marsch für unsere Leben“.

Und Kasky stimmt sie ein auf das, was sich in den nächsten drei Stunden in einer zu Herzen gehenden Mischung aus Predigt, Standpauke, Pop-Konzert, tränenreicher Zeugenschaft und zornigem Appell in der amerikanischen Hauptstadt ereignen sollte: „Willkommen zur Revolution. Wir sind der Wandel!“.

Klare Botschaft an Donald Trump und die Regierung

Die 17 Toten von Parkland, sagt der schmächtige Junge, „werden das Land verändern“. Volksvertretern und Regierenden, die weiter das hohe Lied der Waffen-Lobby NRA singen und strengere Gesetze verhindern, prophezeit Kasky das baldige politische Ableben. „Entweder ihr repräsentiert das Volk oder ihr seid raus. Die Wähler werden kommen.“ Umgehend antwortet die kreischende Menge mit dem Schlachtruf, der noch oft an diesem Samstag durch das Regierungsviertel hallen sollte: „Wählt sie ab! Wählt sie ab!“ Wählt sie ab!“.

„March for Our Lives“: Massendemo gegen Waffen in den USA

Wenige Wochen nach dem Schulmassaker in Florida haben sich Abertausende überwiegend junge Menschen in Washington zu einem „March For Our Lives“ („Marsch für unsere Leben“) versammelt. Auch Popstar Miley Cyrus nahm an der Demonstration teil. Sie hielt bei ihrem Auftritt ein Schild mit der Aufschrift „Never Again“ („Nie wieder“) in die Höhe.
Wenige Wochen nach dem Schulmassaker in Florida haben sich Abertausende überwiegend junge Menschen in Washington zu einem „March For Our Lives“ („Marsch für unsere Leben“) versammelt. Auch Popstar Miley Cyrus nahm an der Demonstration teil. Sie hielt bei ihrem Auftritt ein Schild mit der Aufschrift „Never Again“ („Nie wieder“) in die Höhe. © REUTERS | AARON P. BERNSTEIN
Jennifer Hudson sang ihren Protest zusammen mit einem Gospelchor in die Menge.
Jennifer Hudson sang ihren Protest zusammen mit einem Gospelchor in die Menge. © REUTERS | JONATHAN ERNST
Mehrere Künstler und betroffene Schüler aus Parkland kamen auf die Bühne bei der Demonstration in Washington.
Mehrere Künstler und betroffene Schüler aus Parkland kamen auf die Bühne bei der Demonstration in Washington. © REUTERS | AARON P. BERNSTEIN
Ariana Grande hatte bei ihrem Auftritt keine Berührungsängste.
Ariana Grande hatte bei ihrem Auftritt keine Berührungsängste. © Getty Images | Chip Somodevilla
Mehrere Hunderttausend Demonstranten schlossen sich dem „March for Our Lives“ an.
Mehrere Hunderttausend Demonstranten schlossen sich dem „March for Our Lives“ an. © REUTERS | AARON P. BERNSTEIN
David Hogg, ein Schüler der vom Amoklauf betroffenen Schule Parkland reckt die Faust in die Luft.
David Hogg, ein Schüler der vom Amoklauf betroffenen Schule Parkland reckt die Faust in die Luft. © REUTERS | AARON P. BERNSTEIN
Die Demonstranten machen ihrer Empörung Luft und fordern striktere US-Waffengesetze.
Die Demonstranten machen ihrer Empörung Luft und fordern striktere US-Waffengesetze. © REUTERS | JONATHAN ERNST
Initiiert wurde die Großkundgebung von Überlebenden der Schießerei an der Marjory Stoneman Douglas High School in Portland, Florida.
Initiiert wurde die Großkundgebung von Überlebenden der Schießerei an der Marjory Stoneman Douglas High School in Portland, Florida. © REUTERS | LEAH MILLIS
Sängerin Demi Lovato trat beim
Sängerin Demi Lovato trat beim"March for Our Lives" in Washington auf. © REUTERS | AARON P. BERNSTEIN
Eine 17 in einem Herz ist auf das T-Shirt gedruckt, das eine Schülerin der betroffenen Schule mit in die Hauptstadt gebracht hat. Die Zahl steht für die 17 Opfer des Schulmassakers Mitte Februar.
Eine 17 in einem Herz ist auf das T-Shirt gedruckt, das eine Schülerin der betroffenen Schule mit in die Hauptstadt gebracht hat. Die Zahl steht für die 17 Opfer des Schulmassakers Mitte Februar. © REUTERS | JONATHAN ERNST
