Berlin. Jens Spahn soll als Gesundheitsminister zeigen, wozu er im Stande ist. Welches Potenzial als Provokateur er hat, hat er schon gezeigt.

Mit politischem Gegenwind kennt Jens Spahn sich aus. Vor zehn Jahren bekam der CDU-Politiker das erste Mal zu spüren, was es bedeutet, anzuecken. Die große Koalition hatte eine außerplanmäßige Rentenerhöhung beschlossen, und Spahn kritisierte sie als „Wahlgeschenk“. Er warf Rentnern sogar vor, damit nicht zufrieden zu sein.

Was damals folgte, würde heute „Shitstorm“ heißen: Spahns E-Mail-Postfach quoll über, Rentner nannten ihn „Rotzlöffel“ und forderten ihn auf, „die Fresse zu halten“. Die Senioren-Union der CDU wollte seine erneute Kandidatur für den Bundestag verhindern. Spahn, damals 28 Jahre alt und schon zum zweiten Mal im Bundestag, reagierte sichtlich betroffen. Er zweifelte kurz daran, ob es wirklich klug sei, unbequeme Wahrheiten laut auszusprechen. Dann aber machte er weiter.

Im Kabinett soll Spahn zeigen, was er kann

Tatsächlich gibt es – gerade in der CDU – wenige Politiker, die so offen innerparteilichen Widerspruch üben. Inzwischen kann Spahn, der mit 15 Jahren in die Junge Union eintrat, abschätzen, welche Reaktionen er bekommt. Wenn er sagt, die Pille danach sei kein „Smartie“, oder kritisiert, dass im Szenebezirk Berlin-Neukölln zu viel Englisch gesprochen wird, dann überraschen ihnen böse Kommentare nicht. Konflikte vermeidet Spahn nicht, er sucht sie.

