Berlin. Das Klima zwischen Deutschland und der Türkei hat sich zwar entspannt. Doch die Regierung sollte nicht auf faule Kompromisse eingehen.

Zunächst einmal: Die neuesten Entspannungssignale aus der Türkei sind gute Nachrichten. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat gemerkt, dass die Inhaftierung von Deutschen aus fadenscheinigen Gründen kontraproduktiv ist – sowohl für die Beziehungen zur Bundesrepublik als auch für das Verhältnis zur EU.

Die Gefangennahme des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel ohne Anklage wurde in Deutschland zu einem symbolischen Reizthema, das alles andere blockiert hat. Insofern ist die Andeutung, Yücel könne bald freikommen, positiv.

Erdogans neue Geschmeidigkeit in dieser Frage heißt allerdings nicht, dass er sich plötzlich zu einem Samthandschuh-Politiker gewandelt hat. Er handelt aus Kalkül, und er hat Erwartungen. Die Verbesserung des Drahts zu Deutschland soll zunächst mit der Schaffung einer neuen Gesprächsatmosphäre einhergehen.

Die ist nach dem fast zweijährigen Krieg der Worte zwischen Ankara und Berlin, in dem Erdogan Bundeskanzlerin Angela Merkel unter anderem „Nazi-Methoden“ vorgeworfen hatte, auch bitter nötig. Erdogan weiß: Deutschland ist ein wichtiger Partner für eine Annäherung an die Europäische Union.

Keine faulen Kompromisse

Aus der politischen Klima-Aufhellung erhofft sich der türkische Präsident auch handfeste Vorteile. So hat er Interesse an der Aufrüstung der deutschen „Leopard-2“-Panzer; in den 90er-Jahren bekam der Nato-Partner Türkei mehr als 300 Kettenfahrzeuge aus Beständen der Bundeswehr. Zudem pocht Erdogan auf die Visafreiheit für seine Landsleute für Reisen in EU-Länder. Und schließlich schwebt ihm eine Ausweitung der Zollunion mit der EU auf die Bereiche Landwirtschaft und Dienstleistungen vor.

Vor allem die beiden letzten Punkte sind bei Erdogans Landsleuten populär. Auf Fortschritte in diesen Bereichen spekuliert der Staatschef mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2019 besonders. Ein Sieg würde ihm als Folge des Verfassungsreferendums vom April 2017 praktisch unbeschränkte Vollmachten verleihen. Daran arbeitet er mit allen Mitteln.

Die Bundesregierung sollte sich von Erdogans neuen Initiativen nicht blenden lassen. Es darf keine faulen Kompromisse geben. Die Wiedereinsetzung von vernünftigen Gesprächskanälen: ja. Waffenlieferungen an die Türkei: zumindest derzeit nicht. Die Türkei setzt deutsche „Leopard-2“-Panzer in ihrer Offensive gegen die Kurden in Nordsyrien ein. Die Bundesrepublik darf sich an dieser völkerrechtswidrigen Intervention auch nicht indirekt beteiligen. Deshalb: keine Modernisierung des Militärgeräts.

In Berlin und Brüssel ist Vorsicht geboten

Zu welcher Eskalation Erdogan fähig ist, zeigt sein übersteigerter Konfrontationskurs gegenüber den USA. Falls die Amerikaner nicht ihre Unterstützung für die kurdische Volksmiliz YPG in Nordsyrien aufgeben würden, müssten sie mit einer „osmanischen Ohrfeige“ rechnen, tönte er.

Die YPG-Kräfte haben entscheidend dazu beigetragen, dass das Kalifat des „Islamischen Staats“ (IS) vernichtet wurde. Erdogans Provokationen gegenüber der Führungsmacht der Nato hängen ebenfalls mit der Präsidentschaftswahl 2019 zusammen. Der Staatschef hat eine beispiellose Welle des Nationalismus entfacht, die er ohne Rücksicht auf Kollateralschäden ausreizt.

In Berlin und Brüssel ist auf jeden Fall Vorsicht geboten. Auch für die Visafreiheit in der EU gilt: Stopp, solange der Rechtsstaat in der Türkei in Trümmern liegt. Mehr als 100.000 Staatsdiener wurden verhaftet, mehr als 100 Journalisten sitzen im Gefängnis. Würden die Europäer dies stillschweigend akzeptieren und an „Deals“ mit Ankara basteln, würden sie sich indirekt zu Komplizen Erdogans machen.