Berlin. Jeder verdient eine zweite Chance. Auch Martin Schulz. Aber spätestens auf dem Parteitag im Dezember muss der SPD-Chef Antworten geben.

Ein Fußballtrainer, der eine Niederlage nach der anderen kassiert, der ist seinen Posten schnell los. Fans und Clubführung fordern dann seine Ablösung. Ein Parteichef, der mit seiner Partei bei Wahlen eine Niederlage nach der anderen kassiert, der – ja, muss der auch gehen? Funktioniert Politik nach denselben einfachen Gesetzen wie Fußball?

Es ist leicht, den Rückzug von Martin Schulz zu fordern. Schlechter als er schnitt kein SPD-Spitzenkandidat bei einer Bundestagswahl ab. Drei Landtagswahlen gingen für die Sozialdemokraten unter seiner Führung verloren. Schulz betreibt in der Partei eine ungeschickte Personalpolitik: Den Namen des neuen Generalsekretärs erfuhr die Partei aus der Zeitung. Die Bundesgeschäftsführerin mobbte Schulz aus dem Amt, weil er hinter ihrem Rücken eine Nachfolgerin suchte. Und dann ist da noch sein explosives Temperament, das er nicht immer im Griff hat. Nein, es sieht nicht gut für Schulz aus.

Die SPD hat keinen anderen potentiellen Vorsitzenden

Trotzdem wäre nichts gewonnen, wenn er jetzt zurücktreten oder abgewählt werden würde. Erstens: Die SPD hat keinen anderen. Es ist erst gut ein halbes Jahr her, dass Schulz mit 100 Prozent der Stimmen zum Vorsitzenden gewählt wurde. Eine Partei, die so einen – zugegeben: irrationalen – Vertrauensbeweis wieder zurücknimmt, könnte einpacken. Sie würde einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit verlieren. In der Riege der stellvertretenden Vorsitzenden gibt es auch niemanden, der einen Neuanfang verkörpern könnte. Entweder haben sie selbst noch keine Wahl gewonnen, haben eine Wahl verloren und halten sich an ihrem Amt fest oder sie haben nicht das Charisma, um viele Menschen wirklich zu begeistern. Und noch ein Messias, als der Schulz ja von vielen in der Partei gesehen wurde, ist nicht in Sicht.

Zweitens: Jeder verdient eine zweite Chance. Schulz hat Fehler gemacht, aber die Partei kann ihm die Wahlniederlage nicht allein anhängen. Jetzt muss er zumindest die Möglichkeit und die Zeit für einen Neustart bekommen. Richtig ist, dass er kein unbedarfter Neuling ist, sondern seit fast 20 Jahren im Präsidium der SPD sitzt, dem obersten Gremium. Richtig ist auch, dass von ihm bisher keine eigenen Ideen gekommen sind, wie die Partei wieder flottzumachen wäre. Aber: In der Partei hat bisher auch sonst keiner der führenden Genossen eine zündende Idee. Die Strategiepapiere jedenfalls, die jetzt in der SPD geschrieben werden, enthalten viel Luft und wenig Substanz. Es herrscht erschreckende Leere und Ratlosigkeit.

Schulz scheint in der deutschen Innenpolitik noch nicht angekommen

In dieser Situation auf insgesamt acht regionalen Veranstaltungen die Basis nach ihrer Meinung und ihren Wünschen zu befragen, ist sicher nicht falsch. Die Partei soll ihren Vorsitzenden tragen. Aber am Ende muss der Vorsitzende die Partei führen. Bisher aber hat Schulz seine Richtung noch nicht gefunden. Er schlingert zwischen wirtschaftsfreundlichem und kapitalismuskritischem Kurs und scheint allen alles zu versprechen. Rätselhafterweise verzichtet er auch darauf, die Erfolge herauszustreichen, die der SPD in der großen Koalition ja auch gelungen sind. Stattdessen will er noch einmal das Fass der Agenda-Politik von vor 14 Jahren öffnen, mit dem Partei und Wähler sich arrangiert haben.

Ob das in die Zukunft weist? Der ehemalige EU-Parlamentspräsident Schulz kann leidenschaftlich über Europa sprechen. Der SPD-Parteivorsitzende Schulz aber scheint in der deutschen Innenpolitik noch nicht angekommen zu sein. Spätestens auf dem Parteitag im Dezember in Berlin muss Schulz Antworten geben. Sonst ist bald auch die Nachspielzeit vorbei, und der SPD droht der Abstieg als Volkspartei.