Das ist das Bundeskabinett

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am 14. März 2018 zum vierten Mal zur Regierungschefin gewählt worden. Auch ihr Bundeskabinett aus SPD-, CDU- und CSU-Ministern wurde vereidigt. Wir stellen das Kabinett vor.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am 14. März 2018 zum vierten Mal zur Regierungschefin gewählt worden. Auch ihr Bundeskabinett aus SPD-, CDU- und CSU-Ministern wurde vereidigt. Wir stellen das Kabinett vor. © dpa | Gregor Fischer
Nach der Wahl im Bundestag wurde Merkel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zur Bundeskanzlerin ernannt.
Nach der Wahl im Bundestag wurde Merkel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zur Bundeskanzlerin ernannt. © Getty Images | Michele Tantussi
Ursula von der Leyen (CDU) bleibt Bundesverteidigungsministerin. Sie ist eine von drei Frauen aus der sechsköpfigen CDU-Ministerriege.
Ursula von der Leyen (CDU) bleibt Bundesverteidigungsministerin. Sie ist eine von drei Frauen aus der sechsköpfigen CDU-Ministerriege. © dpa | Wolfgang Kumm
Peter Altmaier (CDU) ist Wirtschaftsminister. Zuvor war der Merkel-Vertraute Bundesminister für besondere Aufgaben – der offizielle Name für den Posten, der kurz Kanzleramtsminister genannt wird.
Peter Altmaier (CDU) ist Wirtschaftsminister. Zuvor war der Merkel-Vertraute Bundesminister für besondere Aufgaben – der offizielle Name für den Posten, der kurz Kanzleramtsminister genannt wird. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Anja Karliczek (CDU) ist Ministerin für Bildung und Forschung. Vor ihrer Vereidigung war sie Bundestagsabgeordente aus NRW.
Anja Karliczek (CDU) ist Ministerin für Bildung und Forschung. Vor ihrer Vereidigung war sie Bundestagsabgeordente aus NRW. © imago/photothek | Florian Gaertner/photothek.net
Jens Spahn (CDU) ist Gesundheitsminister. Zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium.
Jens Spahn (CDU) ist Gesundheitsminister. Zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium. © dpa | Kay Nietfeld
Julia Klöckner ist Landwirtschaftsministerin und gleichzeitig CDU-Vize sowie Mitglied im CDU-Bundesvorstand.
Julia Klöckner ist Landwirtschaftsministerin und gleichzeitig CDU-Vize sowie Mitglied im CDU-Bundesvorstand. © dpa | Andreas Arnold
Der CDU-Politiker Helge Braun, Jahrgang 1972, ist neuer Kanzleramtsminister.
Der CDU-Politiker Helge Braun, Jahrgang 1972, ist neuer Kanzleramtsminister. © imago/photothek | Inga Kjer/photothek.net
CSU-Chef Horst Seehofer, als bayerischer Ministerpräsident von seiner Partei nicht mehr gewollt, ist Innenminister. Die CSU handelte indes aus, dass das Innenministerium um die Bereiche Heimat und Bauen erweitert wird.
CSU-Chef Horst Seehofer, als bayerischer Ministerpräsident von seiner Partei nicht mehr gewollt, ist Innenminister. Die CSU handelte indes aus, dass das Innenministerium um die Bereiche Heimat und Bauen erweitert wird. © imago/IPON | Stefan Boness/Ipon
Die CSU stellt insgesamt drei Minister, darunter auch Andreas Scheuer, zuvor Generalsekretär seiner Partei: Der Politiker Jahrgang 1974 ist Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Die CSU stellt insgesamt drei Minister, darunter auch Andreas Scheuer, zuvor Generalsekretär seiner Partei: Der Politiker Jahrgang 1974 ist Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. © dpa | Kay Nietfeld
Gerd Müller (CSU) bekam seine Ernennungsurkunde als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ebenfalls von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Müller hatte das Amt auch schon im vorhergehenden Merkel-Kabinett inne.
Gerd Müller (CSU) bekam seine Ernennungsurkunde als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ebenfalls von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Müller hatte das Amt auch schon im vorhergehenden Merkel-Kabinett inne. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Die SPD stellt insgesamt sechs Minister in der dritten großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Olaf Scholz ist Finanzminister und der Vizekanzler. Der SPD-Politiker war zuvor Hamburgs Erster Bürgermeister und von 2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär.
Die SPD stellt insgesamt sechs Minister in der dritten großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Olaf Scholz ist Finanzminister und der Vizekanzler. Der SPD-Politiker war zuvor Hamburgs Erster Bürgermeister und von 2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär. © imago/IPON | Stefan Boness/Ipon
Heiko Maas (SPD) ist in Merkel Kabinett Außenminister. Im Kabinett Merkel III hatte er zuvor das Amt des Justizministers inne.
Heiko Maas (SPD) ist in Merkel Kabinett Außenminister. Im Kabinett Merkel III hatte er zuvor das Amt des Justizministers inne. © dpa | Michael Kappeler
Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist Arbeits- und Sozialminister und bekam die entsprechende Urkunde vom Bundespräsidenten.
Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist Arbeits- und Sozialminister und bekam die entsprechende Urkunde vom Bundespräsidenten. © Getty Images | Michele Tantussi
Franziska Giffey (SPD), zuvor Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, ist die neue Familienministerin.
Franziska Giffey (SPD), zuvor Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, ist die neue Familienministerin. © dpa | Karlheinz Schindler
Svenja Schulze (SPD), bisher Generalsekretärin der NRW-SPD, hat nun den Posten als Umweltministerin inne.
Svenja Schulze (SPD), bisher Generalsekretärin der NRW-SPD, hat nun den Posten als Umweltministerin inne. © dpa | Rolf Vennenbernd
Und das sind die Staatsminister: SPD-Politiker Michael Roth ist Staatsminister für Europaangelegenheiten im Auswärtigen Amt.
Und das sind die Staatsminister: SPD-Politiker Michael Roth ist Staatsminister für Europaangelegenheiten im Auswärtigen Amt. © Getty Images | Carsten Koall
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär ist Staatsministerin für Digitales und im Kanzleramt angesiedelt.
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär ist Staatsministerin für Digitales und im Kanzleramt angesiedelt. © dpa | Karlheinz Schindler
SPD-Politikerin Katarina Barley übernahm zunächst das Justizministerium. Nach der Europawahl wechselt sie allerdings nach Brüssel.
SPD-Politikerin Katarina Barley übernahm zunächst das Justizministerium. Nach der Europawahl wechselt sie allerdings nach Brüssel. © imago/Reiner Zensen | Reiner Zensen
Neue Bundesjustizministerin wird Christine Lambrecht (SPD). Sie war zuvor parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion.
Neue Bundesjustizministerin wird Christine Lambrecht (SPD). Sie war zuvor parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Monika Grütters (CDU) bleibt Kulturstaatsministerin.
Monika Grütters (CDU) bleibt Kulturstaatsministerin. © Getty Images | Pascal Le Segretain
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, ist Staatsministerin für internationale Kulturpolitik.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, ist Staatsministerin für internationale Kulturpolitik. © dpa | Kay Nietfeld
Feierlicher Termin am 14. März 2018 im Schloss Bellevue in Berlin (v.l.n.r.): Helge Braun (CDU), Gerd Müller (CSU), Anja Karliczek (CDU), Jens Spahn (CDU), Katarina Barley (SPD, inzwischen nach Brüssel gewechselt), Julia Klöckner (CDU), Ursula von der Leyen (CDU), Heiko Maas (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz (SPD), Horst Seehofer (CSU), Peter Altmaier (CDU), Hubertus Heil (SPD), Franziska Giffey (SPD), Andreas Scheuer (CSU) und Svenja Schulze (SPD).
Feierlicher Termin am 14. März 2018 im Schloss Bellevue in Berlin (v.l.n.r.): Helge Braun (CDU), Gerd Müller (CSU), Anja Karliczek (CDU), Jens Spahn (CDU), Katarina Barley (SPD, inzwischen nach Brüssel gewechselt), Julia Klöckner (CDU), Ursula von der Leyen (CDU), Heiko Maas (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz (SPD), Horst Seehofer (CSU), Peter Altmaier (CDU), Hubertus Heil (SPD), Franziska Giffey (SPD), Andreas Scheuer (CSU) und Svenja Schulze (SPD). © dpa | Bernd von Jutrczenka
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Dass CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel ihn ins Kabinett berufen will, ist eine Anerkennung. Spahn ist in der CDU so mächtig geworden, dass Merkel ein Interesse hat, ihn in die Regierung einzubinden. Der 37-Jährige aus dem Münsterland, der seit 16 Jahren direkt gewählt im Bundestag sitzt, soll nun zeigen, was er kann.

