AfD-Politiker André Poggenburg verfolgt „Hass als Strategie“
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Von Theresa Martus, Christian Unger und Leon Scherfig
Berlin. AfD-Politiker Poggenburg hatte eine türkische Gemeinde unter anderem als „Kameltreiber“ bezeichnet. Seine Rede löste Entsetzen aus.
Der Satz, der so ein lautes Echo hervorrufen soll, fängt leise an. André Poggenburg, AfD-Landeschef in Sachsen-Anhalt, blickt auf das Publikum in einer Lagerhalle im sächsischen Nentmannsdorf. Legt die Hände an die Seiten des Rednerpults.
„Und ganz, ganz unverschämt fand ich noch Folgendes“, sagt er dann und berichtet, dass die Türkische Gemeinde in Deutschland das geplante Heimatministerium als Teil des Innenressorts ablehne, unter Verweis auf die deutsche Geschichte. „Da muss ich ehrlich sagen, diese Kümmelhändler“ – hier wird er lauter – „haben selbst einen Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern am Arsch, für den die bis heute keine Verantwortung übernehmen. Und die wollen uns irgendetwas über Geschichte und Heimat erzählen!“
Entsetzen auf die Rede
Die letzten Worte schreit Poggenburg. Danach geht es noch ein bisschen weiter, mit „Kameltreibern“, mit „Lehmhütten“ und „Vielweibern“. Der Saal steht, der Saal klatscht, der Saal jubelt – politischer Aschermittwoch nach Art der AfD. Es ist der neueste Eklat einer Partei, die in ihrer kurzen Geschichte schon vieles gesehen hat.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte im Hinblick auf Poggenburg, es gebe Politiker, die „Rücksichtslosigkeit und Hass“ zu einer eigenen Strategie machen würden. Schon jetzt beschäftigt die Rede die Justiz: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat nach einer Strafanzeige ein Prüfverfahren eingeleitet.
Nach Einschätzung von Anwalt Christian Solmecke kann die Rede für Poggenburg durchaus Konsequenzen haben: „Hier wird der Wert der Menschen in der Gestalt missachtet, dass sie auf ein kolonialistisches Vorurteil hin als kulturell, vielleicht sogar rassistisch minderwertige Völker bezeichnet werden sollen“, erklärt der Jurist. Sowohl der Straftatbestand der Beleidigung als auch der Volksverhetzung könnte damit erfüllt sein.
AfD-Chef Meuthen kritisiert den Inhalt der Rede nicht
Auch AfD-Chef Jörg Meuthen kritisiert Poggenburg – wenn auch nur auf der stilistischen Ebene. Poggenburgs Wortwahl gehe „deutlich zu weit und hätte nicht vorkommen sollen“, erklärte Meuthen. In der Sache stellt er sich jedoch hinter den Landeschef. Wenn sich Verbände in Deutschland gegen ein Heimatministerium aussprächen, sei das „sehr bedenklich“.
Die restliche Parteispitze hält sich am Donnerstag unterdessen bedeckt. Nicht alle sind glücklich über die Art der Aufmerksamkeit, die der AfD nach dieser Rede zuteilwird. Man werde bei einer Bundesvorstandssitzung am Freitag über die Äußerungen des sachsen-anhaltinischen Landeschefs sprechen, erklärt Parteivize Georg Pazderski gegenüber dieser Redaktion.
„Dumme Äußerungen Einzelner“ schrecken Wähler ab
Pazderski ist ein Vertreter jenes Teils der AfD, der als gemäßigt gilt, jedenfalls im Vergleich mit dem Höcke-Flügel, zu dem auch Poggenburg gehört. Der Berliner Landeschef will die AfD absehbar koalitionsfähig machen. Erst Anfang der Woche hatte er in einem Thesenpapier für ein seriöseres Auftreten der Partei geworben. „Dumme Äußerungen Einzelner“, zitiert ihn die „Süddeutsche Zeitung“, würden potenzielle Wähler abschrecken.
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Diese Sorge hat Poggenburg offensichtlich nicht – und muss sie wohl auch nicht haben. Nirgendwo sonst ist die AfD so stark wie in den Ost-Landesverbänden, wo sie von den radikalsten Vertretern der Partei geführt wird. Poggenburgs eigener Verband hat bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt fast ein Viertel der Stimmen geholt, in Thüringen, wo Björn Höcke das Gesicht der Partei ist kam die AfD bei der Bundestagswahl auf 22,7 Prozent. In Sachsen wurde sie, hauchdünn vor der CDU, stärkste Partei.
Partei und Anhänger radikalisieren sich
Viele dieser Wähler seien nicht von anderen Parteien zur AfD gewechselt, sondern hätten nicht gewählt, sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Diese Menschen fühlten sich vom bisherigen Politikangebot und dem Sozialstaat nicht mehr vertreten. Aber, so Patzelt: „Es jubeln nicht nur Hartz-IV-Empfänger und sozial Abgehängte der AfD zu, sondern auch erfolgreiche Mittelständler.“ Etwa ein Drittel der knapp 13 Prozent, die bei der Bundestagswahl AfD gewählt haben, seien Rechtsextremisten, die früher wohl die NPD gewählt hätten.
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Und jene, die früher nicht Teil dieser Gruppe waren, sind es vielleicht jetzt. Denn Partei und Anhänger radikalisieren sich: Eine Ende 2016 veröffentlichte Umfrage im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass 74 Prozent der AfD-Sympathisanten eine abwertende Haltung zu Asylsuchenden für richtig halten. Zwei Jahre zuvor, zu Beginn der Flüchtlingskrise, waren es noch 57 Prozent.
Nach dem Abgang Frauke Petrys schließt die sächsische AfD die Reihen mit den Landesverbänden in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Björn Höcke spricht vom „siegreichen“ Osten – und denkt dabei wohl auch an die Landtagswahlen im nächsten Jahr.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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