Berlin. Die Grünen erzielen ein überraschend gutes Wahlergebnis. Damit können sie selbstbewusst in Koalitionsgespräche mit Union und FDP gehen.

Für die Grünen ist es ein Abend der Erleichterung. „Hey. Wow“, sagt Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Ihre Anhänger im Vollgutlager in Neukölln jubeln. „Wer hätte das gedacht?“ Neben ihr steht Co-Spitzenkandidat Cem Özdemir. Auch auf seinem Gesicht vor allem Erleichterung. Es ist ein schöner, aber kein perfekter Abend für die Grünen. Für eine ausgelassene Party ist die AfD einfach zu stark.

Das Ergebnis der Grünen ist wahrscheinlich das zweitbeste in der Geschichte der Partei. Die Öko-Partei hat sich bei gestiegener Wahlbeteiligung verbessert. De facto haben also mehr Menschen Grün gewählt als vor vier Jahren. Dabei sah es in den Umfragen lange so aus, als würden die Grünen schwächer abschneiden als bei der Bundestagswahl 2013.

Es ist die Geschichte eines unerwarteten Aufschwungs. Vor sieben Tagen sagte Göring-Eckardt auf dem Wahlparteitag im Gasometer in Berlin noch: „Am nächsten Sonntag werden wir so eine richtige, richtige Überraschung erleben.“ Kaum jemand dachte, dass sie recht behalten sollte. Doch sie behielt recht. Zumindest ein bisschen.

Grüne wären bei Jamaika das linke Korrektiv

Die Spitzenkandidaten haben zwar ihr erstes Ziel, die Grünen zweistellig zu machen, nicht erreicht. Das zweite Ziel – die Partei in die Regierung bringen – könnte aber klappen. Die Grünen wollen ernsthaft mit allen Parteien sprechen, die für eine Koalition infrage kommen. Göring-Eckardt und Özdemir könnten Bundesminister werden.

Also Schwarz-Gelb-Grün statt großer Koalition? Jamaika? Das klingt so locker, entspannt. Nach Spaß und wenig Arbeit. Sonne, Strand, Rasta-Zöpfe, vielleicht ein bisschen Marihuana. Doch der Weg dahin wird steinig. Vor allem für die Grünen: In einer schwarz-gelb-grünen Koalition wären sie aus ihrer Sicht das linke Korrektiv für mehr Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit.

Die Grünen haben im Wahlkampf voll auf Umwelt gesetzt. Doch ihre Themen wurden kaum diskutiert. Nur kurz kam ein Streit über das Ende des Verbrennungsmotors auf. Umso überraschender ist ihr Ergebnis.

Grüne: Werden kein einfacher Partner sein

Es könnte so laufen: Union und FDP machen ein paar Zugeständnisse an die Öko-Partei, etwa bei den Kohle-Kraftwerken, dem Verbrennungsmotor oder einer besseren Bildung für alle Kinder. Die Grünen brauchen auch Erfolge in der Sozialpolitik, damit SPD und Linke sie nicht wirksam als Verräter des linken Lagers brandmarken können.

Göring-Eckardt kündigt am Wahlabend an, dass es nicht leicht wird: „Wir werden kein einfacher Partner sein.“ Auch Özdemir legt die Latte hoch: „Wir wollen dieses Land verändern.“ Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagt, dass man ernsthaft über eine Regierungsbeteiligung verhandeln werde.

Grüne offen für Gespräche über Jamaika-Koalition

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    Große Differenzen mit FDP und CSU

    Die Frage ist nun, ob der linke Parteiflügel pragmatisch denkt und mit Union und FDP regieren will: Noch vor einem Jahr konnte sich das kaum jemand vorstellen. Die Parteilinke träumte eher von einem „Breilibü“ – einem breiten linken Bündnis aus SPD, Grünen und der Linken.

    Warum Schwarz-Gelb an die Macht bringen? Mit den „Klimawandel-Leugnern“ von der FDP (Göring-Eckardt) koalieren, die man zuletzt verstärkt attackiert hat? Und mit der CSU, die für eine Obergrenze für Flüchtlinge und die Pkw-Maut steht? Man braucht schon viel Fantasie, um sich den langhaarigen Öko Anton Hofreiter neben den CSU-Ministern auf der Regierungsbank vorzustellen.

    Grüne Flexibilität deutete sich schon an

    Doch auch auf dem linken Flügel gibt es mittlerweile Grüne, die pragmatisch denken. Die lieber mit den ungeliebten Parteien rechts der Mitte koalieren und zumindest ein paar ökologische Ideen umsetzen wollen, als noch mal vier Jahre in die Opposition zu gehen. Ganz nach dem Wahlkampfmotto: „Grün macht den Unterschied.“

    Wie flexibel die linken Grünen gegenüber der Union werden könnten, deutet sich schon am Wahlabend an: Hofreiter gratuliert der Union, die ja schließlich stärkste Kraft geworden sei. Da klingt der Alt-Linke Jürgen Trittin schon anders: „Die CDU muss ökologischer werden. Die FDP muss sozialer werden. Und die CSU muss liberaler werden.“ Am Ende könnten die Parteilinken die staatsbürgerliche Verantwortung betonen, die sie dazu bewegt, in eine Jamaika-Koalition einzutreten. Neuwahlen will niemand.

