Berlin/Gütersloh. Bei der Bundestagswahl schnitt die AfD besonders gut ab. Für die Demokratie ergeben sich laut einer Studie dadurch neue Konfliktlinien.

Das Bundestagswahlergebnis 2017 hat einer Studie zufolge eine neue gesellschaftliche Konfliktlinie zutage gefördert. Statt der herkömmlichen Links-Rechts-Kategorien gebe es in Deutschland eine „neue Konfliktlinie der Demokratie zwischen Modernisierungsskeptikern und Modernisierungsbefürwortern“, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung. Zugleich sei durch die gestiegene Wahlbeteiligung die soziale Spreizung der Wählerschaft besser repräsentiert.

Für die repräsentative Studie mit dem Titel „Populäre Wahlen – Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017“ befragte das Institut YouGov im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung nach der Wahl 10.000 Bundesbürger. Zudem basiert die Studie auf Wahlkreisdaten von infratest dimap.

AfD-Wahlerfolg nicht vorrangig ostdeutsches Phänomen

Studienautor Robert Vehrkamp betonte, dass insbesondere der Wahlerfolg der AfD nicht vorrangig als ostdeutsches Phänomen interpretiert werden dürfe. Statt einer regionalen Spaltung gebe es eine neue Konfliktlinie zwischen verschiedenen sozialen Milieus, begründete der Leiter des Programms „Zukunft der Demokratie“ der Bertelsmann-Stiftung und Gastwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).

Auch bisherige Links-Rechts-Zuschreibungen hätten für die Erklärung des Wahlverhaltens und für das Parteienspektrum ausgedient. Die neue Spaltung der Wählerschaft in Modernisierungsskeptiker und -befürworter könne auch in Zukunft die politischen Auseinandersetzungen und Wahlergebnisse prägen, sagte Vehrkamp. Ähnliche Entwicklungen gebe es etwa in Frankreich, Österreich, den Niederlanden und den USA.

