Brüssel. Die Westbalkan-Länder könnten bald ihre Chance auf eine EU-Mitgliedschaft erhalten. Das gilt besonders für Serbien und Montenegro.

Es ist noch kein Versprechen, aber doch eine unerwartet klare Ansage: Schon in sieben Jahren könnte die Europäische Union eine neue Erweiterungswelle beginnen und zunächst die Balkanländer Serbien und Montenegro als EU-Mitglieder aufnehmen. Am Dienstag will die EU-Kommission ihre Strategie für den Westbalkan vorlegen.

Diese Strategie nennt mit dem Jahr 2025 erstmals ein konkretes Beitrittsdatum, zumindest für die ersten zwei der sechs Kandidaten in Südosteuropa. Zwar verbindet die Kommission die Offerte mit einem umfangreichen Aufgabenkatalog, der die Regierungen zu mehr Rechtsstaatlichkeit, politischen und wirtschaftlichen Reformen drängt.

Aber: „Mit einem starken politischen Willen“ und der Lösung der Nachbarschaftsstreitigkeiten sollten zunächst Serbien und Montenegro Mitte des Jahrzehnts so weit sein, heißt es in Entwürfen der Brüsseler Behörde.

EU: „Historisch günstige Gelegenheit“

Von einem „historischen Fenster der Gelegenheit“ für den Westbalkan spricht die Kommission, und sie will das Fenster weit aufstoßen. Gleich nach dem Beschluss wird EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn in die Balkanländer reisen, ihm folgt Ende Februar Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, auf den das konkrete Datum 2025 zurückgeht.

Im Mai ist ein Westbalkan-Gipfel der EU-Regierungschefs mit den sechs beitrittswilligen Ländern im bulgarischen Sofia geplant, der die Signale bekräftigen soll: Bulgarien will während seiner EU-Ratspräsidentschaft die Erweiterung in der Nachbarschaft unbedingt vorantreiben.

Rascher Beitritt ist umstritten

Menschen protestieren in Pristina im Kosovo gegen die starke Luftverschmutzung.
Menschen protestieren in Pristina im Kosovo gegen die starke Luftverschmutzung. © REUTERS | HAZIR REKA

Doch der neue Schwung täuscht: Der rasche Beitritt von Serbien, Montenegro, Albanien, Mazedonien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina ist in der EU intern umstritten. Noch wird die öffentliche Kontroverse vermieden, aber die Union treibt auf einen Konflikt um ihre künftige Ausrichtung zu.

Nachbarn des Westbalkan – Bulgarien, Rumänien, Ungarn – kann die Erweiterung nicht schnell genug gehen, auch Österreich ist dafür. In westeuropäischen Hauptstädten gibt es indes deutliche Vorbehalte – nicht gegen die EU-Erweiterung generell, aber gegen Beitritte schon in wenigen Jahren.

Der niederländische Premier Mark Rutte hat bereits seinen Unwillen zu Protokoll gegeben, in Frankreich herrscht – wie bei der letzten Erweiterung – viel Skepsis, auch in Berlin werden hinter den Kulissen Bedenken geäußert. Die Annäherung an die EU komme sehr langsam voran, weil nicht alle Akteure wirklich Interesse an nachhaltigen Reformen hätten, heißt es in Regierungskreisen.

Skeptiker: EU muss erst eigene Probleme lösen

Die großen EU-Staaten wollen nach dem Brexit lieber erst das gemeinsame europäische Haus renovieren und die Integration vorantreiben, statt sich neue Problemkinder hereinzuholen. Die EU müsse erst ihre fundamentalen Probleme lösen, wird im Lager der Skeptiker betont, andernfalls würden nationale Parlament die Erweiterung blockieren.

Die durchwachsenen Erfahrungen mit der letzten Ost-Erweiterung müssten eine Lehre sein. Es geht den Beitrittsbremsern aber nicht nur um die bekannten Rechtsstaats-Probleme, sondern auch um die zahlreichen Streitigkeiten der Balkanländer untereinander, die in die EU hineingetragen würden.