„Keine toten Kinder mehr“: In den USA starben in den vergangenen Jahren immer wieder Kinder und Jugendliche bei Schießereien an Schulen. Konsequenzen gab es nicht.
„Keine toten Kinder mehr“: In den USA starben in den vergangenen Jahren immer wieder Kinder und Jugendliche bei Schießereien an Schulen. Konsequenzen gab es nicht. © REUTERS | LEAH MILLIS
Forderungen der Schüler aus Parkland sind unter anderem ein völliges Verbot von Sturmgewehren in den Händen von Zivilisten und eine generelle Heraufsetzung des Alters bei Waffenkäufen auf 21 Jahre.
Forderungen der Schüler aus Parkland sind unter anderem ein völliges Verbot von Sturmgewehren in den Händen von Zivilisten und eine generelle Heraufsetzung des Alters bei Waffenkäufen auf 21 Jahre. © REUTERS | SHANNON STAPLETON
„Wir marschieren für unser Leben, damit zukünftige Schüler nicht um ihres rennen müssen“, steht auf dem Plakat dieser Demonstrantin.
„Wir marschieren für unser Leben, damit zukünftige Schüler nicht um ihres rennen müssen“, steht auf dem Plakat dieser Demonstrantin. © REUTERS | JONATHAN ERNST
Insbesondere die mächtige US-Waffenlobby NRA wehrt sich gegen striktere Gesetze.
Insbesondere die mächtige US-Waffenlobby NRA wehrt sich gegen striktere Gesetze. © REUTERS | AARON P. BERNSTEIN
Auch in anderen US-Städten gingen die Menschen auf die Straße. In Miami hält ein Junge ein Schild mit der Aufschrift „Nicht schießen, ich will nur lernen.“
Auch in anderen US-Städten gingen die Menschen auf die Straße. In Miami hält ein Junge ein Schild mit der Aufschrift „Nicht schießen, ich will nur lernen.“ © REUTERS | JAVIER GALEANO
In New York zeigten ganz in weiß gekleidete Protestierende die Fotos von Opfern von Schulmassakern.
In New York zeigten ganz in weiß gekleidete Protestierende die Fotos von Opfern von Schulmassakern. © REUTERS | SHANNON STAPLETON
Auch Sir Paul McCartney nahm in New York an der Demonstration teil.
Auch Sir Paul McCartney nahm in New York an der Demonstration teil. © Getty Images | Spencer Platt
In Houston gab es ebenfalls einen „Marsch für unsere Leben“.
In Houston gab es ebenfalls einen „Marsch für unsere Leben“. © REUTERS | LOREN ELLIOTT
Auch in Parkland selber versammelten sich Tausende zu einer Kundgebung. Hier hatten die überlebenden Schüler ihre Proteste gestartet, die nun weit über die USA hinaus Widerhall finden.
Auch in Parkland selber versammelten sich Tausende zu einer Kundgebung. Hier hatten die überlebenden Schüler ihre Proteste gestartet, die nun weit über die USA hinaus Widerhall finden. © dpa | Joe Skipper
Eine Solidaritätskundgebung gab es in der australischen Stadt Sydney.
Eine Solidaritätskundgebung gab es in der australischen Stadt Sydney. © dpa | Danny Casey
In London versammelten sich Menschen vor der amerikanischen Botschaft.
In London versammelten sich Menschen vor der amerikanischen Botschaft. © dpa | Stefan Rousseau
Auch in Brasilien zeigen Menschen ihre Solidarität mit den Demonstranten in den USA.
Auch in Brasilien zeigen Menschen ihre Solidarität mit den Demonstranten in den USA. © REUTERS | NACHO DOCE
In Berlin kamen etwa 150 Menschen zum Protest vors Brandenburger Tor.
In Berlin kamen etwa 150 Menschen zum Protest vors Brandenburger Tor. © Getty Images | Adam Berry
Eine klare Botschaft sendet diese verfremdete US-Flagge einer Demonstrantin in Berlin.
Eine klare Botschaft sendet diese verfremdete US-Flagge einer Demonstrantin in Berlin. © Getty Images | Sean Gallup
In Hamburg protestierten rund hundert Menschen vor dem Rathaus, beispielsweise mit Bildern von in den USA bei Schulmassakern Getöteter.
In Hamburg protestierten rund hundert Menschen vor dem Rathaus, beispielsweise mit Bildern von in den USA bei Schulmassakern Getöteter. © dpa | Markus Scholz
1/25

