Hamburg/Berlin. In Hamburg suchte die SPD nach Erneuerung. Wer kann die Partei nach dem Debakel bei der Bundestagswahl am besten in die Zukunft führen?

Die angereisten Sozialdemokraten schreiben ihren Ärger, ihre Kritik, ihr Lob und ihre Hoffnung auf Kärtchen in Rot und Blau. Dass die SPD im Wahlkampf zu wenig gesagt habe, was sie mit dem Wort „Gerechtigkeit“ meine. Dass die Auftritte von Kanzlerkandidat Martin Schulz zwar nah an den Wählern waren, aber manchmal zu populistisch. Zu wenig inhaltlich. „Wir brauchen eine neue Geschichte für die SPD“, sagt die Vorsitzende der Hamburger Jusos, Armita Kazemi. Eine neue Erzählung für die Sozialdemokratie in Deutschland. Kurz: einen Plan.

Deshalb sind sie hierhergekommen, in den „Terminal Tango“ am Hamburger Flughafen, wo längst keine Flieger mehr starten. Es ist ein Veranstaltungsort am Rand der Stadt. 700 SPD-Mitglieder sollen sich angemeldet haben für diese erste von acht „Dialogkonferenzen“, auf denen die SPD-Spitze mit der Parteibasis diskutieren will, wie sie aus der Krise kommen – nach dem schlechtesten Ergebnis der Partei bei der Bundestagswahl Ende September.

Achtmal Debatte in allen Landesteilen und immer mit Prominenz aus der Funktionärsriege der Partei, so wie hier in Hamburg. Landes- und Bundesabgeordnete sind da, Martin Schulz selbst, Bürgermeister Olaf Scholz, aber auch Genossen, die erst seit wenigen Monaten Mitglied sind. Journalisten dürfen nicht dabei sein. Acht Termine, dann ist Anfang Dezember der große Parteitag. Dann wollen sie den Weg aus dem Stimmungstief kennen. Aber dann geht es auch um die Frage: Wird Schulz als Parteichef wiedergewählt? Im März hatte er 100 Prozent der Stimmen bekommen. Da war er Hoffnungsträger.

Schulz kämpft bis zum Parteitag um sein Amt

Jetzt ist Schulz Wahlverlierer. Einer, der um sein Amt kämpft. Viele in der Partei glauben inzwischen, dass er mit dem Job überfordert ist. Bei der Suche nach einem neuen Generalsekretär habe er keine glückliche Figur gemacht. Vor allem aber habe er keine Ideen, wie es weitergehen solle mit der SPD, heißt es. Schulz wiederum sagt, er wolle erst einmal hören, was die Mitglieder wollen. Zum Beispiel in Hamburg.

Schulz erklärt große Koalition für beendet

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    Der Parteivorsitzende kommt zusammen mit dem Hamburger Bürgermeister: Schulz und Scholz. Sie stellen sich kurz vor die Kameras. Bei Scholz fällt auf, dass er besonders wenig sagt. Es wirkt, als wolle er Geschlossenheit mit Schulz signalisieren, aber nicht zu viel. Der Bürgermeister soll sich selbst für den besseren Parteivorsitzenden halten. Aber er vermeidet jedes eindeutige Signal in diese Richtung. Vor der Veranstaltung in Hamburg hat Scholz ein Positionspapier veröffentlicht, in dem er mit der Partei ins Gericht geht. Man kann es als Kritik an Schulz lesen.

    Scholz fordert „schonungslose Betrachtung“ der Lage

    Scholz fordert darin eine „schonungslose Betrachtung der Lage“. Es dürfe „keine Ausflüchte“ mehr geben bei der Ursachenforschung. Anders als Schulz, der zuletzt mehr Mut zur Kapitalimuskritik gefordert hatte, wirbt Scholz für einen pragmatischen Kurs, der Wirtschaftswachstum, Fortschritt und soziale Gerechtigkeit verbindet. Die SPD müsse „ökonomische Kompetenz“ zeigen.

