Berlin. CSU-Chef Horst Seehofer hat den Zeitpunkt zum Abgang verpasst und übernimmt sich mit der Parteinachfolge. Der Suchtfaktor ist groß.

Horst Seehofer wird gehen. Die Frage ist bloß, ob es an der Spitze von CSU und Freistaat einen geregelten oder einen ungeordneten Stabwechsel gibt, überstürzt oder langsam, jetzt oder später, endgültig oder auf Raten, ob er in „Harmonie und Kameradschaft“ (Seehofer) gelingt.

Andersherum: Ob es wie im Rudel zugeht und der Leitwolf weg-gebissen wird, vom bayerischen Finanzminister Markus Söder. Es ist Zeit, dass Seehofer geht und ein Drama, dass es so weit kommen musste. Schon wieder ein Politiker, der sich schwertut, seine Grenzen zu erkennen und zu spüren, wann er Macht abgeben muss. Es muss etwas mit dem hohen Suchtfaktor zu tun haben.

CSU muss zur alten Geschlossenheit zurückfinden

Eine Ämtertrennung wäre für Seehofers Seelenhaushalt großartig. Dann hätte er Söder zwar nicht gestoppt, aber gebremst, könnte vielleicht eine Zeit lang ein Amt weiterführen, nach Lage der Dinge eher den CSU-Vorsitz als die Staatskanzlei. Obendrein könnte er sich einreden, es bräuchte schon zwei, um einen Seehofer zu ersetzen. Die Hybris der Unersetzbarkeit ist in den politischen Chefetagen verbreitet, eine „Déformation professionnelle“, eine Unart, die diesem Beruf anhaftet.

Dass die Gretchenfrage verschoben wird, auf den Dezember, damit kann die Partei leben, wenn es nur einen Konsens gibt. Den zieht sie gewiss vor, allein schon deswegen, weil die CSU nach dem Machtkampf in den vergangenen Wochen zur alten Geschlossenheit zurückfinden muss. Das gelingt besser, je weniger Verletzungen anfallen und alle das Gesicht wahren. Die Geschlossenheit wäre von Vorteil bei der Landtagswahl im Jahr 2018. Horst Seehofer ist 68 Jahre alt und oft genug in seiner Karriere bis an die Grenzen dessen gegangen, was man sich körperlich zumuten kann.

Bayern steht glänzend da

Wenn er aufhört, tut er sich selbst einen Gefallen. Zumal man an ihm das schlechte Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl festmacht. Erfolg ist in der Politik die Währung, die man gegen Gefolgschaft eintauscht. Wenn der Erfolg ausbleibt, wenden sich früher oder später alle ab. Seehofer ist schon lange und erfolgreich in der Politik.

Bayern steht glänzend da. Die CSU verdankt ihm viel, insbesondere die 47,7 Prozent – damit die absolute Mehrheit der Mandate – bei der Landtagswahl 2013. Aber die Wahrheit ist, dass nur der frische Lorbeer ziert. Heute zählt nur noch eine Frage: Ob Seehofer genug Zugkraft hat, um den Streich 2018 zu wiederholen. Und die Antwort darauf fällt überwiegend negativ aus.

Seehofer will im CSU-Streit bis zum Abend Lösung "in Harmonie"

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    Demokratie kennt keine Erbhöfe

    Seehofer hat nicht nur den besten Zeitpunkt für einen souveränen Abgang verpasst, sondern ist dabei, auch den zweithäufigsten Fehler zu wiederholen: Seine Nachfolge selbst bestimmen zu wollen. Das geht entweder umgehend schief oder wird sich rächen. Ein Mann wie Söder hat eine unbändige Gier. Er verzichtet ungern auf ein Amt, wenn er beide kriegen kann. Darf man das verurteilen? Wer darf den ersten Stein werfen? Seehofer wohl kaum.

    Falls Söder „nur“ Ministerpräsident wird, aber „dahoam“ Erfolg hat, wird er früher oder später auch nach dem CSU-Vorsitz greifen und ihn bis dahin nie aus den Augen verlieren. Innerhalb der CSU ist der bayerische Ministerpräsident strukturell im Vorteil, erst recht, wenn der Parteichef in Berlin und damit ohne Anbindung wäre. Für einen CSU-Politiker ist Bayern das Standbein und der Bund das Spielbein. Die Demokratie kennt keine Erbhöfe. Und besser als eine Ämterteilung wäre es, Seehofer würde seine Nachfolge dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Mögen die Söders, Webers, Dobrindts, Aigners es untereinander ausmachen. Die Wähler würden es verstehen. Nicht der Klüngel, der Deal, der Konsens sind der Idealfall der Demokratie, sondern die (Aus-)Wahl.