Womit der größte Unterschied zu früheren Aufwallungen nach Waffen-Tragödien im Land der unbegrenzten Möglichkeiten markiert wäre. Die Kids von heute – die zeitgleich an hunderten anderen Orten zwischen Los Angeles und New York auf die Straßen gingen – sind viele. Sie sind artikuliert und lebenserfahren. Und sie versprechen einen langen Atem. „Das hier ist der Beginn eines Marathons“, sagt der 17-jährige Jaden Crocker aus Baltimore/Maryland unserer Redaktion, „wir wollen leben und wir werden nicht eher Ruhe geben, bis die Politiker endlich reagiert haben.“

Dass am Ende nur der Gang an die Wahlurne zählt, ist allen jungen Rednerinnen und Rednern klar, die – nur unterbrochen von kleinen Gesangseinlagen von Stars wie Miley Cyrus, Demi Lovato, Jennifer Hudson und Ariana Grande, unter Tränen und über ihre Erfahrungen mit Waffen berichten und kämpferisch fordern: „Nie wieder!“

Trump beugte sich Einfluss der Waffenlobby

Emma González (18), der weibliche Star der juvenilen Protest-Bewegung, die mittels Geschick und Internet im Handumdrehen ein politischer Faktor geworden ist, wünscht sich darum, dass „sich ganz viele von uns in die Wähler-Register eintragen“. Wenn es das Alter hergibt, für die Zwischenwahlen im Kongress im November. „Sonst für 2020.“

Mit der Macht ihrer Stimme(n) wollen die Demonstranten Abgeordnete nach Washington entsenden, die Sturmgewehre verbieten, wie sie der Mörder von Parkland (19) benutzt hat. Ebenso überdimensionierte Munitions-Magazine. Generell fordern sie die Heraufsetzung der Altersgrenze beim Kauf von Waffen von 18 auf 21 Jahre. Alles Dinge, die der republikanisch beherrschte Kongress und auch Präsident Trump, der in sein Winter-Domizil Mar-a-Lago geflüchtet war, nicht anpacken wollen. Weil die NRA (angeblich) dem Groll von fünf Millionen Mitgliedern droht.

