Hunderttausende lehnen sich gegen US-Waffengesetze auf
•
Lesezeit: 4 Minuten
Von Dirk Hautkapp
Washington. Beim „March für Our Lives“ protestieren in den USA Hunderttausende gegen Waffengewalt. Mit der Regierung gehen sie hart ins Gericht.
Cameron Kasky ist das schlotternde Nervenkostüm anzusehen, als er um kurz nach zwölf ans Mikrofon auf die Bühne in der Nähe des Kapitols in Washington tritt. Eine solche Menschenmenge hat der 17-Jährige, der das Schul-Massaker an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland/Florida vor sechs Wochen überlebt hat und seither eines der dominierenden Gesichter der „Nie wieder“-Bewegung ist, noch nie vor sich gehabt.
300.000, vielleicht 400.000 Menschen, so schätzt ein Polizist, drängen sich dicht an dicht im strahlenden Vorfrühlings-Sonnenschein auf der Pennsylvania Avenue nahe des Weißen Hauses beim „Marc for Our Lives“ – beim „Marsch für unsere Leben“.
Und Kasky stimmt sie ein auf das, was sich in den nächsten drei Stunden in einer zu Herzen gehenden Mischung aus Predigt, Standpauke, Pop-Konzert, tränenreicher Zeugenschaft und zornigem Appell in der amerikanischen Hauptstadt ereignen sollte: „Willkommen zur Revolution. Wir sind der Wandel!“.
Klare Botschaft an Donald Trump und die Regierung
Die 17 Toten von Parkland, sagt der schmächtige Junge, „werden das Land verändern“. Volksvertretern und Regierenden, die weiter das hohe Lied der Waffen-Lobby NRA singen und strengere Gesetze verhindern, prophezeit Kasky das baldige politische Ableben. „Entweder ihr repräsentiert das Volk oder ihr seid raus. Die Wähler werden kommen.“ Umgehend antwortet die kreischende Menge mit dem Schlachtruf, der noch oft an diesem Samstag durch das Regierungsviertel hallen sollte: „Wählt sie ab! Wählt sie ab!“ Wählt sie ab!“.
„March for Our Lives“: Massendemo gegen Waffen in den USA
1/25
Womit der größte Unterschied zu früheren Aufwallungen nach Waffen-Tragödien im Land der unbegrenzten Möglichkeiten markiert wäre. Die Kids von heute – die zeitgleich an hunderten anderen Orten zwischen Los Angeles und New York auf die Straßen gingen – sind viele. Sie sind artikuliert und lebenserfahren. Und sie versprechen einen langen Atem. „Das hier ist der Beginn eines Marathons“, sagt der 17-jährige Jaden Crocker aus Baltimore/Maryland unserer Redaktion, „wir wollen leben und wir werden nicht eher Ruhe geben, bis die Politiker endlich reagiert haben.“
Dass am Ende nur der Gang an die Wahlurne zählt, ist allen jungen Rednerinnen und Rednern klar, die – nur unterbrochen von kleinen Gesangseinlagen von Stars wie Miley Cyrus, Demi Lovato, Jennifer Hudson und Ariana Grande, unter Tränen und über ihre Erfahrungen mit Waffen berichten und kämpferisch fordern: „Nie wieder!“
Trump beugte sich Einfluss der Waffenlobby
Emma González (18), der weibliche Star der juvenilen Protest-Bewegung, die mittels Geschick und Internet im Handumdrehen ein politischer Faktor geworden ist, wünscht sich darum, dass „sich ganz viele von uns in die Wähler-Register eintragen“. Wenn es das Alter hergibt, für die Zwischenwahlen im Kongress im November. „Sonst für 2020.“
Mit der Macht ihrer Stimme(n) wollen die Demonstranten Abgeordnete nach Washington entsenden, die Sturmgewehre verbieten, wie sie der Mörder von Parkland (19) benutzt hat. Ebenso überdimensionierte Munitions-Magazine. Generell fordern sie die Heraufsetzung der Altersgrenze beim Kauf von Waffen von 18 auf 21 Jahre. Alles Dinge, die der republikanisch beherrschte Kongress und auch Präsident Trump, der in sein Winter-Domizil Mar-a-Lago geflüchtet war, nicht anpacken wollen. Weil die NRA (angeblich) dem Groll von fünf Millionen Mitgliedern droht.
Die Initiatoren des „March For Our Lives“
1/12
„Das hier ist ein Erweckungserlebnis“
Argumente, die Linda Calderona für sich „durchschaut“ und „abgehakt“ hat. Die 17-Jährige ist elf Stunden lang aus Kentucky im Bus gefahren, um zu zeigen, dass „meine Generation weder gedankenfaul noch dumm ist“. Sie beruft sich auf Umfragen, wonach eine satte Mehrheit der Amerikaner für strikte Hintergrund-Checks beim Kauf von Waffen ist und einem Verbot von halbautomatischen Schnellfeuergewehren keine Träne nachweinen würde. „Präsident Trump sollte das nicht ignorieren. Meine Generation bittet nicht um schärfere Gesetze. Wir verlangen sie.“
An die Adresse der Abgeordneten richtet sie eine klare Warnung: „Macht euch darauf gefasst, wir wählen euch raus.“ Gwendolyn Powers, eine Psychologin aus Bethesda, die mit ihren Töchtern (14 und 12) zur Demonstration gekommen ist, war am Anfang skeptisch. Nach zweieinhalb Stunden „Marsch für das Leben“ laufen ihr die Tränen übers Gesicht. „Das hier ist ein Erweckungserlebnis.“
In dem Moment singt Jennifer Hudson gerade den alten Bob Dylan-Hit: „The Times They are A Changing.“ Die Zeiten, sie ändern sich...
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
Hinter den Kulissen der Politik - meinungsstark, exklusiv, relevant.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.