Berlin. Die SPD zögert: Regierung oder Opposition? Dabei muss sie keine Angst vor großer Koalition haben, wenn sie die richtigen Themen wählt.

Nun also doch. Die SPD-Spitze hat sich dazu entschlossen, weitere Gespräche mit der Union zu führen. Die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende aller möglichen Beratungen ein Koalitionsvertrag mit CDU und CSU stehen wird, ist dadurch ein bisschen gewachsen.

Das ist gut so. Denn die einzige Form, in der man ein 80-Millionen-Land regieren kann, ist die einer stabilen Koalition. Sie muss voll handlungsfähig sein, auch im Krisenfall. Langsam – viel zu langsam – setzt sich diese Erkenntnis in der SPD durch. Bald aber muss die Partei Farbe bekennen. Die SPD kann nicht ewig herumreden und sich hinter der Floskel verstecken, alles werde „ergebnisoffen“ diskutiert. Es kommt der Punkt, an dem sie springen muss. Das gilt vor allem für den Vorsitzenden. Wenn Martin Schulz seine zweite Chance nutzen will, muss er seiner Partei klar die Richtung weisen.

Schulz läuft Gefahr, erneut großen Fehler zu machen

Schulz hat eingesehen, dass es falsch war, eine große Koalition zweimal auszuschließen. Nun läuft er Gefahr, den Fehler in umgekehrter Richtung zu machen: Er lässt der Partei zu viel Freiheit. Die Genossen errichten viel zu hohe Hürden für die große Koalition. Damit nehmen sie sich wichtigen Handlungsspielraum und setzen ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Projekte wie die Bürgerversicherung lassen sich – abgesehen von ihrer zweifelhaften Relevanz – nicht in vier Jahren umsetzen. Die Vereinigten Staaten von Europa, von denen Schulz auf dem Parteitag geträumt hat, erst recht nicht.

Selten hat sich eine Partei so verzagt, verwirrt und fast neurotisch gezeigt wie aktuell die SPD. Sie weiß nicht, was sie will, und kann es offenbar auch in den zahlreichen Sitzungen ihrer Gremien nicht herausfinden. Immer neue Formate fallen den Genossen ein, um eine endgültige Entscheidung über ihre Zukunft hinauszuzögern: bilaterale Gespräche, Geheimgespräche, Sechserrunden, Präsidiums- und Vorstandssitzungen, Klausurtagungen, Parteitage und Parteikonvente – sie werden derzeit fast im Wochenrhythmus abgehalten und bringen doch immer wieder kein wirkliches Ergebnis. Die SPD ist dabei, sich aus Angst vor dem Regieren zu Tode zu beraten.

SPD will mit der Union sondieren

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    SPD kann sich in der Opposition nicht regenerieren

    Dabei geht es nur vordergründig um eine Koalition mit der Union. Die SPD ringt mit sich um den Kern ihrer eigenen Identität. Das ist nicht erst seit der Bundestagswahl so, ist aber durch das desaströse Ergebnis ins Bewusstsein gedrungen. Zwischen Linken, Grünen und einer bis weit in die Mitte gerückten CDU finden Sozialdemokraten keinen Platz mehr.

    Ihre Wähler verabschieden sich in alle möglichen Richtungen: die ökologisch Bewegten zu den Grünen, die ökonomisch Konservativen zur Union, die sozial Enttäuschten zur Linken und zur AfD. Überhaupt ist die AfD gefährlicher für die SPD, als es scheint: Wer Angst um seinen Arbeitsplatz hat und Schutz vor der Globalisierung sucht, der vertraut offenbar nicht mehr automatisch der Sozialdemokratie, sondern öfter den beiden Protestparteien im Bundestag.

    Opposition bedeutet keinen Segen für SPD

    Es ist ein Irrtum, die SPD könne sich in der Opposition regenerieren. Eine Partei, die für soziale Gerechtigkeit, Zusammenhalt und Fortschritt stehen will, kann nicht von der Tribüne aus schlecht gelaunt das Spiel kommentieren. Im Übrigen würde das sonderbar aussehen, denn die SPD regiert in den Bundesländern mit. Nein, die SPD muss keine Angst vor der großen Koalition haben, wenn sie die richtigen Themen wählt und endlich dazu steht, was sie in der Regierung durchsetzt. Andere Parteien wie die FDP laufen vor der Verantwortung davon. Die SPD sollte die Chance ergreifen und zeigen, dass man es besser machen kann. Dazu aber gehören Mut und Selbstbewusstsein. Beides haben gerade weder die Partei noch ihr Vorsitzender.