    Grüne stehen vor harten Wochen

    Jetzt können die Grünen mit neuem Selbstbewusstsein in mögliche Sondierungsgespräche gehen. Sie sind zwar nicht stärker als die FDP, die den Vizekanzler stellen könnte. Aber sie sind gewachsen. Sie verhandeln also aus einer Position der Stärke.

    Es stehen komplizierte Verhandlungen an. Niemand will eine schnelle Lösung, schließlich steht in drei Wochen die niedersächsische Landtagswahl an. Klappt es mit Jamaika, fürchten manche Grüne schon eine aggressiv und provokativ auftretende CSU. Die angeschlagenen Christsozialen wollen ihre absolute Mehrheit bei der bayerischen Landtagswahl in einem Jahr um jeden Preis verteidigen. Die Grünen stehen vor harten Wochen und Monaten.

    In Bildern: Sieger und Verlierer der Bundestagswahl

    Die Alternative für Deutschland (AfD) ist eine der Gewinnerinnen der Bundestagswahl. Spitzenkandidat Alexander Gauland ist dementsprechend gut gelaunt.
    Die Alternative für Deutschland (AfD) ist eine der Gewinnerinnen der Bundestagswahl. Spitzenkandidat Alexander Gauland ist dementsprechend gut gelaunt. © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
    Auch Beatrix von Storch, stellvertende Parteisprecherin der AfD, strahlt. Die Partei zieht erstmals in den Bundestag ein - und dann gleich als drittstärkste Kraft.
    Auch Beatrix von Storch, stellvertende Parteisprecherin der AfD, strahlt. Die Partei zieht erstmals in den Bundestag ein - und dann gleich als drittstärkste Kraft. © dpa | Bernd Von Jutrczenka
    Ausgelassene Stimmung auf der Wahlparty der AfD.
    Ausgelassene Stimmung auf der Wahlparty der AfD. © dpa | Bernd Von Jutrczenka
    Auf der Wahlparty der SPD sorgt die erste Prognose dagegen für lange Gesichter. Die Partei stürzt auf ein Rekordtief.
    Auf der Wahlparty der SPD sorgt die erste Prognose dagegen für lange Gesichter. Die Partei stürzt auf ein Rekordtief. © dpa | Christian Charisius
    Auch diese Gäste der Wahlparty der SPD reagieren enttäuscht und müssen erst einmal durchatmen.
    Auch diese Gäste der Wahlparty der SPD reagieren enttäuscht und müssen erst einmal durchatmen. © dpa | Wolfgang Kumm
    „Keine GROKO mehr“: Nicht nur dieser SPD-Anhänger sondern auch das Spitzenpersonal der Partei erklärt die Große Koalition aus Union und SPD für beendet.
    „Keine GROKO mehr“: Nicht nur dieser SPD-Anhänger sondern auch das Spitzenpersonal der Partei erklärt die Große Koalition aus Union und SPD für beendet. © dpa | Christian Charisius
    SPD-Spitzenkandidat Martin sprach vor den Anhängern von einem bitteren Tag für die Sozialdemokratie.
    SPD-Spitzenkandidat Martin sprach vor den Anhängern von einem bitteren Tag für die Sozialdemokratie. © REUTERS | MICHAEL DALDER
    Anhänger der Union jubeln. Aber ganz zufrieden können die Christdemokraten nicht sein. Sie werden zwar die größte Fraktion stellen, haben aber dramatisch an Wählerstimmen verloren.
    Anhänger der Union jubeln. Aber ganz zufrieden können die Christdemokraten nicht sein. Sie werden zwar die größte Fraktion stellen, haben aber dramatisch an Wählerstimmen verloren. © REUTERS | KAI PFAFFENBACH
    Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in ihrer ersten Reaktion: „Wir haben einen Auftrag, eine Regierung zu bilden. Und gegen uns kann keine Regierung gebildet werden.“
    Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in ihrer ersten Reaktion: „Wir haben einen Auftrag, eine Regierung zu bilden. Und gegen uns kann keine Regierung gebildet werden.“ © REUTERS | KAI PFAFFENBACH
    Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer erlebte ein Desater. Die Partei fuhr das vorraussichtlich schlechteste Bundestagswahlergebnis seit 1949 ein.
    Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer erlebte ein Desater. Die Partei fuhr das vorraussichtlich schlechteste Bundestagswahlergebnis seit 1949 ein. © REUTERS | Michaela Rehle
    Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, freut sich mit Parteianhängern.
    Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, freut sich mit Parteianhängern. © dpa | Britta Pedersen
    Auch die Gäste der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen sind mit dem Abschneiden ihrer Partei zufrieden.
    Auch die Gäste der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen sind mit dem Abschneiden ihrer Partei zufrieden. © dpa | Soeren Stache
    Die Spitzenkandidaten der Partei, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, sind sichtlich erleichtert.
    Die Spitzenkandidaten der Partei, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, sind sichtlich erleichtert. © dpa | Ralf Hirschberger
    Die Anhänger der FDP freuen sich darüber, dass der Partei nach vier Jahren die Rückkehr in den Bundestag gelingt.
    Die Anhänger der FDP freuen sich darüber, dass der Partei nach vier Jahren die Rückkehr in den Bundestag gelingt. © REUTERS | RALPH ORLOWSKI
    Christian Lindner, Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat der FDP, wird im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin frenetisch bejubelt.
    Christian Lindner, Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat der FDP, wird im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin frenetisch bejubelt. © dpa | Federico Gambarini
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