Berlin. Der Skandal um Abgas-Versuche an Affen emotionalisiert. Nach Meinung der Experten ist der Straßenverkehr aber das eigentliche Übel.

In München ist es am schlimmsten. Eigentlich lädt ja die Gegend an der Landshuter Allee in München zu einem Ausflug ein. Es gibt historische Gebäude, denkmalgeschützte Wohnanlagen, Spielplätze, schöne, breite Rad- und Spazierwege, die durch Baumreihen von der Hauptstraße abgeschirmt sind. Doch wer dort allzu oft an der sogenannten frischen Luft ist, bringt sich in Gefahr. Denn an der Landshuter Allee liegt die Belastung durch Stickstoffdioxid seit Jahren deutlich über dem Grenzwert.

Gesetzlich liegt dieser bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel – auf der Landshuter Allee war er 2016 und 2017 doppelt so hoch. Wer an der Straße wohnt, sollte sich also gut überlegen, draußen einen Kinderwagen zu schieben. Oder nachts mit offenem Fenster zu schlafen. Zwar hat die Belastung der Luft durch Abgase in deutschen Städten im letzten Jahr abgenommen, wie das Umweltbundesamt (UBA) am Donnerstag mitteilte. Danach sei der Grenzwert zum Schutz der Gesundheit in 70 Städten überschritten worden.

Umwelthilfe moniert ungenügende Messstellen

Im Jahr 2016 war das noch in 90 Städten der Fall. Doch die Überschreitungen sind nach wie vor gravierend. Spitzenreiter bei der Belastung ist München mit 78 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter, dahinter folgen Stuttgart (73) und Köln (62). Die Berliner Luft ist dagegen mit Werten von bis zu 49 Mikrogramm an einer Messstation in Neukölln nicht mehr ganz so dick. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht das Problem in den Ergebnissen verharmlost.

Die Belastung durch Stickoxide in Deutschland werde damit weit unterschätzt, sagte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch unserer Redaktion. „Wir gehen fest davon aus, dass die Grenzwerte für das giftige Dieselabgas in 300 bis 500 Städten und Gemeinden überschritten werden.“ Resch begründet seine Einschätzung damit, dass die amtlichen Messstellen nur an 247 Punkten relevant seien – und damit nur ein Prozent der deutschen Städte und Gemeinden abdeckten. „Das reicht bei Weitem nicht aus, um das Ausmaß der NO2-Belastungen in Deutschland zu erfassen.“

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    Dieselruß schadet Lunge, Kreislauf und Gehirn

    Die Umwelthilfe führt derzeit eine eigene Messaktion an rund 500 weiteren relevanten Verkehrspunkten durch. Ziel ist eine Deutschlandkarte mit sämtlichen Messergebnissen. Während die Affäre um Abgasversuche an Mensch und Affen auf Empörung stößt, ist der eigentliche Skandal täglich auf Deutschlands Straßen zu finden, so die Meinung der Experten: „Im Grunde befinden wir Menschen uns ständig in einem Großtest“, sagt Wolfgang Straff vom Umweltbundesamt. DUH-Chef Resch bekräftigt: „Im Freiluftlabor Deutschland finden jeden Tag Versuche an Hunderttausenden von Menschen mit viel höheren Konzentrationen statt.“

    Umweltmediziner warnen dringend vor den Folgen der schädlichen Luft. „Der Kontakt mit Verbrennungsschadstoffen wie Feinstaub oder Stickoxiden ist in der Evolution nicht vorgesehen“, sagt Christian Witt, Lungenexperte an der Berliner Charité. So könnten die Schadstoffe zu einer Entzündung der Lungenschleimhäute führen, bestehende Krankheiten wie Asthma verstärken und letztlich sogar krebserregend sein – dieser Effekt werde insbesondere durch Dieselruß verursacht. „Die Lunge ist ein Portalorgan, sie öffnet Luftschadstoffen den Weg in unseren Körper.

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      Dieselautos für über 70 Prozent der Emissionen verantwortlich

      Feine Stäube können durch den Blutkreislauf auch in andere Organe gelangen, letztlich sogar ins Gehirn“, sagt Witt. So gibt es Studien, die zeigen, dass Menschen, die in der Nähe von viel befahrenen Straßen leben, ein erhöhtes Risiko für Demenzerkrankungen haben. Die Außenluft ist vor allem in Städten und Industrieregionen mit vielen Schadstoffen belastet. Zu den gefährlichsten zählen neben Feinstaub und bodennahem Ozon das giftige Gas Stickstoffdioxid. Es entsteht wie auch Feinstaub bei der Verbrennung fossiler Energieträger. Neben Autos und Schiffen sind das Kohlekraftwerke, Indus­trieanlagen und Holzfeuerungsanlagen.

      Dabei sei „der Verkehr mit Abstand der größte Verursacher“, wie UBA-Präsidentin Maria Krautzberger betont. Dieselautos seien für über 70 Prozent der NO2-Emissionen des Straßenverkehrs in Städten verantwortlich. Nach Einschätzung der Umwelthilfe sind es an den Verkehrsknotenpunkten sogar bis zu 96 Prozent. Eine Studie des Forscherverbundes ICCT kommt zu dem Ergebnis, dass selbst in der modernsten Schadstoffklasse Euro 6 viele Autos mit Dieselmotor mehr als doppelt so viele giftige Stickoxide aus dem Auspuff blasen wie neue Lastwagen oder Busse.

      2017 eines der am geringsten belasteten Jahre

      Die Maßnahmen des Diesel-Gipfels mit Software-Updates und Umtauschprämien reichten nicht aus, um die Luft in den Städten so zu verbessern, dass die Grenzwerte überall eingehalten werden, sagt Krautzberger. „Wir brauchen dringend die Hardware-Nachrüstung der Autos und leichten Nutzfahrzeuge.“ DUH-Chef Resch bekräftigt indes die Forderung nach Diesel-Fahrverboten: „Das ist der einzige Weg, um kurzfristig für saubere Luft in den Städten zu sorgen.“

      Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheidet am 22. Februar am Beispiel Düsseldorfs und Stuttgarts über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, um die Schadstoffgrenzwerte einhalten zu können. Die Entscheidung hat neben privaten Autofahrern auch für Teile der Wirtschaft erhebliche Bedeutung, weil etwa im Handwerk viele Dieselfahrzeuge im Einsatz sind.

      Immerhin gibt es beim Dauerbrenner Feinstaub erste Erfolge: Vor zehn Jahren lebten noch 61 Prozent der Deutschen in Regionen mit mittlerer Feinstaubbelastung von über 20 Mikrogramm pro Kubikmeter – und atmeten somit Luft, die laut Weltgesundheitsorganisation schädlich ist. 2015 waren es nur noch fünf Prozent. 2017 gehörte dem Umweltbundesamt zufolge zu den am geringsten mit Feinstaub belasteten Jahren. Dies wird mit dem Rückgang von Emissionen aus Heizkraftwerken, Müllverbrennungsanlagen und anderen Industrieanlagen erklärt. Doch noch immer wird der Tagesgrenzwert für Feinstaub von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter in vielen Städten überschritten. Schuld daran ist auch hier vor allem der Straßenverkehr. (mit dpa)