    Auch die beiden anderen stellvertretenden Parteivorsitzenden Ralf Stegner und Thorsten Schäfer-Gümbel haben Papiere vorgelegt. Juso-Chefin Johanna Uekermann fordert gar ein völlig neues Grundsatzprogramm: „Die SPD muss linker werden“, sagt sie der Deutschen Presse-Agentur. „Wir müssen die Frage beantworten: Wofür braucht es die SPD heute noch?“

    Bürgermeister Scholz hat versucht, darauf eine Antwort zu finden. In dessen Papier komme nichts vor, das zu den Positionen von Schulz im Widerspruch stehe, findet der Hamburger Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Er ist Vorsitzender des in der SPD als konservativ geltenden Seeheimer Kreises, dem auch Schulz angehört. „Im Kern sind die beiden nicht weit auseinander“, sagt Kahrs deshalb. Es sei aber zu früh, über Personalien zu sprechen. Man müsse zuerst über künftige Themen, die Positionierung der SPD und über ihre Organisation reden. Dieses Ergebnis werde sich „später auf Personen übertragen“, meint Kahrs mit Blick auf den Parteitag. Es gebe derzeit keinen anderen Kandidaten als Schulz: „Damit ist das Thema durch im Moment.“ Man kann Kahrs so verstehen, als ob Scholz vielleicht doch noch Parteichef werden könnte.

    Braucht die SPD eine Agenda 2030?

    Auch andere Hamburger Bundestagsabgeordnete äußern sich zurückhaltend: „Die SPD braucht eine neue politische Vision“, meint etwa Matthias Bartke. „Eine Agenda 2030.“ Die SPD müsse die „Partei der Zuversicht und der Hoffnung werden“. Und der Außenpolitiker Niels Annen sagt: „Wie wir uns inhaltlich aufstellen und wer die SPD zu dieser Erneuerung führt, wird auf dem Parteitag entschieden.“ Im Ergebnis habe die ganze Partei bei der Bundestagswahl verloren. Die SPD müsse nun zeigen, „dass wir dieses Land voranbringen, aber sozial gerecht“. Leider habe am Ende der Kampagne im Wahlkampf niemand mehr gewusst, „wie wir unsere Politik umsetzen wollen“.

    Ähnlich äußern sich an diesem Samstag viele Parteimitglieder: Der Wahlkampf habe sich auf so viele Themen gestützt, dass die wichtigsten Botschaften nicht zu erkennen gewesen seien, sagen sie. Auch seien diese Botschaften zu wenig mit Personen verknüpft worden. Andere sagen, sie würden sich besser vernetzen und im Internet untereinander diskutieren wollen. Doch auch in Hamburg ist Unzufriedenheit mit Schulz zu spüren: Programmatisch sei zu wenig von ihm gekommen. Grundsätzlich aber ist Schulz an der Basis beliebt. Wenn sich die Partei auf eine neue Botschaft verständigen könne, dann traue man Schulz zu, diese Botschaft glaubwürdig zu verkörpern, sagen sie hier. Mit ihrem unterkühlten Hamburger Parteichef Scholz, das wissen auch die Hamburger, können sie die Herzen der Wähler schwer erobern.

    Kritik loswerden ist der Basis wichtig

    Nach gut einer Stunde verlassen die ersten SPD-Mitglieder das ehemalige Terminal wieder. Die erste Diskussion unter dem Hashtag „#SPD erneuern“ ist vorbei. Man sei endlich Kritik losgeworden, sagt eine Frau. „Das war wichtig.“ Dampf ablassen, dem Vorsitzenden etwas mitgeben. Ein anderer winkt und sagt im Vorbeigehen: „Ich gehe mich jetzt selbst erneuern. Beim Sport.“

    Am Sonntag macht Schulz in Leipzig Station. Dort wird er sich anhören, was ihm die Sachsen zu sagen haben. Dort hat die SPD bei der Bundestagswahl zehn Prozent bekommen.

    Einen Kommentar zum Thema finden Sie hier: Leere an der SPD-Spitze