Die Initiatoren des „March For Our Lives“

Überlebende des jüngsten Schulmassakers in Florida haben eine Großdemonstration organisiert. Sie steht unter dem Motto „Marsch für unsere Leben“. Eine der Initiatoren ist Emma Gonzalez.
Überlebende des jüngsten Schulmassakers in Florida haben eine Großdemonstration organisiert. Sie steht unter dem Motto „Marsch für unsere Leben“. Eine der Initiatoren ist Emma Gonzalez. © dpa | John Mccall
Die Schülerin der Parkland High School wurde schnell zu einem der Gesichter des Protests der Überlebenden.
Die Schülerin der Parkland High School wurde schnell zu einem der Gesichter des Protests der Überlebenden. © REUTERS | JONATHAN DRAKE
Auch Cameron Kasky (links) und Jaclyn Corin sind Schüler der betroffenen Marjorie Stoneman Douglas High School in Parkland und zu Wortführern des Protests geworden.
Auch Cameron Kasky (links) und Jaclyn Corin sind Schüler der betroffenen Marjorie Stoneman Douglas High School in Parkland und zu Wortführern des Protests geworden. © REUTERS | JOE SKIPPER
Cameron Kasky spricht in Florida zu einigen Demonstranten. Zu dem Marsch in Washington an diesem Samstag werden Hunderttausende erwartet.
Cameron Kasky spricht in Florida zu einigen Demonstranten. Zu dem Marsch in Washington an diesem Samstag werden Hunderttausende erwartet. © REUTERS | JOE SKIPPER
Jaclyn Corin bei einem runden Tisch in Washington. Sie setzt sich - wie ihre Mitstreiter - für strengere Waffengesetze und gegen Waffengewalt ein.
Jaclyn Corin bei einem runden Tisch in Washington. Sie setzt sich - wie ihre Mitstreiter - für strengere Waffengesetze und gegen Waffengewalt ein. © Getty Images for SiriusXM | Larry French
Neben Cameron Kasky, Emma Gonzalez und Jaclyn Corin gehören auch Alex Wind (2. von links) und David Hogg (2. von rechts) zu den Initiatoren der Großdemonstration.
Neben Cameron Kasky, Emma Gonzalez und Jaclyn Corin gehören auch Alex Wind (2. von links) und David Hogg (2. von rechts) zu den Initiatoren der Großdemonstration. © Getty Images for SiriusXM | Larry French
Der Überlebende David Hogg spricht im Vorfeld des  „March for Our Lives“ bei einer Kundgebung. Weltweit sollen am Samstag Ableger-Märsche stattfinden, auch in Deutschland.
Der Überlebende David Hogg spricht im Vorfeld des „March for Our Lives“ bei einer Kundgebung. Weltweit sollen am Samstag Ableger-Märsche stattfinden, auch in Deutschland. © REUTERS | ERIC THAYER
„Wie viele noch?“ steht auf einem Plakat hinter David Hogg. Das ist eine der Fragen, die die Jugendlichen US-Politikern stellen.
„Wie viele noch?“ steht auf einem Plakat hinter David Hogg. Das ist eine der Fragen, die die Jugendlichen US-Politikern stellen. © REUTERS | JONATHAN DRAKE
Die Jugendlichen, hier Alex Wind, wollen nicht hinnehmen, dass immer wieder neue Schulmassaker die USA erschüttern, ohne dass das Konsequenzen hat.
Die Jugendlichen, hier Alex Wind, wollen nicht hinnehmen, dass immer wieder neue Schulmassaker die USA erschüttern, ohne dass das Konsequenzen hat. © REUTERS | ERIC THAYER
Die Schüler Emma Gonzalez, David Hogg, Cameron Kasky and Alex Wind (von links) nehmen an einer Podiumsdiskussion über Waffengewalt teil.
Die Schüler Emma Gonzalez, David Hogg, Cameron Kasky and Alex Wind (von links) nehmen an einer Podiumsdiskussion über Waffengewalt teil. © dpa | Steven Senne
Zeichen der Trauer: Am 14. Februar hatte der 19-jährige Nikolas Cruz an der Marjory Stoneman Douglas Highschool um sich geschossen.
Zeichen der Trauer: Am 14. Februar hatte der 19-jährige Nikolas Cruz an der Marjory Stoneman Douglas Highschool um sich geschossen. © REUTERS | STRINGER
14 Jugendliche und drei Erwachsene tötete der Täter bei dem Massaker.
14 Jugendliche und drei Erwachsene tötete der Täter bei dem Massaker. © REUTERS | STRINGER
1/12

„Das hier ist ein Erweckungserlebnis“

Argumente, die Linda Calderona für sich „durchschaut“ und „abgehakt“ hat. Die 17-Jährige ist elf Stunden lang aus Kentucky im Bus gefahren, um zu zeigen, dass „meine Generation weder gedankenfaul noch dumm ist“. Sie beruft sich auf Umfragen, wonach eine satte Mehrheit der Amerikaner für strikte Hintergrund-Checks beim Kauf von Waffen ist und einem Verbot von halbautomatischen Schnellfeuergewehren keine Träne nachweinen würde. „Präsident Trump sollte das nicht ignorieren. Meine Generation bittet nicht um schärfere Gesetze. Wir verlangen sie.“

An die Adresse der Abgeordneten richtet sie eine klare Warnung: „Macht euch darauf gefasst, wir wählen euch raus.“ Gwendolyn Powers, eine Psychologin aus Bethesda, die mit ihren Töchtern (14 und 12) zur Demonstration gekommen ist, war am Anfang skeptisch. Nach zweieinhalb Stunden „Marsch für das Leben“ laufen ihr die Tränen übers Gesicht. „Das hier ist ein Erweckungserlebnis.“

In dem Moment singt Jennifer Hudson gerade den alten Bob Dylan-Hit: „The Times They are A Changing.“ Die Zeiten, sie ändern sich...