Berlin. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel führte die Partei 2013 Richtung große Koalition. Schulz wird es ihm nun vermutlich gleich tun.

War es Zufall oder Absicht? Martin Schulz und Sigmar Gabriel begegnen sich nicht, als sie am Mittwoch im Abstand von nur einer Stunde auf derselben Veranstaltung eine Rede halten. Gabriel betritt den Saal erst, als Schulz schon am Pult steht. Und als Gabriel spricht, ist Schulz schon wieder weg. Der neue und der alte Vorsitzende der SPD wollen nicht zusammen auftreten so kurz vor dem Parteitag, auf dem die Sozialdemokraten ab diesem Donnerstag über den Eintritt in eine große Koalition debattieren.

Sigmar Gabriel war der SPD-Vorsitzende, der seine Partei vor vier Jahren gegen Widerstände in die dritte große Koalition führte. Martin Schulz steht als sein Nachfolger nun vor einem ähnlichen Problem – mit dem Unterschied, dass das Bundestagswahlergebnis noch schlechter ist und der Widerstand in der Partei gegen ein Bündnis mit der Union noch größer. Denselben Weg wie Gabriel, so viel ist klar, kann Schulz schon allein deshalb nicht gehen. Aber welchen sonst? Immerhin: Sein Ziel wird deutlich.

Schulz lobt SPD-Arbeit der letzten Jahre so klar wie nie

Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz.
Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz. © imago/Metodi Popow | M. Popow

Auf der Konferenz am Mittwoch im Willy-Brandt-Haus geht es zunächst um die Herausforderungen für die europäische Sozialdemokratie. „Erneuern“ steht in großen Buchstaben an der Wand, und tatsächlich liegen nicht nur die deutschen Sozialdemokraten am Boden. In den Niederlanden, in Frankreich, in Österreich – in vielen Ländern sind die Schwesterparteien nur ein Schatten ihrer selbst. Überall sind populistische Parteien stark. Das Treffen in Berlin dient der Selbstvergewisserung der europäischen Genossen.

Dass eine beleidigte Nabelschau nicht reicht, macht Schulz in seiner Rede deutlich. Gleich zu Beginn und so klar wie nie lobt Schulz die Arbeit der SPD in den vergangenen vier Jahren: „Die Regierungsarbeit unserer Partei war ausgezeichnet“, sagt er. Die SPD könne stolz darauf sein. Das Stichwort „große Koalition“ nimmt Schulz nicht in den Mund. Aber wie, wenn nicht in einer Regierung, sollte die SPD bewirken, was ihr Chef dann fordert?

Martin Schulz spricht wie ein Außenminister

„Wir brauchen eine andere EU“, verlangt Schulz und fügt hinzu: „Sie wird ohne Beitrag Deutschlands nicht reformierbar sein.“ Leidenschaftlich spricht er über Europa. Er attackiert US-Präsident Trump und bittet die Briten, sich den Ausstieg aus der EU noch einmal zu überlegen. Nur ein Staatenbündnis wie die EU könne weltweit handlungsfähig sein, sagt Schulz und wirbt für die „Vereinigten Staaten von Europa“.

Er hält – stellenweise auf Englisch und Französisch – die Rede eines Außenministers, obwohl der in Person von Gabriel erst viel später an der Reihe ist. Schwer vorstellbar, dass Schulz die neue EU von den Oppositionsbänken des Bundestags aus gründen will. Die Frage ist nur: Kann Schulz’ Erzählung von der Bedeutung Europas auch bei den Parteifreunden verfangen?

Schulz hat sich zum weiteren Vorgehen bedeckt gehalten

Die Flughöhe, in der sich der Vorsitzende damit bewegt, erscheint weit weg von der Bürgerversicherung, dem sozialen Wohnungsbau und allen anderen Forderungen, mit denen die SPD die Union in den Gesprächen in den nächsten Wochen konfrontieren will. Wie Schulz sich dazu positioniert, ist unklar.

Bisher hat er sich auch zu einer neuen Koalition oder zu einer Minderheitsregierung bedeckt gehalten, er hat die Partei diskutieren lassen. Auch der Beschluss, den die Sozialdemokraten am Donnerstag fällen sollen, lässt weiter alles offen. Er ebnet erst einmal nur den Weg zu ersten Gesprächen mit CDU und CSU, mehr nicht.

SPD für "ergebnisoffene" Gespräche mit der Union

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    Was, wenn die SPD nicht mitregiert?

    Sigmar Gabriel hatte die Partei vor vier Jahren noch vor sich hergetrieben. Er hatte sich schnell und klar zu einer großen Koalition positioniert, hatte Kernforderungen wie den Mindestlohn erhoben und einen Mitgliederentscheid über die Koalition versprochen – und damit ganz nebenbei Parteiengeschichte geschrieben. Am Ende hatte er seine Sozialdemokraten so weit, dass eine große Mehrheit dem Koalitionsvertrag zustimmte.

    Hinter all das kann Schulz nicht mehr zurück, alles das hat er seiner Partei schon jetzt versprochen. Gleichzeitig ist klar, dass das alles möglicherweise nicht mehr ausreicht, um die SPD in die Regierung zu bringen. Und dann?

    Gabriel: Schlechtes SPD-Ergebnis nicht wegen GroKo

    Gabriel wäre nicht Gabriel, wenn er sich jetzt zurückhalten und seinem Nachfolger das Feld überlassen würde. Er teilt zwar Schulz’ Analyse, dass die Sozialdemokraten nur dann wieder in die Offensive kommen, wenn sie eine klar europäische Politik machen. Aber dann überholt er seinen Nachfolger rhetorisch und spricht noch mehr Klartext als Schulz.

    Die Krise der deutschen Sozialdemokratie habe „weniger etwas mit dem Regierungsbündnis mit den Konservativen zu tun als mit völlig veränderten Rahmenbedingungen für sozialdemokratische Politik“, sagt Gabriel. Schlechte Wahlergebnisse habe es auch in Ländern gegeben, in denen es keine großen Koalitionen gab.

    Gabriel hält deutliches Plädoyer für große Koalition

    Und dann kommt Gabriels Fazit, das nur scheinbar eine Wahl lässt: Es sei „für die Frage des Überlebens der Sozialdemokratie in diesem Land relativ egal, ob wir in eine Regierung gehen oder nicht“. Für beides gebe es gute Argumente, die werde der SPD-Bundesparteitag diskutieren. Aber „die Obsessivität, mit der wir das Überleben unserer Partei an diese Frage koppeln, die ist mit Sicherheit falsch.“

    Ein deutlicheres Plädoyer für eine große Koalition kann es kaum geben. Als Gabriel das sagt, ist Schulz nicht mehr da. Er hat sich mit den Worten entschuldigt, er müsse den Parteitag vorbereiten.