Berlin. Mit seinen Äußerungen zu Hartz IV hat Jens Spahn viel Wirbel gemacht. Doch in Wahrheit geht es darum, Menschen neue Chancen zu bieten.

Jens Spahn hat ein Händchen dafür, kontroverse Debatten auszulösen. Der junge CDU-Politiker, der ab diesem Mittwoch als Gesundheitspolitiker für einen großen Teil des deutschen Sozialsystems zuständig sein wird, hat schon mehrfach mit provokanten Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht. Gleich zu Beginn seiner Karriere als Sozialpolitiker legte er sich mit den Rentnern an und kritisierte eine außerplanmäßige Rentenerhöhung. Viele von ihnen haben ihm das bis heute nicht verziehen.

Mit seinen jüngsten Äußerungen zu Essenstafeln und zu Armut hat Spahn seinen Ruf als sozialpolitischer Raufbold verfestigt. Mit seiner Bemerkung „Hartz IV bedeutet nicht Armut“ hat Spahn zu Recht empörte Reaktionen provoziert.

Auch wenn dieser Satz und die anderen Äußerungen des christlich-demokratischen Politikers einen wahren Kern haben, so verkürzen sie die Diskussion doch in einer Weise, die eher schadet als nützt.

Diskussion nimmt bizarre Züge an

Die Aufmerksamkeit des Publikums hat Spahn sich gesichert, denn jetzt wird diskutiert. Eine Empfehlung als Sozialpolitiker, der er ja sein will, war dieser Beitrag aber nicht unbedingt.

Es ist richtig, dass die Diskussion über Armut bisweilen bizarre, ja hysterische Züge annimmt. Zu wenig wird unterschieden, was genau mit Armut gemeint ist, wer davon akut betroffen und wer lediglich gefährdet ist oder auch nur gefährdet sein könnte. Inzwischen sind auch Menschen verunsichert, die einen sicheren Job und eine Wohnung haben.

Jens Spahn ist mindestens unsensibel

Richtig ist aber auch: Jemand, der Hartz IV erhält, wird sich selbst als arm bezeichnen. Er kann sich vieles nicht leisten, muss auf vieles verzichten und auf jeden Euro achten. Mehr noch: Wer auf die staatliche Grundsicherung angewiesen ist, muss sich und anderen eingestehen, dass er seine eigene Existenz nicht sichern kann. Für viele Menschen ist das eine beschämende Situation. Wenn Spahn diesen Menschen sagt, sie seien nicht arm, dann ist das mindestens unsensibel.

Wie man es richtig macht, hat An­drea Nahles gezeigt, als sie noch Bundesarbeitsministerin war und den aktuellen Regelsatz für die Grundsicherung bekannt gab. Damals sagte sie: „Die Leistungen sichern das Existenzminimum. Daher richten sich all unsere Anstrengungen darauf, die Hilfebedürftigkeit der Menschen zu beenden und den Anschluss ans Arbeitsleben herzustellen.“ Übersetzt heißt das: Das Geld reicht gerade so, die Lage der Empfänger ist nicht gut, und das Ziel muss sein, Hartz IV zu vermeiden.

Staatliche Leistungen als Ausnahme

Inhaltlich war das nichts anderes als das, was Spahn gemeint hat. Wie Spahn stellte die sozialdemokratische Ministerin die Höhe der Hartz-IV-Sätze nicht infrage. Der zentrale Unterschied aber war: Nahles machte deutlich, dass die staatlichen Leistungen eine Ausnahme sind und nicht die Regel.

Sie formulierte das Ziel, das für jeden Empfänger von Hartz gelten sollte: in Arbeit zu kommen und seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Denn auch das gehört zur Wahrheit dazu: Sozialleistungen wie Hartz IV fallen nicht vom Himmel, sie werden vom arbeitenden Teil der Bevölkerung mit Steuern und Abgaben finanziert – da hat Spahn recht.

Die Debatte über Armut und Hartz IV läuft deshalb in die verkehrte Richtung. Statt darüber zu streiten, ob Cent-Beträge für Tierfutter bei der Berechnung der Grundsicherung eine Rolle spielen, sind andere Fragen viel wichtiger: Wie kann es gelingen, dass Menschen so kurz wie möglich ohne Job sind? Und wie kann jedes Kind eine so gute Bildung bekommen, dass es immer eine Chance auf einen Job hat? Sachdienliche Beiträge der neuen Regierung sind willkommen.