Das sind die Gesichter der AfD

Bernd Lucke gründete im Februar 2013 die Alternative für Deutschland. Er wurde ihr erster Vorsitzender und das Gesicht der Partei. Zu Beginn stand vor allem die Kritik am Euro im Mittelpunkt.
Bernd Lucke gründete im Februar 2013 die Alternative für Deutschland. Er wurde ihr erster Vorsitzender und das Gesicht der Partei. Zu Beginn stand vor allem die Kritik am Euro im Mittelpunkt. © Getty Images | Volker Hartmann
Das Zerwürfnis: Im Juli 2015 auf dem AfD-Parteitag in Essen kam es zum Bruch zwischen Parteichef Bernd Lucke und der Co-Vorsitzenden Frauke Petry. Lucke verließ danach die Partei und gründete die neue Partei „Alfa“. Petry führt seitdem die AfD.
Das Zerwürfnis: Im Juli 2015 auf dem AfD-Parteitag in Essen kam es zum Bruch zwischen Parteichef Bernd Lucke und der Co-Vorsitzenden Frauke Petry. Lucke verließ danach die Partei und gründete die neue Partei „Alfa“. Petry führt seitdem die AfD. © Getty Images | Volker Hartmann
Bei dem Streit zwischen Bernd Lucke und Frauke Petry ging es nicht nur um die Macht in der AfD, sondern auch um deren Kurs. Unter Petry verlagerte sich der Schwerpunkt schnell in Richtung Anti-Islam-Partei.
Bei dem Streit zwischen Bernd Lucke und Frauke Petry ging es nicht nur um die Macht in der AfD, sondern auch um deren Kurs. Unter Petry verlagerte sich der Schwerpunkt schnell in Richtung Anti-Islam-Partei. © Getty Images | Volker Hartmann
Alexander Gauland, ein ehemaliger Journalist, steht heute für das national-konservative Gesicht der AfD. Er ist Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag von Brandenburg.
Alexander Gauland, ein ehemaliger Journalist, steht heute für das national-konservative Gesicht der AfD. Er ist Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag von Brandenburg. © dpa | Ralf Hirschberger
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke gehört zu den absoluten Hardlinern der AfD. Sein Auftritt bei Günther Jauch in der ARD, als er eine Deutschlandfahne aus der Jacke zog, sorgte für reichlich Schlagzeilen.
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke gehört zu den absoluten Hardlinern der AfD. Sein Auftritt bei Günther Jauch in der ARD, als er eine Deutschlandfahne aus der Jacke zog, sorgte für reichlich Schlagzeilen. © dpa | Martin Schutt
Björn Höcke provozierte mit einer Rede über die „Reproduktionslehre“ in Afrika scharfe Kritik aus den anderen Parteien.
Björn Höcke provozierte mit einer Rede über die „Reproduktionslehre“ in Afrika scharfe Kritik aus den anderen Parteien. © imago stock&people | Stefan Zeitz
Beatrix von Storch sorgte mit bizarren Talkshow-Auftritten im Fernsehen und mit ihrer Wortmeldung zum Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge an der Grenze für Aufregung. Die Europa-Abgeordnete der AfD wurde im April 2016 aus der europaskeptischen EKR-Fraktion im EU-Parlament ausgeschlossen.
Beatrix von Storch sorgte mit bizarren Talkshow-Auftritten im Fernsehen und mit ihrer Wortmeldung zum Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge an der Grenze für Aufregung. Die Europa-Abgeordnete der AfD wurde im April 2016 aus der europaskeptischen EKR-Fraktion im EU-Parlament ausgeschlossen. © imago | Müller Stauffenberg
AfD-Chefin Frauke Petry (m.) ist in der Partei nicht unumstritten. Das gilt auch für Markus Pretzell (r.), Landesparteichef in NRW und Europa-Abgeordneter. Petry und Pretzell sind privat liiert.
AfD-Chefin Frauke Petry (m.) ist in der Partei nicht unumstritten. Das gilt auch für Markus Pretzell (r.), Landesparteichef in NRW und Europa-Abgeordneter. Petry und Pretzell sind privat liiert. © dpa | Urs Flueeler
Die AfD hat rund 20.000 Mitglieder. Die Flüchtlingskrise brachte ihr großen Zulauf, sie zog 2016 in die Landtage von Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein.
Die AfD hat rund 20.000 Mitglieder. Die Flüchtlingskrise brachte ihr großen Zulauf, sie zog 2016 in die Landtage von Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein. © Getty Images | Carsten Koall
In bundesweiten Umfragen liegt die Partei eineinhalb Jahren vor der Bundestagswahl 2017 zwischen zehn und zwölf Prozent.
In bundesweiten Umfragen liegt die Partei eineinhalb Jahren vor der Bundestagswahl 2017 zwischen zehn und zwölf Prozent. © imago stock&people | Bild13
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AfD-Wähler oft aus modernisierungsskeptischen Milieus

In der Bertelsmann-Studie wurde den Angaben zufolge erstmals das Wahlverhalten von sozialen Milieus bei einer Bundestagswahl analysiert. Die sogenannten zehn Sinus-Milieus werden von Forschern zunehmend für die Erklärung gesellschaftlicher Entwicklungen genutzt, weil sozialökonomische Faktoren wie Einkommen und Bildung nicht mehr ausreichend seien. Hinzu kommen nun auch Werteorientierungen. Unterteilt wird die Wählerschaft danach in gesellschaftliche Gruppen wie etwa „Prekäres Milieu“, „Traditionelles Milieu“, „Bürgerliche Mitte“, „Liberal-Intellektuelles Milieu“ oder „Milieu der Performer“.

In modernisierungsskeptischen Milieus identifizieren sich der Studie zufolge die Menschen mit Begriffen wie „Tradition“ oder „Besitzstandswahrung“. Für modernisierungsoffene Milieus seien dagegen „Grenzüberwindungen“ und „Beschleunigung“ prägende Begriffe. Knapp zwei Drittel aller AfD-Wähler (65 Prozent) kämen aus Milieus, die eher modernisierungsskeptisch sind. Dabei habe die AfD im Parteienspektrum ein Alleinstellungsmerkmal, sagte Vehrkamp.

Wieder mit Lebensrealität der Wähler befassen

Zugleich habe die AfD wie keine andere Partei vor allem sozial prekäre Nichtwähler mobilisieren können. Durch diesen „AfD-Effekt“ sei die soziale Spaltung der Wählerschaft 2017 zum ersten Mal seit 1998 wieder spürbar gesunken. Zudem betonte Vehrkamp, dass sich etablierte Parteien künftig „wieder stärker mit der Lebensrealität der Wähler in verschiedenen sozialen Milieus“ befassen müssten. (epd)