erfurt. Nach dem Sprengstoff-Fund in Erfurt führt die Spur in die linke Szene. Die CDU wirft dem linken Regierungschef politische Einflussnahme vor.

Ein Nachbar war stutzig geworden. Die grünen Säcke, Stickstoff-Dünger. 75 Kilogramm. Was will der Mann aus dem Haus nebenan mit so viel Dünger? Der Nachbar warnt die Polizei. Vorsichtshalber. Eine Woche später, am vergangenen Dienstag, rücken Kriminalbeamte und Spezialeinheiten in Thüringen in die kleinen Orte Rudolstadt und Uhlstädt-Kirchhasel aus, durchsuchen zwei Einfamilienhäuser und zwei Mehrfamilienhäuser. Die Polizisten entdecken nicht nur die drei Säcke Pflanzendünger, sondern auch zwölf Kilo Chemikalien, acht Flaschen Buttersäure, dazu Calciumcarbid. Die Polizisten stellen laut Einsatzbericht zudem Material für ein improvisiertes Labor sicher, auch eine Schreckschusswaffe, Pfeilspitzen und Kartuschen-Munition. Und sie entdecken wenige Gramm Erythritoltetranitrat (ETN), ein Sprengstoff.

Im Fokus der Ermittler stehen nun zwei Personen: ein 31 Jahre alter und ein 25 Jahre alter Mann. Die beiden Tatverdächtigen haben in ersten Vernehmungen gestanden, dass ihnen die Chemikalien gehören. Offenbar haben sie auch ausgesagt, selbst gebastelten Sprengstoff gezündet zu haben. Doch sie weisen von sich, damit illegale Aktionen geplant zu haben. Oder gar einen politischen Anschlag. „Totaler Humbug“, sagte einer von ihnen. Für die Ermittler ist brisant: Der Beschuldigte hat offenbar Verbindungen in die linke Szene.

Landtag diskutiert hitzig über den Sprengstoff-Fund

Jetzt, eine Woche nach der Razzia, gibt die ermittelnde Staatsanwaltschaft Gera auf Nachfrage an: „Es gibt bisher keine Hinweise auf ein politisches Motiv bei den Tatverdächtigen.“ Zudem werde derzeit über die Razzien „viel heiße Luft“ verbreitet. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft warnt vor voreiligen Schlüssen. Der Vorwurf bisher: Vorbereitung eines Explosionsverbrechens. Keiner der Beschuldigten ist in Untersuchungshaft.

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Doch der Fall sorgt für eine hitzige Debatte. Einer der Tatverdächtigen war Mitglied im Bündnis für „Zivilcourage und Menschenrechte“ im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. 2016 hatte das Bündnis für seinen Einsatz für Demokratie in der Region sogar einen Preis bekommen. Der 31-Jährige, heute tatverdächtig, nahm die Auszeichnung damals entgegen. Vertreter des Bündnisses distanzierten sich nach Bekanntwerden des Sprengstoff-Fundes klar von gewalttätigen Aktionen. Der Tatverdächtige, bis vergangenen Mittwoch als Sprecher auf der Webseite gelistet, steht nun nicht mehr dort.

Ein Foto zeigt ihn zudem auf einer Demonstration gegen die AfD. Auf dem Foto halten junge Menschen eine Fahne hoch: „Antifaschistische Aktion“. Unklar ist, welche Rolle der nun Beschuldigte in der linken Szene spielte. Über seine Absichten mit dem Sprengstoff ermittelt nun der Thüringer Staatsschutz.

Ermittler fanden keine Hinweise auf Anschlagspläne

Bei der Razzia in den Wohnungen fanden die Ermittler nach Information unserer Redaktion keine Hinweise auf Anschlagspläne. Auch die Auswertung von Computer und Handy der Beschuldigten ergab bisher keine Hinweise etwa auf die Vorbereitung einer terroristischen Tat. Die Auswertungen, auch das hebt die Staatsanwaltschaft hervor, würden jedoch noch andauern.

Übel riechende Flüssigkeiten wie Buttersäure hatten Neonazis und militante Linke in der Vergangenheit mehrfach eingesetzt, um politische Gegner zu attackieren. Immer wieder kommt es auch zu gewalttätigen Aktionen. Gerade erst wurden Mitglieder einer rechtsterroristischen Gruppe in Dresden zu langen Haftstrafen verurteilt. Sie hantierten mit selbst gebastelten Sprengkörpern und setzten diese gegen Flüchtlingsunterkünfte ein.

Gegenüber einem Reporter der „Welt“ gibt der nun Beschuldigte an, dass die Buttersäure für den Garten seiner Mutter gewesen sei. Als Mittel gegen Maulwürfe. Der zweite Tatverdächtige sagt, er sei unpolitisch. Sie hätten die Sprengkörper weit abseits von Ortschaften getestet. Sie hätten „den Kick“ der Druckwelle gebraucht. „Das war absolut krass.“

Ramelow weist Vorwurf fehlerhafter Ermittlungen zurück

Was an den Vorwürfen dran ist, müssen nun die Ermittlungen zeigen. Aufsehen erregt der Fall auch durch die politische Debatte in Thüringen. Dort regiert Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Die CDU-Opposition wirft der rot-rot-grünen Landesregierung vor, Fakten zu dem Fall zu verschweigen. So gingen nach Informationen unserer Redaktion die Ermittler zunächst davon aus, es handele sich bei den Sprengstoff-Bastlern um „Kleinkriminelle“. Auch weil der jüngere mutmaßliche Täter der Polizei durch kleinere, aber zahlreiche Delikte bekannt war. Erst die weiteren Ermittlungen schärften offenbar den Blick der Polizisten für ein mögliches politisches Motiv.

Thüringens Ministerpräsident Ramelow wies den Vorwurf fehlerhafter Ermittlungen zurück. Es sei „Unsinn“, dass seine linksorientierte Regierung Einfluss auf das Verfahren in diesem Fall genommen habe, sagte er dem „Tagesspiegel“. „Alles, was im Rechtsstaat notwendig ist, ist passiert.“ Niemand habe das Interesse, irgendetwas unter den Tisch zu kehren.