Paris. Nicolas Sarkozy soll 50 Millionen Euro an Wahlkampfspenden aus Libyen erhalten haben. Bei einer Verurteilung drohen fünf Jahre Haft.

Von den Justizbeamten seines Landes hat Nicolas Sarkozy noch nie eine besonders hohe Meinung gehabt. Und umgekehrt gilt, dass die „Erbsenhirne“, wie er die Staatsdiener einmal titulierte, ihn nicht gerade mit Glacéhandschuhen anfassten. In der Geschichte der Fünften Republik wurde kein früheres Staatsoberhaupt wie ein gemeiner Drogendealer festgesetzt – am Dienstag ereilte Sarkozy dieses Schicksal bereits zum zweiten Mal.

Wegen des Verdachts illegaler Wahlkampfspenden aus dem Ausland wurde der 63-jährige Polit-Rentner nicht etwa zur Einvernahme vorgeladen, sondern gleich in Polizeigewahrsam genommen.

Bis zu 48 Stunden haben die Ermittler Zeit, um Sarkozy zu verhören. Bei der vorübergehenden Festnahme geht es um den Verdacht, dass er 2007 rund 50 Millionen Euro aus den Kassen des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi erhalten hatte, um seinen erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf 2006/2007 zu finanzieren. Dieser Vorwurf war schon 2012 von dem französischen Internetportal „Mediapart“ erhoben worden, beruhte aber höchstwahrscheinlich auf einem gefälschten Dokument.

Ein Polizist bewacht den Eingang einer Außenstelle des französischen Innenministeriums in Nanterre. Der frühere französische Staatspräsident Sarkozy ist im Rahmen von Justizermittlungen in Polizeigewahrsam genommen worden.
Ein Polizist bewacht den Eingang einer Außenstelle des französischen Innenministeriums in Nanterre. Der frühere französische Staatspräsident Sarkozy ist im Rahmen von Justizermittlungen in Polizeigewahrsam genommen worden. © dpa | Thibault Camus

Trotzdem leitete die Justiz kurz darauf Ermittlungen ein. Fünf Jahre später scheinen sich die Verdachtsmomente erhärtet zu haben. So sagte der libysche Geschäftsmann Ziad Takieddine im November aus, er habe Claude Guéant – damals die rechte Hand Sarkozys und späterer Innenminister – im Auftrag von Gaddafi persönlich fünf Millionen Euro an Bargeld in einem Koffer überbracht. Ein zweiter mutmaßlicher Kurier, der dubiose und von der Polizei gesuchte französische Geschäftsmann Alexandre Djouhri, wurde im Januar in London festgenommen. Paris hat seine Auslieferung beantragt.

Auch Ex-Innenminister verhört

Des Weiteren gelangte der zuständige Untersuchungsrichter vor 18 Monaten in den Besitz schriftlicher Notizen des ehemaligen libyschen Erdöl- und Premierministers Choukri Ghanem. Darin soll die Rede von drei Überweisungen an das Sarkozy-Wahlkampfteam in Höhe von 6,5 Millionen Euro sein. Ghanem kommt als Zeuge nicht mehr in Betracht: Er war im April 2012 in Wien tot aufgefunden worden.

In der Affäre wurde am Dienstag auch Sarkozys Ex-Innenminister Brice Hortefeux von den Ermittlern verhört. Bereits 2015 hatte die Justiz außerdem ein Strafverfahren gegen Sarkozys früheren Vertrauten Claude Guéant eingeleitet, der das Innenministerium 2011 von Hortefeux übernommen hatte. Guéant muss sich wegen Steuerhinterziehung und Fälschung verantworten.

Sowohl Hortefeux als auch Guéant gehören zu den engsten Mitarbeitern Sarkozys. Sie begleiteten diesen, als er in seiner Eigenschaft als Innenminister 2006 Gaddafi in Tripolis besuchte. Aus Ermittlerkreisen sickerte die Vermutung durch, dass der libysche Machthaber seinem französischen Gast bei dieser Gelegenheit die finanzielle Unterstützung zugesagt haben könnte.

