Berlin. Mit dem Anschlag in Carcassonne ist der Terror nach Europa zurückgekehrt. Die Politik muss weiter wachsam sein – auf mehreren Ebenen.

Es hatte sich im Westen ein Gefühl trügerischer Sicherheit breitgemacht. Die Fakten schienen dies zu bestätigen. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ist in Syrien und im Irak weitgehend besiegt. Reste des Schreckens-Kalifats existieren nur noch in kleinen Rumpfgebieten. Mit der schrumpfenden Machtbasis – so die landläufige Meinung – hätten die Islamisten ihre Propaganda-Wirkung eingebüßt.

Diese Annahme hat sich mit dem Terroranschlag am Freitag im südfranzösischen Carcassonne und Trèbes als Fehlkalkulation erwiesen. Der Täter, ein 26-jähriger Franzose marokkanischer Herkunft, hat Polizisten angegriffen, einen Supermarkt überfallen und drei Menschen getötet. Er hat sich als „Soldat des IS“ bezeichnet. Mit einer Geiselnahme wollte er angeblich Salah Abdeslam freipressen, einen der Hauptverdächtigen der Attentate am 13. November 2015 in Paris.

Attentäter von Carcassonne war wegen kleinerer Delikte bekannt

Damit ist der Terror zurück. Was in Südfrankreich passierte, hätte sich aber auch in Deutschland oder Großbritannien ereignen können. Es handelt sich nicht mehr um Operationen, die im Stil einer militärischen Kommando-Aktion durchorganisiert sind wie die Anschläge in Paris 2015 oder in Brüssel im März 2016. Das neue Terror-Risiko geht von Einzeltätern aus, die nach außen nicht besonders auffällig auftreten, sich aber jederzeit schnell radikalisieren können.

Zwei bewaffnete Polizisten in der Nähe des Supermarktes, in dem sich die Geiselnahme abspielte.
Zwei bewaffnete Polizisten in der Nähe des Supermarktes, in dem sich die Geiselnahme abspielte. © dpa | Emilio Morenatti

Der Attentäter von Carcassonne und Trèbes war den Behörden zwar durch kleinere Delikte bekannt. Und dennoch schien die Staatsmacht hilflos, wie der französische Innenminister, Gérard Collomb, einräumte: „Wir haben ihn beobachtet. Wir dachten, dass es keine Radikalisierung gibt. Er ist plötzlich zur Tat geschritten, obwohl er schon überwacht wurde.“ In gewisser Weise sind die „einsamen Wölfe“ gefährlicher als die einst von einer IS-Zentrale im syrischen Rakka ferngesteuerten Terror-Trupps in Europas Städten. Derlei Einsätze erfordern mehr Kommunikation durch persönliche Kontakte, Telefon, Internet. Ein solches System ist schlagkräftiger, aber auch verwundbarer, weil es mehr Spuren hinterlässt.

Einzeltäter können hingegen in den dunklen Winkeln einer Großstadt abtauchen. Sie sind schwerer zu entdecken. Das gilt auch für ehemalige IS-Kämpfer, die in ihre europäischen Heimatländer zurückkehren. Oft kommen ihre Ehepartner und Kinder mit, die im Nahen Osten durch Islamisten indok­triniert wurden.

Radikalisierung immer öfter im Internet

Und dennoch gibt es für die westlichen Gesellschaften Hebel, sich zu schützen. Die Radikalisierung der Einzeltäter findet oft im Internet statt, wo der IS unverändert sein Unwesen treibt. Zur Vorbeugung gegen diese Art von Cyber-Kriminalität müssen Regierungen noch mehr investieren. Der Datenaustausch von Geheimdiensten, Polizeistellen und Kriminalämtern funktioniert zwar besser, aber noch nicht gut genug. Fachleute klagen immer wieder, dass es in der länderübergreifenden Polizeibehörde Europol beim Abgleich von Informationen über mögliche Täter nach wie vor hapert.

Darüber hinaus sollten die Kommunen mehr den Kontakt zu muslimischen Gemeinden suchen. Familien, Freunde, Geistliche bekommen oft früher mit, ob sich jemand verdächtig verhält oder aus der Gemeinschaft abdriftet. Über den Attentäter von Carcassonne wussten die Behörden zu wenig, wie der französische Innenminister zugeben musste.

Auch wenn rechte Populisten das immer wieder behaupten: Im Kampf gegen den Terror der „einsamen Wölfe“ gibt es kein Patentrezept. Aber die Gefahr lässt sich begrenzen, wenn man die ganze Bandbreite der möglichen Mittel anwendet. Es geht um möglichst hohe Risiko-Minimierung.