Berlin. Dass der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner aus der U-Haft entlassen wurde, ist kein Zeichen für ein Umdenken in der Türkei.

Am Ende ging es überraschend schnell mit der Freilassung von Peter Steudtner. 112 Tage saß der deutsche Menschenrechtler in türkischer Untersuchungshaft, der Prozess wegen „Unterstützung einer terroristischen Ver- einigung“ hatte gerade begonnen. Jetzt ist er wieder in Freiheit, und wie immer in solchen Fällen gibt es stolze Väter des Erfolges, die den öffentlichen Applaus genießen.

Gerhard Schröder persönlich soll nach einem Gespräch mit Präsident Recep Tayyip Erdogan die Freilassung Peter Steudtners erreicht haben. Das ist dem Altkanzler zuzutrauen, schließlich wird er immer noch weltweit geschätzt und kommt auch mit dem härtesten Despoten erstaunlich gut klar.

Ein freundliches Signal der Türkei – mehr aber nicht

Außerdem saß in Erdogans Palast mit Schröder ja nicht „nur“ ein deutscher Ex-Regierungschef, sondern in Personalunion auch noch der Aufsichtsratschef des weltgrößten Ölkonzerns. Da fällt es selbst einem Erdogan schwer, Bitten abzuschlagen. Man weiß ja nie, wann man sich gegenseitig noch mal braucht.

So erfreulich die Freilassung Steudtners auch ist – es gibt überhaupt keinen Grund für Jubel. Der Akt der türkischen Regierung ist allenfalls ein freundliches Signal in Richtung Deutschland. Mehr aber nicht. Die absurde Anklage gegen den Deutschen besteht weiter und auch der Prozess wird weitergeführt. Und in türkischen Gefängnissen warten mit den Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu sowie acht weiteren Deutschen noch zehn Gefangene auf ihre Freilassung. Von Zehntausenden Türken, die ohne Anklage und öffentliche Unterstützung einsitzen, ganz zu schweigen.

Das sind die Streitpunkte im deutsch-türkischen Verhältnis

weitere Videos

    Yücel und Co. bleiben Geiseln in einem schmutzigen Machtspiel

    Die noch in Haft sitzenden Deutschen bleiben Geiseln in einem schmutzigen Machtspiel jenseits von Recht und Gesetz. Sie wären wohl schon längst wieder zu Hause, wenn die Bundesregierung geflohene türkische Staatsbeamte und Offiziere ausgeliefert hätte. Entsprechende Angebote Ankaras sind mittlerweile bekannt und beweisen: Die Justiz des ewigen EU-Anwärters Türkei ist schon lange nicht mehr unabhängig. Präsident Erdogan gibt sich nicht einmal noch Mühe, das zu kaschieren.

    Unvergessen ist Erdogans öffentliches Urteil über den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel. Auf die Frage, ob der Deutsche nicht freikommen müsse, antwortete der Präsident „auf keinen Fall. Solange ich in diesem Amt bin, niemals.“ Gewaltenteilung – das war einmal in der Türkei. Jetzt ist der Präsident der höchste Richter. Welches türkische Gericht wird es wagen, sich ihm zu widersetzen?

    Bundesregierung darf nicht den Druck von Ankara nehmen

    Die Bundesregierung darf jetzt nicht den Fehler machen und zu früh Druck von Ankara nehmen. Die türkische Regierung hat sich wiederholt ins Unrecht gesetzt, hat in die Bundestagswahl eingegriffen und der Regierung Nazimethoden unterstellt. Deutsche Abgeordnete durften im Nato-Partnerland Türkei nicht einmal die eigenen Soldaten besuchen.

    Das alles kann mit der gönnerhaften Freilassung Peter Steudtners nicht abgegolten sein. Erst wenn weitere Schritte folgen, darf man von einem positiven Trend sprechen. Der aber ist kaum zu erwarten. Im Gegenteil.

    2019 steht in der Türkei ein Super-Wahljahr an. In drei Abstimmungen werden Kommunalvertreter, Parlament und der Präsident gewählt. Erst nach einem Sieg ist Erdogans Griff nach der ganzen Macht perfekt. Bis dahin wird der unversöhnliche, nationalistische Ton Ankaras noch schärfer werden. Das lehrt die Erfahrung aus 18 Jahren Erdogan-Regierung. Auf die deutsche Diplomatie kommt also – trotz aller Freude über die Freilassung Peter Steudtners – noch gewaltig Arbeit zu.