Berlin. Der Umgang der türkischen Justiz mit Peter Steudtner löst weiter Ärger aus. Sein Anwalt nennt die Anklage einen „schlechten Roman“.

Der Fall des in der Türkei inhaftierten deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner sorgt erneut für politische Spannungen. Die Bundesregierung übte scharfe Kritik an dem Strafmaß von bis zu 15 Jahren Gefängnis, das dem Aktivisten droht. Solche Forderungen seien nicht akzeptabel und vollkommen unverständlich, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin: „Wir erwarten von der Türkei, dass die deutschen Staatsangehörigen, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen inhaftiert sind, freigelassen werden.“ Dafür werde sich die Bundesregierung mit allen Möglichkeiten einsetzen.

Die Anklageschrift entspricht nach Einschätzung seiner Anwälte nicht rechtsstaatlichen Standards. „Die Anklageschrift enthält nur Behauptungen und absurde Anschuldigungen“, sagte Steudtner-Anwalt Murat Boduroglu der dpa. „Sie liest sich wie ein schlechter Roman.“ Wegen des Mangels an darin enthaltenen Beweisen erfülle die Anklageschrift die Vorgaben der türkischen Strafprozessordnung nicht. „Wir werden deshalb bei Gericht beantragen, dass kein Hauptverfahren eröffnet wird und dass unsere Mandanten freigelassen werden.“

Vorwurf ist Terror-Unterstützung

Steudtner sitzt seit Juli in Haft. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes werden Steudtner in der Anklageschrift unter anderem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und deren Unterstützung vorgeworfen. Allerdings habe man das Dokument noch nicht einsehen können. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte sich bereits am Sonntagabend besorgt geäußert. „Augenscheinlich wird an den aus Sicht der Bundesregierung absolut nicht nachvollziehbaren Vorwürfen gegen Peter Steudtner unbeirrt festgehalten“, erklärte Gabriel.

Diese Deutschen waren in türkischer Haft

Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation.
Der Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, saß seit Ende Februar 2017 in der Türkei in Untersuchungshaft. Nach 367 Tagen wurde er aus türkischer Haft entlassen. Dem deutsch-türkischen Journalisten und Publizisten wurde wie zahlreichen anderen Medienvertretern Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen. Unter dem nach dem Putschversuch im Sommer 2016 von Staatschef Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand gehen die türkischen Behörden rigoros gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Die gilt in der Türkei als Terrororganisation. © dpa | Soeren Stache
Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte.
Deniz Yücel und seine Frau Dilek Mayatuerk kurz nach der Freilassung aus dem Gefängnis. Die Freilassung Yücels wurde von einem Gericht angeordnet, nachdem die türkische Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorgelegt hatte. © REUTERS | HANDOUT
#FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels.
#FreeDeniz: Diese Solidaritätsbekundung – aufgedruckt auf einem T-Shirt – forderte die Freilassung Yücels. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance /
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt.
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu saß fast acht Monate in der Türkei in Untersuchungshaft. Sie war am 30. April 2017 festgenommen worden, als Polizisten einer Anti-Terror-Einheit ihre Istanbuler Wohnung stürmten. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. © dpa | Lefteris Pitarakis
Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt.
Mehr als fünf Monate nach Festnahme der Mutter eines Sohnes startete am 11. Oktober der Prozess. Am 18. Dezember 2017 entschied dann ein Gericht: Tolu darf die U-Haft verlassen, die Türkei aber nicht verlassen. Ende August dann die Erlösung: Tolu darf zurück nach Deutschland. Die Ausgangsperre wurde aufgehoben. Der Prozess werde allerdings weitergeführt. © Facebook/Mesale Tolu | Facebook/Mesale Tolu
Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben.
Ihr ebenfalls wegen Terrorverdacht inhaftierter Ehemann Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wurde Ende November 2017 aus türkischer Haft entlassen. Er muss vorerst in der Türkei bleiben. © dpa | Linda Say
Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen.
Nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft wurde der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner am 25. Oktober 2017 entlassen. Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung ohne Auflagen beschlossen. Auch die mitangeklagten türkischen Menschenrechtler, die in Untersuchungshaft waren, wurden bis zu einem Urteil in dem Verfahren auf freien Fuß gesetzt, teilweise aber unter Auflagen. © dpa | Emrah Gurel
Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“
Steudtners (2 v.r.) schwedischer Kollege, Ali Gharavi (2 v.l.), durfte auch das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlassen. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“ © REUTERS | OSMAN ORSAL
Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden.
Steudtner war am 5. Juli 2017 bei einem Workshop auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden. © dpa | Privat
Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören.
Der türkischstämmige Unternehmer Özel Sögüt aus Siegen ist im Dezember 2016 verhaftet worden. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihm wird vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören. © privat | privat
1/10

Die türkische Staatsanwaltschaft fordert laut Medienberichten vom Wochenende für elf im Juli festgenommene Aktivisten, darunter Steudtner, bis zu 15 Jahre Haft. Zu den Inhaftierten gehören auch der Vorstandssprecher der türkischen Sektion von Amnesty International, Taner Kilic, sowie die Amnesty-Direktorin Idil Eser. „Jeder einzelne Tag in Haft ist einer zu viel“, sagte der deutsche Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation, Markus Beeko. Er warf den türkischen Behörden vor, das Justizsystem politisch zu instrumentalisieren.

Dagdelem spricht von „Politik nach Mafia-Art“

Scharfe Kritik kam auch aus den Reihen der Linken und der Grünen. Im Deutschlandfunk sprach die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen von einer türkischen Außenpolitik nach „Mafia-Art“. Eine solche Regierung dürfe kein Partner der Bundesregierung sein. Für Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) ist die derzeitige Entwicklung ein „Beweis für die massive Erosion rechtsstaatlicher Normen unter Präsident Recep Tayyip Erdogan“. Beide forderten die Freilassung der Menschenrechtler.

Die Pfarrerin an der evangelischen Gethsemanekirche, Almut Bellmann, sagte dem Evangelischen Pressedienst, die Gemeinde schwanke zwischen Entsetzen und Hoffnung. Für Montagabend war in der Kirche wieder eine Fürbittandacht für Steudtner und andere in der Türkei inhaftierte Journalisten und Menschenrechtsaktivisten geplant. In der Gemeinde im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg gibt es seit Juli immer montags Fürbittandachten sowie täglich Gebete für Steudtner und seine Mitgefangenen. (epd/dpa)