Berlin. Die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland muss sich beim Bürger bemerkbar machen. Der Aufschwung eröffnet der Politik Spielräume.

Die deutsche Wirtschaft ist gesund. Nicht nur das, sie boomt, droht langfristig sogar zu überhitzen, weil die Unternehmen der hohen Nachfrage gar nicht mehr gerecht werden. Dies ist vor allem ein Verdienst der arbeitenden Bevölkerung hierzulande, die täglich Dienstleistungen erbringt, Produkte herstellt, die im Ausland gefragt sind, und für eine funktionierende öffentliche Infrastruktur sorgt. Und dabei einen Konsum betreibt, der nicht auf Pump beruht.

Der robuste Aufschwung eröffnet der Politik Spielräume, so attestieren es die Wirtschaftsprofessoren in ihrem Jahresgutachten für dieses und das kommende Jahr. Genau diese möge die neue Regierung nun auch bitte nutzen. Egal, in welcher Parteienkonstellation: die langfristige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die Abmilderung der kalten Progression, eine sinnvolle Absenkung der Sozialabgaben – nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für die Arbeitnehmer. Etwa durch die Reduzierung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Oder durch eine paritätische Aufteilung der zusätzlichen Krankenkassenbeiträge. All das ist vonnöten.

Schleichende Steuererhöhungen liefern Staat Milliarden Euro

Der Solidaritätszuschlag gehört weg. Er ist eine Ergänzungsabgabe, die mit dem Auslaufen des Solidarpakts II an Berechtigung verliert. Und mit der kalten Progression kassiert der Staat seit Jahren dank steigender Löhne mehr Steuern. Lohnzuwächse werden so aufgefressen. Durch diese schleichenden Steuererhöhungen hat der Staat Milliarden Euro eingenommen. Die gilt es nun zurückzugeben. Besonders mittlere Einkommen würden davon profitieren. Gleichzeitig sollten die Parteien, die nun so verzweifelt um Absichtspapiere für Koalitionsgespräche ringen, vor Klientelgeschenken zurückschrecken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen. © dpa | Michael Kappeler

Die teure Ausweitung der Mütterrente etwa, von der CSU im Wahlkampf so heftig gefordert, ist ein solches. Auch ein höheres Kindergeld und daran gekoppelt die größeren Kinderfreibeträge – wie von der CDU geplant – sind zwar für Familien erfreulich. Sie kommen jedoch durch die steuerliche Entlastung vor allem Besserverdienern zugute. Die große Koalition hat diese Geschenke in der letzten Legislatur bereits reich verteilt. Die Rente mit 63 ist dabei genauso zu nennen wie die Reform der Erbschaftsteuer zugunsten von Unternehmern.

Bürger haben Anrecht auf sinnvolle Ideen und Projekte

Zugleich gab es eine Investitionspolitik, welche die Infrastruktur in Städten und Gemeinden verrotten und die nötigen Personalstellen in der Verwaltung unbesetzt lässt. Die maroden Berliner Schulen sind dafür das beste Beispiel. Leider. Doch die Bürger haben ein Anrecht auf sinnvolle Ideen und Projekte einer künftigen Regierung. Ein Bündnis aus vier Parteien mit unterschiedlichen Ideen könnte dies eigentlich möglich machen. Es geht in der neuen Legislatur darum, die gute wirtschaftliche Lage auch in einer älter werdenden, digitalen Gesellschaft zu garantieren. Eine Symbiose des Besten aus den Parteiprogrammen sozusagen.

Die Wirtschaftsweisen geben dafür einen Rahmen vor: Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, damit mehr Frauen arbeiten gehen können. Ein Einwanderungsrecht, das deutlich zwischen Asylsuchenden und nötiger Zuwanderung in den Arbeitsmarkt unterscheidet. Ein verstärktes Augenmerk auf die Langzeitarbeitslosen und die anerkannten Asylbewerber. Beide Gruppen müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden – was jetzt mehr Geld kostet, etwa durch zusätzliche staatliche Schulungsmaßnahmen, sorgt künftig für Entlastung. Kurz gesagt: Es braucht endlich den einen großen Wurf für alle, die jeden Tag die Wirtschaft zum Laufen bringen.