Berlin. Deutschland muss seine Anstrengungen für den Schutz des Cyberraums vergrößern. Der erneute Angriff schärft unser Gefahrenbewusstsein.

In ein paar Jahren wird es eine Randnotiz sein – die x-te Polizeimeldung. Hackerangriffe werden zum Alltag gehören. Im privaten Bereich ist es heute schon fast so, beispielsweise beim Betrug mit Bankdaten. Aber wenn der Staat das Opfer ist, ist das gewöhnungsbedürftig und aufsehenerregend. Betrachten wir das Glas mal nicht als halb leer, sondern als halb voll. Die jüngste Cyberattacke auf das Netzwerk der Bundesbehörden wurde entdeckt, analysiert und zurückverfolgt. Das Netzwerk ist gut gesichert, vom Internet unabhängig, strikt abgeschottet.

Ein solcher Angriff ist aufwendig und kostspielig. Das Ziel war bestimmt nicht ein einmaliger Erfolg, sondern ein dauerhafter und unauffälliger Zugriff auf Daten. Aus der Sicht der Angreifer war es womöglich ein digitaler Rohrkrepierer, der nicht zur Nachahmung animiert. Andersherum: Nur Blut lockt Haie an. Soweit man weiß, sind relativ wenige Daten abgeflossen. Verwundern kann zunächst das angebliche Ziel der Attacke: das Auswärtige Amt. Deutsche Außenpolitik ist weder geheimnisvoll noch schwer zu enträtseln.

Angriffe auf das Regierungsnetzwerk sind eine Argumentationshilfe

Möglicherweise war der Plan, über den diplomatischen Dienst allmählich das gesamte Netzwerk der Regierung zu infiltrieren. Das ist spekulativ, aber plausibel, weil im Auswärtigen Dienst viele Vertreter anderer Ressorts aktiv sind und vor allem, weil seine Nervenenden an Brüsseler Behörden wie EU und Nato reichen. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht vor, Cyber-Attacken abzuwehren und zu „verhindern“, eine andere Formulierung für „Hack back“: für die Fähigkeit, gestohlene Daten sicherzustellen und Angriffsserver lahmzulegen. Das ist eine Aufgabe erster Priorität, die auf den designierten Innenminister Horst Seehofer wartet.

Hacker dringen in deutsches Regierungsnetz ein

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    Er muss diese Debatte anstoßen und den Sicherheitsbehörden die neue Kompetenz eröffnen. Angriffe wie aktuell auf das Regierungsnetzwerk sind sogar eine Argumentationshilfe. Der Cyberraum ist keine Sickergrube, sondern ein Tresor, oft genug ohne Tür und Schloss. Deutschland muss den Aufwand für Sicherheit erhöhen, nicht allein der Staat, sondern vielleicht noch mehr die Wirtschaft. Eine Exportnation hat was zu verlieren, Geschäftsideen und Patente sind die Kronjuwelen moderner Unternehmen.

    Viele Staaten können sich nicht schützen

    Die Militärs muss man nicht erst sensibilisieren. Desinformation war immer ein Mittel der Kriegsführung. Die Annexion der Krim, als die Präsenz russischer Truppen systematisch geleugnet wurde, führte der Welt vor Augen: Die Information selbst ist ein Angriffsziel. Gleichzeitig öffnet der Cyberraum auch die Möglichkeit für Sabotage, für das Lahmlegen von Waffensystemen beziehungsweise der kritischen Infrastruktur. Die Russen nehmen gerade die Rolle des Bösewichts ein, aber in Wahrheit sind die USA, China, Indien, Iran oder Israel genauso aktiv. Es kommt uns heute unrealistisch vor, aber es wird der Tag kommen, an dem die großen Mächte – wie bei den Atomwaffen - über digitale Rüstungskontrolle reden werden.

    Im großen Maßstab handelt die Debatte über den Cyberraum von Lämmern und Löwen. Es gibt Staaten, die große Mehrheit, die weder das Know-How noch die technischen Mittel haben, sich und ihre Geheimnisse zu schützen. Das sind die Lämmer. Und es gibt die Löwen wie die USA und China, die sich jeden zur Beute machen können. Zu welcher Kategorie Deutschland gehört, ist nicht entschieden. Dass nach der Attacke auf den Bundestag nun auch das Regierungsnetzwerk zumindest verwundbar ist, hat allerdings etwas Gutes: Es schärft unser Gefahrenbewusstsein. Wir haben verstanden.