Berlin. Lohnarbeit für alle wird es künftig nicht mehr geben. Das Thema muss deshalb völlig neu gedacht werden – am besten mit neuem Personal.

Den Ruf, bei gesellschaftlichen Fragen immer ein Stück weiter zu sein als Deutschland, hat Schweden ja nicht ganz umsonst. Der neueste Beweis dafür: Der Sechs-Stunden-Tag, mit dem dort immer mehr Firmen und öffentliche Einrichtungen experimentieren – mit Erfolg, wie sich zeigt. Die Mitarbeiter, die genauso viel verdienen wie vorher, werden seltener krank und sind produktiver, neue Arbeitsplätze entstehen und der Gewinn steigt auch.

Währenddessen erklären in Deutschland Arbeitgeber, dass eine zeitweise Arbeitszeitreduzierung – wie sie die IG Metall gerade in Tarifverhandlungen fordert – völlig indiskutabel sei und niemals leistbar.

Dabei ist die Frage nicht, ob wir weniger arbeiten, sondern wann. Diese Entwicklung wird sicher kommen. Wie gut sind wir darauf vorbereitet?

Weniger Arbeit, mehr Zeit für Familie

Der Branchenverband Bitkom prognostiziert, dass in den nächsten 20 Jahren die Hälfte aller derzeit existierenden Berufsbilder wegfallen werden, weil die Digitalisierung sie überflüssig macht. 3,4 Millionen Stellen werden laut Bitkom schon in den nächsten fünf Jahren wegfallen. Zugespitzt heißt das: Computer nehmen uns die Arbeit weg.

Und das ist eine gute Nachricht. Denn wer weniger arbeitet, hat mehr Zeit für anderes, Familie zum Beispiel. Davon würden Menschen, die Angehörige pflegen, genauso profitieren wie Eltern, die immer wieder vor der Frage der Kinderbetreuung stehen. Für andere wäre mehr Flexibilität vielleicht ein Anreiz, überhaupt über Kinder nachzudenken. Schon jetzt würden viele Menschen gern weniger arbeiten.

Lohnarbeit für alle ist künftig keine Option mehr

Weniger Arbeit für alle bedeutet allerdings nicht nur mehr Freizeit, sondern auch weniger Jobs. Nicht alle, deren Stelle „wegdigitalisiert“ wird, werden eine der Positionen bekommen, die auf anderen Feldern entstehen. Vollbeschäftigung und Lohnarbeit für alle sind künftig keine Option mehr. Doch darauf baut im Moment noch alles auf. Keine (bezahlte) Arbeit zu haben, bedeutet in Deutschland andauernde finanzielle Schwierigkeiten, geringe Wertschätzung von anderen und kaum Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Wenn wir nicht wollen, dass ganze Gesellschaftsschichten in prekäre Verhältnisse abrutschen, müssen wir uns deshalb jetzt Gedanken darüber machen, wie wir in Zukunft leben wollen. Wie viel wollen wir arbeiten? Wie viel Arbeit ist da? Was soll sie wert sein? Und was zählt überhaupt als Arbeit? Sollen wir für die Betreuung von Kindern, Eltern, Kranken bezahlt werden? Oder gleich das bedingungslose Grundeinkommen für alle?

Wo wollen wir morgen als Gesellschaft stehen?

Ideen, wie der Wandel gestaltet werden könnte, gibt es einige, von eher vorsichtigen Reformplänen bis zu radikalen Ansätzen. Doch um sie umzusetzen, brauchen wir Menschen an der Spitze des Landes, die sich Gedanken machen über mehr als nur die nächsten vier Jahre. Die eine Idee davon haben, wo wir morgen als Gesellschaft stehen wollen und wie wir dahinkommen – und die andere überzeugen können.

Ob das aktuelle politische Spitzenpersonal dazu in der Lage ist, darf bezweifelt werden. Seit 2005 regiert die Union, ebenso lang ist Volker Kauder Chef der Unionsfraktion im Bundestag. Kauder hat in diesen Tagen einen Meinungsbeitrag veröffentlicht. Darin stand: „Die Digitalisierung ist für mich das Megathema der kommenden Jahre.“ Kauder schrieb diesen Satz – völlig unironisch – elf Jahre, nachdem das erste iPhone auf den Markt kam.

Der Unionsfraktionschef ist derzeit Teil des Teams, das mit der SPD über eine Koalition verhandelt. Vielleicht sollten er und seine Kollegen ihre Arbeitstage auf sechs Stunden begrenzen. Wie man aus Schweden hört, steigert das die Produktivität.