Länder sollten zuerst Zwiste untereinander klären

Ein Graffiti bei Peja in Kosovo nicht weit von der Grenze zu Montenegro entfernt.
Ein Graffiti bei Peja in Kosovo nicht weit von der Grenze zu Montenegro entfernt. © REUTERS | Hazir Reka

Serbien ist bislang nicht bereit, normale Beziehungen zum Kosovo aufzubauen, Mazedonien liefert sich mit EU-Mitglied Griechenland einen Namensstreit, in Bosnien-Herzegowina befehden sich Serben, Kroaten und Bosniaken weiter – und auch zwischen Serbien und Kroatien, Montenegro und Kosovo, Albanien und Griechenland gibt es Klärungsbedarf.

Ein Problem, das auch die Kommission in ihrer Strategie ansprechen wird: Die EU könne und werde keine bilateralen Streitigkeiten importieren, die müssten dringend vorher gelöst werden. Im Gespräch ist eine internationale Vermittlung in den diversen Konflikten.

Brüssel will zugleich mit neuer Kommunikation und Wirtschaftshilfe die EU attraktiver machen – denn die Begeisterung für Europa hat auf dem Balkan deutlich nachgelassen. Die Aufbruchstimmung, die ein EU-Gipfel 2003 mit der grundsätzlichen Beitrittsperspektive für die sechs Länder ausgelöst hatte, ist längst dahin, die Kandidaten fühlen sich hingehalten.

Konkrete Gespräche nur mit Serbien und Montenegro

Bislang wird allein mit Serbien und Montenegro konkret über den Beitritt verhandelt, die Fortschritte sind überschaubar. Das Reformtempo der Regierungen lässt zu wünschen übrig.

Aleksandar Vucic (l), Präsident von Serbien, und Alexander Van der Bellen, Bundespräsident von Österreich.
Aleksandar Vucic (l), Präsident von Serbien, und Alexander Van der Bellen, Bundespräsident von Österreich. © dpa | Pan Xu

Sorgen macht auch eine neue Welle nationalistischer Rhetorik vor allem in Serbien. Amnesty International prangert dort organisierte Willkür und politische Bevormundung durch Justiz und Polizei an. „Die Rechtsstaatlichkeit in den sechs Ländern muss gestärkt, der Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität entschlossen geführt und die Meinungs- und Medienfreiheit garantiert werden“, fordert der EU-Außenpolitiker David McAllister (CDU).

Zur notwendigen Beendigung bilateraler Auseinandersetzungen gehöre auch eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo.

2025: Datum soll Reformwillen stärken

McAllister sagte dieser Redaktion, bei dem jetzt genannten Beitrittsdatum 2025 handele es sich um ein „indikatives“, also ein unverbindliches Datum, „das dem Erweiterungsprozess eine neue Dynamik verleihen und den Reformwillen der sechs Staaten stärken soll“.

Der konkrete Beitrittstermin werde ausschließlich davon abhängen, ob das jeweilige Land die strengen rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen tatsächlich erfüllt habe.

McAllister begrüßt gleichwohl die neue Kommissionsstrategie und betont: „An einem politisch und wirtschaftlich stabilen Balkan haben wir ein ureigenes Interesse.“ Das ist in der EU ein zentrales Argument für die Erweiterung: „Entweder wir exportieren Stabilität in die Region oder wir importieren Instabilität“, sagt auch EU-Kommissar Hahn.

Destabilisieren oder stabilisieren?

Vor allem Russland, aber auch China oder die Türkei versuchen derzeit, ihren Einfluss auf dem Balkan auszudehnen. Experten im Auswärtigen Dienst der EU sind sicher, dass Moskau daran arbeitet, die Region gezielt zu destabilisieren; Serbien unterhält enge Beziehungen zu Russland, auch militärisch. Wie das mit einer EU-Mitgliedschaft vereinbar wäre, ist unklar.

Doch drängender ist für die Beitrittsbefürworter zu verhindern, dass der Balkan abdriftet und innere Konflikt wieder auflodern. Aber ist die EU-Mitgliedschaft dafür das richtige Instrument?

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn.
EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn. © REUTERS | FRANCOIS LENOIR

Durchaus möglich, dass die Offerte nur neue Enttäuschungen produziert: Für einen Beitritt 2025 müssten die Verhandlungen schon 2023 beendet sein, damit Zeit für die Ratifizierung in den EU-Mitgliedsstaaten bleibe, sagt Erweiterungskommissar Hahn. Er habe dieses Ziel „nicht erfunden“, betont der Österreicher. Es sei „machbar“, aber auch „sehr ambitioniert“.