Berlin. Union und SPD haben sich bei dem umstrittenen Punkt Familiennachzug für Flüchtlinge geeinigt. Doch nicht alle sehen darin einen Erfolg.

Es ist nach vielen Stunden der Verhandlungen zwischen Union und SPD eine erste Erfolgsmeldung: Die möglichen Koalitionspartner erzielten am Dienstag eine Einigung in einem der umstrittensten Felder, der Asylpolitik. Konkret ging es um den Familiennachzug bei zeitweise geschützten Flüchtlingen, die aus Kriegsgebieten wie Syrien nach Deutschland geflohen sind und zurückkehren sollen, sobald Frieden herrscht – die sogenannten subsidiär Schutzberechtigten. Für Union und SPD ist dies nun ein Kompromiss, den beide Seiten als Erfolg verbuchen.

Worauf haben sich CDU, CSU und SPD in den Sondierungen verständigt?

Bereits in einem gemeinsamen Papier von Mitte Januar war beschlossen worden, dass der seit zwei Jahren ausgesetzte Familiennachzug für subsidiär Geschützte ab August 2018 für 1000 Menschen pro Monat wieder aufgenommen werden soll. Der jetzt erzielte Kompromiss ergänzt diese Vereinbarung um Härtefälle.

Im Änderungsantrag, der dieser Redaktion vorliegt, heißt es, die Härtefallregelung nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes, die eine Aufnahme aus „völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen“ zulässt, bleibe „unberührt“. Diese Härtefälle sollen zusätzlich zum Kontingent kommen dürfen. Die Regelung gilt bereits während der Aussetzung des Familiennachzugs, kam aber praktisch selten zur Anwendung – 2017 nur in ein paar Dutzend Fällen. So ist nun viel Spielraum für Interpretationen.

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    SPD-Chef Martin Schulz nannte es zufrieden die „Regelung 1000 plus“ – also 1000 Kontingentflüchtlinge plus die Härtefälle. „Wir schaffen den Wiedereinstieg in den Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus“, schrieb er in einer Mitteilung. Die CSU widersprach prompt: „Mit der Neuregelung wird der Anspruch auf Familiennachzug für subsidiär Geschützte endgültig abgeschafft“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Neue Härtefallregelungen gäbe es nicht. Bei der CDU heißt es, der Familiennachzug werde nach dem 1. August „streng begrenzt und nur im Rahmen unserer Aufnahmemöglichkeiten erfolgen“.

    Warum waren die Verhandlungen über diesen Punkt so schwierig?

    Das hat eine Menge mit der bayerischen Landtagswahl im Herbst zu tun. Die Konfliktlinien verlaufen bei dem Thema Migration, wozu der Flüchtlingsnachzug zählt, besonders zwischen CSU und SPD. Für die CSU gehört die Begrenzung der Zuwanderung zum Markenkern. Die Stimmenverluste bei der Bundestagswahl und das Erstarken der AfD führen Parteistrategen vor allem auf die Flüchtlingspolitik des Jahres 2015 zurück, mit der die Menschen nicht einverstanden seien.

    Mit Blick auf die Landtagswahl ist es für die CSU daher aus ihrer Sicht unabdingbar, den harten Kurs beizubehalten. Das führte zu lautstarken Auseinandersetzungen in den Verhandlungen, etwa zwischen CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer und SPD-Innenpolitiker Ralf Stegner. Stegner sagte dieser Redaktion: „Es gibt an dieser Einigung nichts zu feiern.“ Der Fortschritt bei der Asylpolitik sei klein, die SPD habe sich mehr gewünscht. „Aber die CSU bekämpft fanatisch, dass Kinder aus Kriegsgebieten bei ihren Eltern leben dürfen.“

    Aus Sicht von Union und auch Teilen der SPD drängt die Zeit. Die Aussetzung läuft am 18. März aus, eine neue Regelung musste her – und soll bereits am Donnerstag in den Bundestag eingebracht werden. Sonst ist nach Ende der Frist ein unbeschränkter Familiennachzug möglich, wie ihn Grüne und Linkspartei fordern.

    Was bedeutet das für die weiteren Koalitionsverhandlungen?