Gaddafi beschwerte sich über Undankbarkeit Sarkozys

Unbestreitbar verband Sarkozy und Gaddafi lange Zeit ein freundschaftliches Verhältnis. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt im Mai 2007 empfing der Franzose den international geächteten Libyer sogar mit großem Pomp in Paris. Erst später kam es zu Spannungen. 2011 war Sarkozy eine der treibenden Kräfte bei der Militär-Intervention mehrerer westlicher Staaten in Libyen, die zum Sturz und kurz darauf zum Tod des Diktators führte.

Nur wenige Monate vorher hatte sich Gaddafi im nicht veröffentlichten Teil des Interviews mit der Pariser Tageszeitung „Le Figaro“ über die Undankbarkeit Sarkozys beschwert: „Wir haben ihm das Geld gegeben, welches es ihm ermöglicht hat zu gewinnen“, soll Gaddafi zu Protokoll gegeben haben: „Er hat mich um finanzielle Hilfe gebeten, und er hat sie bekommen.“ Auch Gaddafis zweitältester Sohn Saïf al-Islam und ein Übersetzer des Diktators haben sich ähnlich geäußert.

Sarkozy war von 2007 bis 2012 Chef des Élysée-Palasts. Doch die Justiz ermittelt seit 2016 auch wegen der illegalen Finanzierung seines 2012 gegen François Hollande verlorenen Präsidentenwahlkampfs. Bei dieser Kampagne wurde das zulässige Budget-Limit von 22,5 Millionen Euro massiv überschritten. Die Wahlkampfausgaben aller Präsidentschaftskandidaten werden in der Regel von höchster Stelle peinlich genau überprüft. Sarkozy hatte mit der Aufsichtsbehörde 2012 Ärger bekommen.

