Berlin. Die neue SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles bläst zur Attacke auf die Union. Schon 2021 will die SPD wieder an die Regierung kommen.

Als ihr Aufstieg an die SPD-Fraktionsspitze endlich besiegelt ist, zeigt sich Andrea Nahles tief erleichtert: „Ein sehr glücklicher Tag“ sei das für sie, erklärt die bisherige Arbeitsministerin am Mittwochmittag, eine „große Ehre“ sei das Amt. Dass die 153 SPD-Abgeordneten im Bundestag sie kurz zuvor mit rund 90 Prozent zu ihrer Vorsitzenden gewählt haben, nennt Nahles etwas unbescheiden „den Beginn eines Erneuerungsprozesses der SPD“.

Und dann macht die 47-Jährige, die einst für ihre Schnodderschnauze berüchtigt war, auch schnell klar, womit im Bundestag jetzt zu rechnen ist: Die neue Oppositionsführerin will vor allem die Union scharf attackieren. „Wir gehen nicht in die Opposition, um in der Opposition zu bleiben“, sagt Nahles. Schon 2021 solle die so schwer abgestürzte Partei wieder an die Regierung kommen.

Nahles hat viele Jahre polarisiert

Sie blickt auf die letzte Kabinettssitzung am Morgen zurück und fügt dann mit lautem Lachen hinzu: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse.“ So schnell schaltet Nahles also um von der Arbeitsministerin zur Oppositionsführerin. Vier Jahre lang hatte sie sich im Kabinett Anerkennung mit sozialpolitischer Sacharbeit erworben, jetzt scheint es, als kehre sie zurück in frühere Rollen. Nahles hat viele Jahre lang polarisiert, in der Öffentlichkeit wie in der Partei.

Sie war in den 90er-Jahren Juso-Vorsitzende, später wurde sie Frontfrau des linken SPD-Flügels. Dem wird die studierte Germanistin immer noch zugerechnet, auch wenn sie sich als Ministerin zur Pragmatikerin gemausert hatte, die lieber praktisch gestaltet als ideologische Glaubenskämpfe austrägt. Eine Zeit lang hing ihr der Ruf der „Königsmörderin“ an, weil sie 2005 mit anderen Genossen eher ungewollt Parteichef Franz Müntefering zu Fall gebracht hatte. Nahles stieg dennoch zur Vizeparteichefin auf und wurde 2009 Generalsekretärin unter dem Vorsitzenden Sigmar Gabriel – eine Allianz, die recht bald brüchig wurde.

In der SPD ist Nahles gut verletzt

Nahles kennt die Partei wie ihre Westentasche, sie ist extrem gut vernetzt: Schon mit 18 Jahren trat sie in die SPD ein, gründete während ihres Engagements für einen Jugendraum den SPD-Ortsverein in ihrem Heimatdorf Weiler in der Eifel; dort auf dem Land ist sie immer noch zu Hause, verbringt jedes freie Wochenende in einem umgebauten Bauernhof – erst recht, seitdem die Ehe mit dem Bonner Kunsthistoriker Marcus Frings vor zwei Jahren in die Brüche ging. Um die gemeinsame Tochter Ella Marie (6) kümmern sich beide.

In die SPD habe sie durch ihren christlichen Hintergrund gefunden, sagt Nahles: Sie war Oberministrantin, der Vater, ein Maurermeister, leitete den Kirchenchor, die Mutter saß im Verwaltungsrat der Pfarrgemeinde. Eine klassische Linke war sie mit dieser Herkunft nie, wie Weggefährten versichern. Ihren katholischen Hintergrund betont Nahles auch heute, im Bundestag hat sie bei ethischen Grundfragen – Spätabtreibungen, Sterbehilfe – eher mit der Union gestimmt. Aber sie weiß eben auch sehr gut, was ihre SPD nach der katastrophalen Niederlage jetzt hören will: Sie habe in der Fraktion eine „Aufbruchstimmung“ gespürt und eine „Lust, die Oppositionsrolle anzunehmen“. Die SPD müsse ihr Profil schärfen.

Peter Struck ist ihr Vorbild

Ein paar Ideen präsentiert die Fraktionschefin schon: Wie sich der neue „digitale Kapitalismus“ mit der sozialen Marktwirtschaft vereinbaren lasse, solle ein großes Thema werden. Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit müsse im Alltag besser nachvollziehbar werden, mahnt sie. Und das Sicherheitsbedürfnis der Bürger müsse mit der Verkopplung von Polizei und Prävention stärker Niederschlag in der SPD-Politik finden. Im Bundestag will Nahles die SPD als „die Euro-Partei“ profilieren.

Doch verlangt sie von den Abgeordneten jetzt nicht nur Leidenschaft, sondern auch Disziplin: Der knurrige Peter Struck, der die SPD-Fraktion acht Jahre lang recht streng geführt hatte, habe sie stark geprägt.

Bei der Aufgabe, die Fraktion geordnet in die Opposition zu führen, wird ihr Carsten Schneider als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer zur Seite stehen: Der Erfurter Abgeordnete aus dem konservativen Seeheimer Kreis der SPD erhielt in der Fraktion allerdings nur 77 Prozent der Stimmen, ein Ergebnis der Querelen zwischen linkem und rechtem Flügel der Fraktion. Das bislang von Nahles geführte Arbeitsministerium übernimmt vorübergehend Familienministerin Katarina Barley (SPD).