Berlin. Nach dem schlechten Wahlergebnis wächst der Druck auf Horst Seehofer. Rufe nach einem personellen Neuanfang in der CSU werden lauter.

Die vergangenen beiden Tage haben Spuren hinterlassen – man sieht es dem bayerischen Ministerpräsident am Dienstag einen kurzen Moment lang an. Er streicht sich über die Brauen, verdeckt das Gesicht kurz hinter seinen Händen, atmet tief durch.

Neben dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer sitzt in der bayerischen Landesvertretung zur gleichen Zeit der frisch gewählte Chef der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt. Er erklärt, dass die CSU nicht der 16. Landesverband der CDU sei, „sondern eine eigenständige politische Kraft“. Die man nicht übergehen dürfe.

Die Schwesterparteien haben viel zu bereden

So weit, so gut. Das hat auch Seehofer in den aufreibenden Stunden seit Sonntagabend in München mantraartig betont. Diese Salven waren im Kanzleramt im fernen Berlin nicht zu überhören. Am Dienstagmorgen kommt es dann zur ersten persönlichen Begegnung mit Kanzlerin Angela Merkel.

Gesprächsbedarf zwischen den Vorsitzenden der Schwesterparteien CDU und CSU gibt es viel: Merkel hatte am Montag in ihrer Wahlanalyse erklärt, sie sehe nicht, was sie grundsätzlich ändern solle, sie habe den Wahlkampf nach ihren Vorstellungen geplant und geführt. Seehofer dagegen beharrte in München zwei Stunden später darauf, vor Sondierungen mit FDP und Grünen stehe eine neue gemeinsame Kursbestimmung der Schwestern.

Neue Risse zwischen CDU und CSU

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    Die CSU will , dass der Kurs der Union bayerischer wird

    Und er hat keinen Hehl daraus gemacht, dass es ein Kurs der bayerischen Positionen sein soll. Insbesondere in der Flüchtlingsfrage, die rote Linie der CSU. Hinter den Begriff der Obergrenze, die den Zuzug nach Deutschland begrenzen soll, will man in München nicht zurück. Und Merkel lehnte dies bislang auch unter größtem Druck genauso strikt ab. Eine verfahrene Situation, die jetzt unter Zeitdruck gelöst werden soll. Und in der es schon in den vergangenen beiden Jahren keine Annäherung gab.

    Deswegen sind für die CSU die inhaltlichen Probleme auf dem Weg zu einer Jamaika-Koalition aus FDP und Grünen erst einmal zweitrangig. In der Flüchtlingspolitik und der Auseinandersetzung mit Merkel, da habe man den Kurs verloren, sagen sie in der Partei. „Klärungsbedarf“ nennt es der Seehofer-Vertraute Dobrindt, der nun für die Abteilung Attacke zuständig ist. „Wir müssen dafür sorgen, dass man in Koalitionsverhandlungen mit gemeinsamen Linien auftreten kann.“ Das wolle man „in den nächsten Tagen“ mit der CSU umsetzen. Möglichst geräuschlos, denn bis zum 15. Oktober, dem Tag der Landtagswahl in Niedersachsen, soll es auf keinen Fall einen öffentlichen Disput geben.

    Für Seehofer geht es auch um das politische Überleben

    Doch es brodelt in der CSU, und zwar gewaltig. Die 38,8 Prozent, ein Minus von 10,5 Prozent, sind ein Debakel, für eine Partei, die sich als den Staat tragend definiert. Im Bundestag stellt die CSU künftig die kleinste Gruppe. Zu allem Überfluss korrigiert der Wahlleiter am Dienstag das Ergebnis der Union von 33 auf 32,9 nach unten.

    Doch für Seehofer geht es um mehr, es geht um das politische Überleben. Er selbst hatte ein Spektakel aus der Suche nach einem würdigen Nachfolger gemacht, im April verkündete er dann, dass er bei der Suche nur sich selbst gefunden habe – und über die Landtagswahl 2018 hinaus weitermachen wolle. Wenn die Bundestagswahl schiefgehe, könne man ihn „köpfen“.

    CSU debattiert Fraktionsgemeinschaft mit der CDU

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      Zahlreiche Stimmen aus der CSU fordern Seehofers Rücktritt

      So weit ist es noch nicht, doch es braut sich was zusammen. Am Dienstag fordern immer mehr bayerische Landtagsabgeordnete, Orts- und Kreisverbände den Ministerpräsidenten auf, Konsequenzen aus dem historischen schlechten Ergebnis zu ziehen. Als erster Bezirksverband stellt die Oberpfalz-CSU Seehofers politische Zukunft infrage. Auch Seehofers Dauerrivale, der bayerische Finanzminister Markus Söder, genießt es von „Debakel“ und dem „schlechtesten Wahlergebnis seit 1949“ zu sprechen. Er weiß auch, dass im November ein Wahlparteitag der CSU ins Haus steht. Der Platz für die Abrechnung. Das setzt Seehofer in Berlin gehörig unter Druck.

      Er nennt es eine Debatte zur Unzeit. Nach dem enttäuschenden Ergebnis gehörten Fragen und Diskussionen zwar zur demokratischen Normalität, „aber mit dem richtigen Stil und am richtigen Platz: Parteitag.“ Er betont: „Wir werden keine schrägen Kompromisse machen“, und verweist darauf, dass er die Zustimmung eines CSU-Parteitags und möglicherweise auch die Zustimmung der Basis in einer Mitgliederbefragung braucht. Es klingt wie eine Beschwörung.

      Anfang Oktober soll die unionsinterne Einigung stehen

      Am Nachmittag dann das erste öffentliche Aufeinandertreffen von Merkel und Seehofer vor den neuen und alten Abgeordneten. Die Kanzlerin analysiert einen Stimmungsumschwung im Land nach dem TV-Duell Anfang September. Man müsse jetzt „den Leuten zeigen, dass wir verstanden haben, was sie von uns erwarten“, wird sie später zitiert.

      Seehofer spricht danach, macht deutlich, dass man diese Einschätzung nun auch nach außen öffentlich machen muss. „Wir dürfen jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen.“ Die Linie, darauf haben die beiden sich verständigt, ist, dass man sich in der ersten Hälfte des Oktobers innerhalb der Union verständigt und dann gemeinsam und geschlossen in die Sondierungen geht.

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        Ein Viertel der Abgeordneten stimmt gegen Kauder

        Ein guter Plan, doch auch wenn es bis auf eine Handvoll Wortmeldungen ruhig in der Fraktionssitzung bleibt und mit Kritik gespart wurde: Ein Viertel der Abgeordneten stimmt gegen den neuen Fraktionschef von der CDU, Volker Kauder. Ein klarer Dämpfer. Es soll Ideen einer Befristung gegeben haben, eine CSU-Abgeordnete formuliert, man habe sich einen personellen Neuanfang erhofft.

        Und Seehofer? Auf die Frage, ob die Kanzlerin ihm bei seiner Forderung nach einer Obergrenze für die Zahl der Flüchtlinge entgegengekommen sei, entgegnet er nach der Sitzung: „Warten wir es ab.“ Seine Erfahrung lehre ihn, dass man vernünftige Lösungen am besten dann bekomme, wenn man nicht öffentlich darüber diskutiere.

        Kämpfen, so sagt er dann noch im kleinen Kreis, das wolle er – wie nach seiner schweren Krankheit auch. Kämpfen, für einen klaren Kurs, dann eine starke Regierung. Doch er wird für mehr kämpfen müssen. Am heutigen Mittwoch trifft sich in München die Landtagsfraktion.