    Es lässt zumindest hoffen. CDU, CSU und SPD haben in dieser Woche noch einen ehrgeizigen Zeitplan vor sich. Geplant ist, dass sich nach weiteren Tagungen der Arbeitsgruppen an diesem Mittwoch, die 15er-Runde der Hauptverhandler am Donnerstagabend in der Bayerischen Landesvertretung zusammensetzt.

    Am Freitag wollten dann die Parteien ab 14 Uhr getrennt beraten, ab 16 Uhr will man eine gemeinsame Klausurtagung beginnen. Diese soll am Samstag in der CDU-Zentrale fortgesetzt werden und möglichst am Sonntagabend im Willy-Brandt-Haus mit einem unterschriebenen Koalitionsvertrag zu Ende gehen. Als Puffer sind aber vorsorglich schon einmal der Montag und der Dienstag eingeplant.

    Der CDU-Innenexperte Armin Schuster bewertete die Einigung beim Familiennachzug als „Lackmus-Test“ für die kommenden Verhandlungen. Und er sagte dieser Redaktion auch: „Wer jetzt noch weiter bei dem Thema zündelt, der will diese gemeinsame Regierung dann offenbar nicht.“

    Wer hat ein Recht auf Familiennachzug?

    In Deutschland gewährt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verschiedene Formen des Schutzes für Menschen, die hier Asyl beantragen: Wer durch den Staat in seinem Heimatland politisch verfolgt wird, erhält drei Jahre Schutz nach dem deutschen Grundgesetz (Artikel 16a). Das trifft in 2017 laut BAMF-Entscheider nur auf gut 4000 Schutzsuchende zu.

    Die von Deutschland unterzeichnete Genfer Flüchtlingskonvention fasst das Asyl weiter. Schutz erhält demnach auch, wer aufgrund seiner „Rasse“, Religion oder Nationalität durch nicht-staatliche Gruppen verfolgt wird – etwa Terrorgruppen oder Clans. Wer in diese beiden Gruppen fällt, darf schon jetzt seine enge Familie nachholen – etwa Ehepartner oder minderjährige Kinder.

    In knapp 100.000 Fällen vergab das BAMF 2017 den „subsidiären Schutz“. Die alte große Koalition hatte aufgrund der hohen Zahl Schutzsuchender im Frühjahr 2016 Flüchtlingen die Chance für zwei Jahre verwehrt, die Familie nachzuholen.

    Zwischen Januar 2014 und Ende September 2017 stellten Botschaften 126.891 Visa zur Familienzusammenführung mit in Deutschland lebenden Syrern, Irakern, Afghanen und Eritreern aus – die große Mehrheit ging an Syrer.

    Wie reagieren Flüchtlingshelfer und die Kommunen auf die Einigung?

    Die Organisation „Pro Asyl“ spricht von einer „bitteren Enttäuschung“. Auch Betreuer und Therapeuten reagieren verärgert. Es bleibe für viele unsicher, „wann und ob überhaupt sie ihre Angehörigen nach Deutschland nachholen können“, sagte die Psychologin Janina Meyeringh dieser Redaktion. Sie arbeitet seit Jahren mit Jugendlichen und Kindern aus Kriegsgebieten wie Syrien. Der „Schutzfaktor familiärer Halt und Unterstützung“ werde ihnen entzogen. Oftmals hätten die jungen Menschen ihre engsten Verwandten jahrelang nicht gesehen. Und eine Rückkehr etwa nach Syrien sei nicht möglich

    Meyeringh ist auch für die Bundesweite AG Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) aktiv und kritisiert die geltende Härtefallregelung scharf. Sie kenne Jugendliche, deren Familie in einem Kriegsgebiet kaum finanziell überleben könne. Zudem seien Angehörige häufig erkrankt, eine Behandlung kaum möglich. Die Jugendlichen würden sehr unter der Situation leiden, die psychische Genesung werde erschwert. „Und dennoch lehnen deutsche Behörden eine Zusammenführung als Härtefall häufig ab“, sagte sie.

    Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßt, dass der Zuzug begrenzt bleibt. „Städte und Gemeinden dürfen bei der Integration der Flüchtlinge nicht überfordert werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dieser Zeitung. „Der sich abzeichnende Kompromiss von 1000 Nachzügen pro Monat erscheint aus unserer Sicht vertretbar.“ Bei den Kriterien für den Nachzug sollten zunächst die Familien derjenigen Personen berücksichtigt werden, die über eine Wohnung verfügen und in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, so Landsberg.