Berlin. Abi-Noten können die berufliche Zukunft verbauen. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über den Numerus clausus im Medizinstudium.

Können nur Schüler mit Einserabitur gute Ärzte werden? Mit Sicherheit nicht. Doch beim Medizinstudium ist der Numerus clausus heute ein Nadelöhr, das nur noch Bewerber mit Spitzennoten durchlässt – und Kandidaten mit schlechteren Abizeugnissen zu Wartezeiten von mehr als sieben Jahren zwingt. Gut möglich, dass sich das nun ändert. Am Mittwoch verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Zulassungsregeln für Mediziner.

Sollten die Karlsruher Richter entscheiden, dass die aktuelle Praxis bei der Studienplatzvergabe nach NC gegen die Verfassung verstößt, müsste die neue Bundesregierung ein anderes Verfahren festlegen.

Peter Henke, Richter am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, bezweifelt, dass die bundesweite Regelung für die Zulassung zum Medizinstudium heute noch mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Denn die Lage hat sich in den letzten Jahren drastisch verschärft: Im Fach Humanmedizin kamen zum Wintersemester 2017/18 fünf Bewerber auf einen Studienplatz; vor 20 Jahren waren es nur zwei Bewerber. Mehr noch: In den Fächern Humanmedizin, Tiermedizin, Zahnmedizin und Pharmazie werden die Studienplätze bundesweit zentral vergeben.

Ein Fünftel der Studienplätze wird nach Wartezeit vergeben

20 Prozent der Plätze gehen an die Bewerber mit den besten Abiturnoten. Angesichts der steigenden Zahl von Einserabiturienten reicht aber oft ein Schnitt von 1,0 nicht aus. Nur, wer sehr nahe an der Maximalzahl von 900 Abiturpunkten liegt, hat in der Humanmedizin eine Chance. Ein weiteres Fünftel der Studienplätze wird nach Wartezeit vergeben. Im aktuellen Wintersemester kamen nur Bewerber zum Zuge, die bereits mehr als sieben Jahre gewartet hatten. Und damit deutlich länger als die Regelstudienzeit. In der Zahnmedizin waren es sechs Jahre, in der Tiermedizin fünf Jahre, heißt es bei der Stiftung für Hochschulzulassung in Dortmund.

Für die übrigen 60 Prozent der Plätze hat jede Hochschule ein eigenes Auswahlverfahren. Doch auch hier geht oft nichts ohne den NC. Ungerecht finden viele zudem, dass sich die Unis nicht dafür interessieren, ob der Bewerber aus einem Bundesland mit hoher Einserquote kommt oder sich das Abi härter erkämpfen musste als andere.

Ärztevertreter und Politik drängen die Länder zum Handeln

Sicher, es gebe Unis, die einem ausgebildeten Rettungssanitäter 0,1 Punkte beim NC gutschreiben würden. „Am Ende ist es aber immer die Note, die entscheidet“, sagt Wilhelm Achelpöhler, der als Rechtsanwalt bereits etliche enttäuschte Medizinbewerber vertreten hat. Mit dem Grundrecht auf Berufsfreiheit, mit Zumutbarkeit und Gleichheitsprinzip hat die aktuelle Praxis in den Augen der Kritiker jedenfalls nur noch wenig zu tun. Die Gelsenkirchener Richter wollen die Frage nun in Karlsruhe klären lassen.

Ärztevertreter und Politik drängen die Länder und ihre Universitäten seit Langem zum Handeln. „Das Zulassungsverfahren zum Medizinstudium muss dringend reformiert werden“, sagt Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Bund und Länder hatten sich bereits in der vergangenen Wahlperiode auf einen „Masterplan Medizinstudium 2020“ geeinigt.

Studienstruktur und Ausbildung müssten geändert werden

Hochschulen sollen bei der Bewerberauswahl nicht nur gute Noten, sondern auch soziale Fähigkeiten berücksichtigen; und Erfahrungen im Rettungsdienst oder in der Alten- sowie Krankenpflege einbeziehen. „Unsere Gesellschaft des längeren Lebens braucht gut ausgebildete junge Ärztinnen und Ärzte mit Teamgeist, Begeisterung für den Beruf und der Fähigkeit, mit Patientinnen und Patienten auf Augenhöhe zu sprechen“, sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) dieser Zeitung. Studienstruktur und Ausbildung müssten geändert werden.

Auch eine Landarztquote ist geplant: Um den Ärztemangel außerhalb der Ballungszentren zu bekämpfen, sollen die Länder bis zu zehn Prozent der Studienplätze an Bewerber vergeben, die sich verpflichten, nach Abschluss des Studiums bis zu zehn Jahre in unterversorgten Regionen tätig zu sein. Jetzt sind die Länder am Zug, den Masterplan umzusetzen. Das Karlsruher Urteil wird in den nächsten Monaten erwartet – je nachdem, wie es ausfällt, könnte es den Druck noch erhöhen.