Frankreichs Präsidenten seit 1959

Seit 1959 haben bislang sieben Männer das höchste Amt in Frankreich bekleidet: Wir stellen die französischen Präsidenten vor. Charles de Gaulle war der erste Präsident seit der Gründung der Fünften Republik 1958. Er bekleidete das Amt von 1959 bis 1969. Der General und Widerstandskämpfer war bestrebt, der „Grande Nation“ den Status als Atom- und Großmacht zu sichern. Der Konservative stand für die Aussöhnung mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und die Entkolonialisierung. Er starb 1970.
Seit 1959 haben bislang sieben Männer das höchste Amt in Frankreich bekleidet: Wir stellen die französischen Präsidenten vor. Charles de Gaulle war der erste Präsident seit der Gründung der Fünften Republik 1958. Er bekleidete das Amt von 1959 bis 1969. Der General und Widerstandskämpfer war bestrebt, der „Grande Nation“ den Status als Atom- und Großmacht zu sichern. Der Konservative stand für die Aussöhnung mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und die Entkolonialisierung. Er starb 1970. © imago | Keystone
De Gaulle bei einem Besuch bei Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer (r.) in Bonn.
De Gaulle bei einem Besuch bei Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer (r.) in Bonn. © dpa | Alfred Hennig
Georges Pompidou war von 1969 bis 1974 französischer Präsident. Der Konservative führte als enger Gefolgsmann de Gaulles dessen Politik fort und regierte bis zu seinem Tod 1974.
Georges Pompidou war von 1969 bis 1974 französischer Präsident. Der Konservative führte als enger Gefolgsmann de Gaulles dessen Politik fort und regierte bis zu seinem Tod 1974. © getty Images | Keystone
Pompidou öffnete Großbritannien den Weg in die Europäische Gemeinschaft (EG), den Vorläufer der EU.
Pompidou öffnete Großbritannien den Weg in die Europäische Gemeinschaft (EG), den Vorläufer der EU. © Getty Images | Reg Lancaster
Valéry Giscard D’Estaing repräsentierte Frankreich von 1974 bis 1981. Der liberale Zentrumspolitiker war der erste Nicht-Gaullist im Amt und bemühte sich um die Modernisierung der Gesellschaft und den Ausbau der EG.
Valéry Giscard D’Estaing repräsentierte Frankreich von 1974 bis 1981. Der liberale Zentrumspolitiker war der erste Nicht-Gaullist im Amt und bemühte sich um die Modernisierung der Gesellschaft und den Ausbau der EG. © Getty Images | Keystone
Gemeinsam mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (l., SPD) steht Valéry Giscard D`Estaing für die Gründung der Gipfeltreffen der großen Wirtschaftsmächte (zunächst G6). Nach seiner Abwahl schrieb der heute 91-Jährige mehrere Romane.
Gemeinsam mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (l., SPD) steht Valéry Giscard D`Estaing für die Gründung der Gipfeltreffen der großen Wirtschaftsmächte (zunächst G6). Nach seiner Abwahl schrieb der heute 91-Jährige mehrere Romane. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Franziska Kraufmann
Francois Mitterand schaffte erst im dritten Anlauf als erster Sozialist den Sprung in den Élysée-Palast. Er bekleidete das Amt von 1981 bis 1995 und trug zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich bei.
Francois Mitterand schaffte erst im dritten Anlauf als erster Sozialist den Sprung in den Élysée-Palast. Er bekleidete das Amt von 1981 bis 1995 und trug zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich bei. © getty Images | Hulton Archive
Als Preis für die deutsche Wiedervereinigung drang er bei Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) auf die Gründung der Europäischen Zentralbank und die Schaffung der Euro-Zone. Mitterrand starb Anfang 1996 an Krebs.
Als Preis für die deutsche Wiedervereinigung drang er bei Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) auf die Gründung der Europäischen Zentralbank und die Schaffung der Euro-Zone. Mitterrand starb Anfang 1996 an Krebs. © imago | sepp spiegl
Der französische Staatspräsident Francois Mitterand und Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU, r.) gedachten am 22. September 1984 Hand in Hand an den Gräbern von Verdun (Frankreich) gemeinsam der Opfer des Ersten Weltkrieges. Eine kleine Geste voller Symbolkraft ließ Mitterand in die Geschichtsbücher eingehen: Als sich die beiden Spitzenpolitiker ansahen, bewegte Mitterrand leicht seine Hand – und Helmut Kohl griff zu.
Der französische Staatspräsident Francois Mitterand und Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU, r.) gedachten am 22. September 1984 Hand in Hand an den Gräbern von Verdun (Frankreich) gemeinsam der Opfer des Ersten Weltkrieges. Eine kleine Geste voller Symbolkraft ließ Mitterand in die Geschichtsbücher eingehen: Als sich die beiden Spitzenpolitiker ansahen, bewegte Mitterrand leicht seine Hand – und Helmut Kohl griff zu. © Keystone / Keystone | KEYSTONE
Jacques Chirac war von 1995 bis 2007 Frankreichs Präsident.
Jacques Chirac war von 1995 bis 2007 Frankreichs Präsident. © Getty Images | Sean Gallup
Der Gaullist brach mit Geschichtstabus über Kolonialismus und Sklaverei und stemmte sich mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (r., SPD) gegen den Irakkrieg der USA. Chirac wurde 2002 in einer Stichwahl gegen den Rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen (Front National) wiedergewählt. Für eine dritte Amtszeit kandidierte der heute 84-Jährige nicht mehr.
Der Gaullist brach mit Geschichtstabus über Kolonialismus und Sklaverei und stemmte sich mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (r., SPD) gegen den Irakkrieg der USA. Chirac wurde 2002 in einer Stichwahl gegen den Rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen (Front National) wiedergewählt. Für eine dritte Amtszeit kandidierte der heute 84-Jährige nicht mehr. © Getty Images | Getty Images
Nicolas Sarkozy war von 2007 bis 2012 im Amt. Der ehrgeizige Konservative wurde wegen seiner Hyperaktivität manchmal als „Speedy Sarko“ verspottet. Seine Amtszeit war von der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg geprägt.
Nicolas Sarkozy war von 2007 bis 2012 im Amt. Der ehrgeizige Konservative wurde wegen seiner Hyperaktivität manchmal als „Speedy Sarko“ verspottet. Seine Amtszeit war von der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg geprägt. © Getty Images | Victor Fraile
Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (r., CDU) prägte er die EU-Krisenpolitik. Im Rennen der französischen Konservativen um die Präsidentschaftskandidatur 2017 scheiterte er.
Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (r., CDU) prägte er die EU-Krisenpolitik. Im Rennen der französischen Konservativen um die Präsidentschaftskandidatur 2017 scheiterte er. © Getty Images | Pool
2008 heiratete er Carla Bruni, Ex-Model und Sängerin.
2008 heiratete er Carla Bruni, Ex-Model und Sängerin. © Getty Images | Peter Macdiarmid
Francois Hollande bekleidet das Amt seit 2012. Der Sozialist drängte seinen Vorgänger aus dem Amt, doch der 62-Jährige gilt als glückloser Präsident. Das Land kommt wirtschaftlich nicht richtig in Schwung, die Arbeitslosigkeit bleibt anhaltend hoch, Hollande ist zu sozialliberalen Wirtschaftsreformen gezwungen.
Francois Hollande bekleidet das Amt seit 2012. Der Sozialist drängte seinen Vorgänger aus dem Amt, doch der 62-Jährige gilt als glückloser Präsident. Das Land kommt wirtschaftlich nicht richtig in Schwung, die Arbeitslosigkeit bleibt anhaltend hoch, Hollande ist zu sozialliberalen Wirtschaftsreformen gezwungen. © Rolf Zoellner
Hollandes Amtszeit wurde von mehreren Terroranschlägen überschattet.
Hollandes Amtszeit wurde von mehreren Terroranschlägen überschattet. © imago | Xinhua
Im Dezember 2016 verzichtete er auf eine erneute Kandidatur.
Im Dezember 2016 verzichtete er auf eine erneute Kandidatur. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
Am 7. Mai 2017 gewinnt Emmanuel Macron die Stichwahl gegen Marine Le Pen. Er ist damit der jüngste Präsident der französischen Geschichte. Er wurde am 21. Dezember 1977 geboren.
Am 7. Mai 2017 gewinnt Emmanuel Macron die Stichwahl gegen Marine Le Pen. Er ist damit der jüngste Präsident der französischen Geschichte. Er wurde am 21. Dezember 1977 geboren. © Getty Images | Thierry Chesnot
Der parteiunabhängige Linksliberale holte in der Stichwahl etwa 65 Prozent der Stimmen. Der Ex-Wirtschaftsminister mit seiner Bewegung En Marche (Vorwärts) will die europäische Integration vertiefen und die deutsch-französische Achse stärken.
Der parteiunabhängige Linksliberale holte in der Stichwahl etwa 65 Prozent der Stimmen. Der Ex-Wirtschaftsminister mit seiner Bewegung En Marche (Vorwärts) will die europäische Integration vertiefen und die deutsch-französische Achse stärken. © REUTERS | JEAN-PAUL PELISSIER
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Sarkozy weist den Verdacht als „Ammenmärchen“ zurück

