Berlin. Laut einer neuen Studie fehlen bis zum Jahr 2025 bundesweit 35.000 Grundschullehrer. Bildungsexperten haben drei Lösungsvorschläge.

Auf der Liste der anstrengendsten Berufe dürften die Grundschullehrer sehr weit oben stehen, irgendwo bei den Altenpflegern und den Feuerwehrleuten. Denn wer in den ersten Klassen unterrichten will, muss nicht nur fachlich und pädagogisch gut sein. Sondern auch nervenstark und resistent gegen Frust. Das liegt nicht nur an zu großen Klassen und schwierigen Schülern. Das liegt auch an der dünnen Personaldecke in den meisten öffentlichen Schulen – und der fehlenden Hoffnung, dass die Lage in den nächsten Jahren spürbar besser wird.

Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung warnt nun: In den nächsten sieben Jahren wird sich der Lehrermangel an Grundschulen noch dramatisch verschärfen. Bis zum Jahr 2025 fehlen nach Zahlen der Stiftung rund 35.000 regulär ausgebildete Lehrer für die ersten Schuljahre. Erst danach zeichnet sich der Studie zu Folge eine Entspannung ab.

Drei Gründe für die große Lücke bis 2025

Insgesamt müssen in den nächsten Jahren knapp 105.000 neue Lehrer eingestellt werden. 70.000 Stellen könnten durch frisch ausgebildete Lehrer besetzt werden – jede dritte Stelle aber bliebe demnach frei. Nach Zahlen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind bereits jetzt bundesweit rund 2000 Lehrerstellen an Grundschulen nicht besetzt.

Die große Lücke bis zum Jahr 2025 entsteht aus drei Gründen: In ihrer Rechnung gehen die Bildungsforscher Klaus Klemm und Dirk Zorn von 60.000 Pädagogen aus, die in den Ruhestand gehen und ersetzt werden müssen. Weitere 26.000 neue Lehrer seien nötig, um die bis dahin steigenden Schülerzahlen aufzufangen.

Für den Ausbau von Ganztagsschulen würden außerdem 19.000 Lehrer benötigt. Zumal dann, wenn demnächst ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule gelten sollte – wie Union und SPD für den Fall einer neuen großen Koalition angekündigt haben. „Der Rechtsanspruch ist pädagogisch sinnvoll und von den Eltern gewollt. Er darf nicht an fehlenden Lehrerinnen und Lehrern scheitern“, erklärte Bertelsmann-Vorstand Jörg Dräger zur Veröffentlichung der Studie am Mittwoch.

Keine gemeinsame Strategie der Bundesländer

Die 16 Bundesländer leiden unterschiedlich stark am Lehrermangel – und gehen auch unterschiedliche Wege, um die Lücken zu schließen. Die einen locken mit guten Gehältern Lehramtsabsolventen aus anderen Bundesländern an, viele setzen auf Quereinsteiger, holen Pensionäre wieder zurück oder schicken Lehrer für weiterführende Schulen übergangsweise an die Grundschulen.

Eine gemeinsame Strategie aber fehlt, das beklagt auch die Bertelsmann-Stiftung: „Angesichts des bundesweiten Lehrermangels sollten sich die Länder die Lehrer nicht länger gegenseitig abwerben“, so Dräger. Im Gegenteil: „Die Verantwortlichen sollten gemeinsame Lösungen suchen, um den Bedarf zu decken – und zwar ohne die Qualität einreißen zu lassen.“

Pensionäre sollen unterrichten, Teilzeitkräfte aufstocken

Ein immer häufigeres Bild in deutschen Klassenzimmern: Unterrichtsausfall.
Ein immer häufigeres Bild in deutschen Klassenzimmern: Unterrichtsausfall. © dpa | Caroline Seidel

Die Forscher gehen davon aus, dass der Scheitelpunkt des Lehrermangels im Jahr 2025 erreicht ist – und sich die Lage danach wieder zunehmend entspannt. „Ab 2026 geht die Pensionierungswelle zurück“, sagte Studienautor Dirk Zorn unserer Redaktion. Bevölkerungsforscher rechnen zudem ab Mitte des nächsten Jahrzehnts mit sinkenden Schülerzahlen. Da die Zahl potentieller Mütter durch den demographischen Wandel sinkt, würden auch die Geburtenzahlen in den nächsten Jahren wieder sinken.

Die Bertelsmann-Stiftung schlägt vor diesem Hintergrund drei Lösungen zur Deckung der Lehrerlücke in den nächsten Jahren vor: Die Länder sollten den überwiegend weiblichen Pädagogen, von denen 40 Prozent in Teilzeitarbeit arbeiten, Anreize zum Aufstocken anbieten.

„Potenzial gibt es auch bei Lehrkräften an der Schwelle zum Ruhestand“, schreiben die Studienautoren. Durch bessere Möglichkeiten des Hinzuverdienstes könnten befristet zusätzlich erfahrene Lehrkräfte für den Unterricht gewonnen werden. Als dritte Möglichkeit werben die Autoren für das Modell jener Bundesländer, die jetzt schon auf Quereinsteiger ohne Grundschulstudium setzen. Aber: „Wir brauchen einheitliche Standards für die Qualifizierung von Seiteneinsteigern“, so Stiftungsvorstand Dräger.

Gewerkschaft will NC abschaffen

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert einheitliche Schulungen für Seiteneinsteiger. Zugleich müssten die Ausbildungskapazitäten an den Universitäten deutlich hochgefahren werden. „Es ist vollkommen unverständlich, dass es noch Studiengänge für das Lehramt an Grundschulen gibt, die mit einem Numerus clausus belegt sind“, beklagte GEW-Chefin Marlis Tepe.

Die Länder reagierten am Mittwoch etwas verschnupft auf die Studie: „Alle 16 Länder sind sich der Lage bewusst und ergreifen bereits landesspezifische Maßnahmen“, sagte der Vize-Präsident der Kultusministerkonferenz, der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU), in Berlin. Ein „Weckruf“ der Stiftung sei nicht nötig. Durch steigende Geburtenzahlen und Zuwanderung sei bereits prognostizierter Lehrermangel verstärkt worden. „Vorhersehbar war das in dieser Größenordnung nicht.“ Die Vorschläge der Stiftung wie etwa die Aufstockung der Stellen von Teilzeitkräften und der Einsatz von Pensionären, würden in vielen Ländern bereits umgesetzt.

Arbeiten über Rentenalter hinaus für viele unrealistisch

Doch so leicht ist es nicht. Udo Beckmann, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft Bildung und Erziehung (VBE), mahnte am Mittwoch: „Viele Lehrkräfte gehen in Teilzeit, um die hohen Belastungen mit Rücksicht auf die eigene Gesundheit abfedern zu können.“ Und viele sind heilfroh, wenn sie die Pensionsgrenze erreicht haben.