Berlin. Im Finale der Sondierung wurde Donnerstagabend hart gerungen. Sogar eine Verlängerung der Gespräche schien nicht ausgeschlossen.

Der Tag begann mit klaren Forderungen: Die Zukunft Europas soll eines der Kernanliegen einer möglichen neuen großen Koalition werden.
SPD-Chef Martin Schulz formulierte dies vor dem Sondierungsfinale mit der Union als eine zentrale Bedingung seiner Partei für eine denkbare Neuauflage einer großen Koalition.

Die Sozialdemokraten würden nur dann in eine Regierung eintreten oder diese unterstützen, wenn „diese Regierung Europa stark macht.“ Von Deutschland müsse ein neuer Aufbruch für die Europäische Union ausgehen, sagte Schulz vor der Schlussrunde der Gespräche mit CDU und CSU.

Es geht um die großen Brocken

Bis zum Donnerstagabend oder in der Nacht zu Freitag wollten die drei Parteien die fünftägigen Sondierungen abschließen. Aus Verhandlungskreisen hieß es nach sieben Stunden, die Gespräche gingen schleppend voran: „Die Stimmung ist angespannt.“ In zentralen Streitpunkten sei noch keine Lösung auf dem Tisch. „Wir haben weiterhin die großen Brocken: Finanzen, Rente, Flüchtlinge, Gesundheit und so weiter.“ Selbst eine Vertagung der Gespräche wurde am Abend nicht ausgeschlossen.

Mit einer Stärkung Europas im Sinne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron (Schulz: „Er hat bis dato keine Antwort aus Deutschland“) könnte es dem SPD-Chef leichter fallen, die Gegner einer großen Koalition in den eigenen Reihen zu überzeugen.

Ein Sonderparteitag am 21. Januar müsste Koalitionsverhandlungen erlauben. Die SPD versteht sich als die Europa-Partei – Schulz fordert bis 2025 eine Vertiefung der EU mit der Bildung von „Vereinigten Staaten von Europa“. So weit wollen CDU und CSU nicht gehen.

Merkel und Schulz erwarten schwierige Gespräche

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    SPD-Mitglieder werden noch gefragt

    Ein möglicher Koalitionsvertrag müsste im Februar/März noch von den SPD-Mitgliedern abgesegnet werden. Die SPD hält sich auch eine Duldung einer Unions-geführten Minderheitsregierung oder Kooperationen bei einzelnen Themen offen. Besonders groß ist der GroKo-Widerstand im mitgliederstärksten SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen.

    Dort fürchten viele, dass die bei der Wahl auf 20,5 Prozent abgestürzte SPD bei einem neuen Bündnis unter Merkel weiter an Profil verlieren könnte. Aus diesem Grund wollen die drei Parteien einen neuen Modus für die Regierungsarbeit finden. Die Rolle des Bundestages soll gestärkt werden.

    Steinmeiers erneute Mahnung

    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte die Parteien an ihre Verantwortung für Europa. Beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps sagte er in Berlin, die Politiker seien nicht nur gegenüber ihren eigenen Parteimitgliedern in der Pflicht, sondern müssten ebenso an die Herausforderungen für Europa denken. Sollten die schwarz-roten Verhandlungen scheitern, könnte nur Steinmeier den Weg für eine Neuwahl freimachen.

    Schulz betonte, die SPD sei sich mit der Union „im Grundsatz“ über die Stärkung der EU einig. Beinahe wortgleich hoben Schulz und Bundeskanzlerin Angela Merkel aber zum Auftakt der Gespräche im Willy-Brandt-Haus hervor, dass es noch „harte Brocken“ gebe, die aus dem Weg geräumt werden müssten.

    Sechserrunde im fünften Stock

    Den ganzen Tag über empfingen die drei Parteichefs Schulz, Merkel und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer gemeinsam mit den drei Fraktionschefs Andrea Nahles (SPD), Volker Kauder (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU) die Fachpolitiker aus den Arbeitsgruppen.

    Im Büro von Schulz im fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses beriet die Sechserrunde zeitweise über die Liste der Problemthemen. Erste Einigungen hatte es unter der Woche gegeben. Das ohnehin schwer erreichbare Klimaschutzziel 2020 soll aufgegeben, Fahrverbote für Dieselautos vermieden werden. Kommen soll ein Zuwanderungsgesetz für ausländische Fachkräfte.

    Bürgerversicherung bleibt Streitpunkt

    In der Steuerpolitik pochte die SPD auf eine Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent. Zudem wollen Union und SPD den Soli-Steuerzuschlag stufenweise auslaufen lassen.

    Als Knackpunkte einer Einigung galten zudem die Gesundheitspolitik mit einer Bürgerversicherung, Bildung, Rente und die Flüchtlingspolitik. CDU und CSU wollen ein Regelwerk durchsetzen, um die Zuwanderung auf eine jährliche Größenordnung von etwa 200.000 Flüchtlingen zu begrenzen.

    Die SPD will wieder erlauben, dass bereits in Deutschland lebende Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz Familienmitglieder nachholen dürfen. Von bis zu 40.000 „Härtefallen“ war die Rede, darunter viele Syrer.