Rätselhaft bleibt, wie der Gaullist 2007 an die 50 Millionen Euro erhalten und verwendet haben soll, ohne dass dies den Prüfern aufgefallen wäre. Sarkozy selbst und sein damaliger Schatzmeister Eric Woerth, der später Budgetminister wurde, haben diesen Verdacht stets als „grotesk“ oder als „Ammenmärchen“ bezeichnet.

Gleich sechs verschiedene Untersuchungsrichter haben den früheren Staatschef schon seit dem Ende seiner Amts-Immunität ins Visier genommen. Bislang konnte ihm nie etwas nachgewiesen werden. Nach wie vor drohen Sarkozy jedoch mindestens drei Prozesse, da neben den zwei Verfahren wegen illegaler Wahlkampf-Finanzierung auch wegen des Verdachts der versuchten Bestechung eines ranghohen Staatsanwalts gegen ihn ermittelt wird.

Die andauernden Scherereien mit der Justiz dürften erheblich dazu beigetragen haben, dass vor zwei Jahren Sarkozys politischer Comeback-Versuch scheiterte. 2016 griff er erneut nach der konservativen Präsidentschaftskandidatur, unterlag aber in den parteiinternen Vorwahlen seinem früheren Premierminister François Fillon.

Ganz Frankreich blickt in diesen Stunden auf den Pariser Vorort Nanterre, wo Sarkozy verhört wird. Sollten die Ermittler über handfeste Beweise verfügen, könnte nach dem Ende des Polizeigewahrsams ein Strafverfahren gegen den Ex-Präsidenten eingeleitet werden. Und sollte es dann tatsächlich zu einem Prozess kommen, drohen Sarkozy im Falle einer Verurteilung bis zu 500.000 Euro Geldstrafe sowie fünf Jahre Haft.