Jens Spahn kehrt zu seinen Wurzeln zurück

Sollte die SPD der großen Koalition zustimmen und Spahn tatsächlich Gesundheitsminister werden, dann kehrt er zu seinen politischen Wurzeln zurück. Sechs Jahre lang war er gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsbundestagsfraktion. In dieser Zeit hat er sich so sehr in die komplizierte Materie eingearbeitet wie nach ihm kein anderer Unionspolitiker mehr. Spahn hat 2013 für die Union im Koalitionsvertrag mit der SPD das Kapitel Gesundheit und Pflege verhandelt.

Er kennt die Details des Gesundheitssystems und weiß, welche Konflikte ihn erwarten. Weil es den Krankenkassen finanziell blendend geht, wird er – anders als seiner Vorgänger – keine Spargesetze machen müssen. Wie ein Ministerium funktioniert, hat Spahn seit 2015 als Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzressort erfahren.

Seinen Vorgänger im Ministeramt drängt Spahn aus der CDU-Spitze

Weil die SPD das Arbeits- und Sozialministerin besetzt, bietet das Gesundheitsministerium Spahn die Chance, das sozialpolitische Profil der Union zu schärfen. Er könnte zeigen, was er unter einer generationengerechten Politik versteht. Dass er bereit wäre, sich dabei wieder mit Rentnern oder auch mit dem CDU-Arbeitnehmerflügel anzulegen, gilt als sicher. In jedem Fall dürfte Spahn das Amt anders zu nutzen wissen als Noch-Minister Hermann Gröhe (CDU), der die Gesundheitspolitik vier Jahre lang geräuschlos verwaltet hat.

Spahn und Gröhe – die beiden Namen stehen als Sinnbild für die zwei Lager in der CDU. Seinen Ruf als Kritiker der Kanzlerin festigte Spahn vor vier Jahren, als er mit dem Merkel-Getreuen Gröhe um einen Platz im CDU-Präsidium konkurrierte und Gröhe erfolgreich aus dem Führungszirkel der Partei verdrängte. Gezielt hatte Spahn auch dabei wieder die Nachwuchskarte gespielt: „Es schadet nicht, wenn auch mal einer unter 40 in der Parteispitze ist.“

Gleichgeschlechtliche Ehe passe zu konservativem Image

Das auf diese Weise eroberte Podium wusste Spahn seither für sich zu nutzen. Er äußerte sich nicht mehr nur zur Gesundheitspolitik, sondern vor allem zur Flüchtlingskrise, zu Migration und Integration. Er forderte ein Burkaverbot und ein Islamgesetz, plädierte für die Vermittlung von „Werten und Tugenden“ in Schulen und war auf dem CDU-Parteitag 2016 daran beteiligt, dass der Antrag der Jungen Union gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eine Mehrheit bekam – gegen Merkels Willen.

Zu dem konservativen Image, das Spahn sich inzwischen zugelegt hat, gehört aus seiner Sicht auch die gleichgeschlechtliche Ehe, die er im Dezember selbst mit einem Journalisten eingegangen ist. Wenn zwei Menschen füreinander einstehen würden, dann entspreche das den Werten der CDU, argumentiert Spahn. In der eigenen Familie aber hat er, so erzählt er es, selbst erlebt, wie groß die gesellschaftlichen Widerstände dagegen noch sind. Dass er und sein Mann keine Kinder adoptieren können, bedauert Spahn. Den Kampf dafür hat er bisher noch nicht aufgenommen.