Berlin. In der zweiten Wochenhälfte geht es um kontroverse Themen wie die Energiepolitik. Die Grünen halten ein Scheitern noch für möglich.

Die Stimmung in den Jamaika-Sondierungen ist zuletzt besser geworden. Doch es gibt weiterhin Zweifel, ob CDU, CSU, FDP und Grüne echte Koalitionsverhandlungen aufnehmen werden und ein Regierungsbündnis tatsächlich zustande kommt. Der einflussreiche Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin spricht offen aus, dass er ein Scheitern von Jamaika noch immer für möglich hält. „Der Ausgang der Gespräche ist offen“, sagte der frühere Bundesumweltminister dieser Redaktion. Zwischen den Parteien müsse „ausgelotet werden, wo es bei den offenen Fragen Annäherungen geben kann“.

Nach den allseits als konstruktiv bewerteten Gesprächen zu den Themen Bildung und Digitalisierung, Arbeit und Rente sowie Innenpolitik und Rechtsstaat wollen die möglichen Regierungspartner an diesem Mittwoch erstmals über Verkehr, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sprechen – und ein weiteres Mal über Finanzen. Am Donnerstag stehen erneut die hochumstrittenen Komplexe Klima und Energie sowie Migration auf dem Programm. Über diese Fragen waren vor allem Grüne und CSU heftig aneinandergeraten.

Der Grünen-Unterhändler für Energie und Klima, Oliver Krischer, verstärkte den Druck auf Union und FDP. Diese müssten endlich anerkennen, dass Klimaschutz und die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands keine Gegensätze seien. „In dieser Woche wird sich entscheiden, ob eine Jamaika-Koalition zustande kommen kann oder nicht.“

Die Liberalen formulieren beim Klimaschutz ein „Ja, aber...“

Die Grünen beharren darauf, dass eine Jamaika-Koalition die Produktion des Treibhausgases CO2 bis zum Jahr 2020 deutlich senkt und die von der vergangenen Bundesregierung vereinbarten Klimaziele einhält. Wenn man dies erreichen wolle, so Krischer, „dann müssen wir an die Kohle ran“. Konkret bedeute das, in zwei bis drei Jahren bis zu 20 Kohlekraftwerke stillzulegen. „Da geht keine Lampe aus“, sicherte der Grünen-Politiker zu. „Deutschland kann über ein Drittel mehr Strom produzieren, als wir selbst verbrauchen.“ Die Strompreise änderten sich allenfalls geringfügig. Der Arbeitsplatzabbau beim Braunkohleausstieg sei überschaubar: „Am Ende muss niemand arbeitslos werden.“

FDP-Chef Christian Lindner sagte der „Rheinischen Post“, seine Partei bekenne sich zum Klimaschutz. „Wir fragen uns aber, wie die CO2-Einsparziele für das Jahr 2020 ohne soziale Härten und ohne Verlust an Versorgungssicherheit erreicht werden sollen.“ Lindner zufolge stehen die Chancen für ein Jamaika-Bündnis weiterhin 50 zu 50.

Jamaika-Sondierungen nehmen Fahrt auf

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    CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer äußerte die Erwartung, noch in dieser Woche werde es Signale für oder gegen eine Koalition geben: „Die Wahrheit liegt in der zweiten Wochenhälfte.“ Bis zum 16. November sollen die Sondierungen abgeschlossen sein. Dann wollen die Parteispitzen von CDU, CSU und FDP entscheiden, ob sie offizielle Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Bei den Grünen übernimmt dies ein Parteitag am 25. November.

    Auch bei sozialpolitischen Themen hat es gehakt

    Unterschiede zwischen den Parteien waren auch bei den Gesprächen zu sozialpolitischen Themen am Montagabend deutlich geworden. Einig war man sich nur, dass die Sozialversicherungsbeiträge stabilisiert und Selbstständige eine bessere Altersvorsorge bekommen sollen. Zwar bekannten sich alle vier Parteien dazu, dass „der Mindestlohn gilt“. Umstritten ist jedoch, ob und wie stark die Regeln gelockert werden. Die Grünen lehnen jede Änderung ab, die FDP will die Pflichten zur Dokumentation von Arbeitszeiten senken.

    Strittig sind auch Regelungen für Minijobs, Zeitarbeit und befristete Arbeitsverträge. Bei der Rente ist man sich einig, den Eintritt in den Ruhestand möglichst flexibel zu gestalten. Aber über Rentenniveau, Beitragssätze und die teure Mütterrente muss noch gesprochen werden. Beim Thema Gesundheit spielten kontroverse Fragen wie die einer Bürgerversicherung kaum eine Rolle. Grünen-Chef Cem Özdemir hält in einigen Punkten sogar eine Allianz mit der CSU für möglich: „Da könnte es eine Überraschung geben“, sagte er in einem Internetvideo seiner Partei und nannte als Beispiel die Situation von Pflegern und Pflegebedürftigen.

    Jamaika-Sondierer beißen sich fest - Entscheidungen vertagt

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      Die Ausgaben für Bildung und Forschung sollen deutlich steigen

      Die Jamaika-Unterhändler verständigten sich am Montag auch darauf, die Ausgaben für Bildung und Forschung deutlich zu erhöhen. Das Bafög soll modernisiert werden, und um die Digitalisierung voranzutreiben, wollen Union, FDP und Grüne mehr Glasfaserkabel verlegen, den Mobilfunk schneller machen und Funklöcher schließen. In der inneren Sicherheit wollen die potenziellen Partner mehr Kooperation zwischen Bund und Ländern beim Anti-Terror-Kampf.

      Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sagte dieser Zeitung, es sei „erschreckend“, dass die Jamaika-Partner in der Sozialpolitik noch nicht einmal Handlungsbedarf sähen. Ob es zu einer Koalition komme, werde davon abhängen, was stärker sei: die „heftige Sehnsucht des grünen Spitzenpersonals nach Ministerämtern oder die Angst der CSU vor der nächsten Landtagswahl“.