Wien. Vor der Wahl in Österreich liegt ÖVP-Chef Sebastian Kurz klar in Führung. Er will die Republik nach einem Sieg grundlegend verändern.

„Es ist Zeit“ – heißt es auf den Plakaten des 31-jährigen ÖVP-Chefs. Das klingt fast so wie „Der Messias ist da“. Die Haare prinzenhaft nach hinten gekämmt blickt er ins Weite – so als würde nur er den Weg kennen. Sebastian Kurz wirbt in Österreich mit einer verheißungsvollen Zukunft unter seiner künftigen Kanzlerschaft, ganz so, als wäre er sich dieser bereits sicher. Und sieht man sich die Umfragen an, kann man davon ausgehen, dass die Konservativen unter seiner Führung am 15. Oktober die meisten Stimmen bekommen.

Die ÖVP – nun auch total personalisiert „Liste Kurz“ genannt – liegt mit 33 Prozent seit Monaten stabil in Führung, gefolgt von der bisher stimmenstärksten SPÖ und der FPÖ mit jeweils 23 bis 24 Prozent. Die Grünen liegen demnach bei sieben Prozent – was für österreichische Verhältnisse sehr wenig ist. Die liberalen Neos und die Liste des Grün-Abtrünnigen Peter Pilz wollen diesen Umfragen zufolge fünf Prozent der Wahlberechtigten wählen. Anders als in Deutschland, wo der SPD-Kandidat Schulz mit seiner Kandidatur nur ein Strohfeuer entfachen konnte, hat sich Kurz mit seiner „neuen ÖVP“ dauerhaft Zustimmung gesichert.

Kurz ist seit vier Jahren Außenminister

Einen Zuwachs von neun Prozent der Wählerstimmen kann die ÖVP verzeichnen, seit der Außenminister die Partei übernommen hat. Ob jung oder alt, viele Österreicher projizieren in den Mann, der so höflich ist, wie jeder sich seinen Schwiegersohn wünscht, alle möglichen Visionen und Hoffnungen hinein. Das ist ein durchaus erstaunliches Phänomen – hat Kurz doch keine wirtschaftspolitische Erfahrung. Tatsächlich ist er auch nicht neu in der Politik. Bereits 2011 wurde er Integrationsstaatssekretär und seit vier Jahren ist er Außenminister.

Aber sein Stil kommt sehr gut an. Er sagt im Gespräch gerne „ist ja nicht bös’ gemeint“ oder „ich muss nur manchmal schmunzeln“ oder „das beantworte ich gerne“ oder „seien Sie mir nicht böse“, wenn es darum geht, dem Gegenüber etwas zu erwidern. So wohlerzogen seine Art zu streiten ist, so hartnäckig ist er gleichzeitig. Dieser Mann ist sich seiner selbst ganz sicher, fast belehrend.

Sein Vorbild scheint die CSU zu sein

Das Wahlprogramm will er nur stückweise verraten – offenbar auch, um sich Munition für den Wahlkampf zu sparen. Aber die Themen sind klar. Kurz steht für Steuersenkungen und Schuldenreduktion. Gefragt nach den christlichen Werten, fällt ihm vor allem ein, dass die Menschen „ihre Talente einbringen“ und nicht nach dem Staat fragen sollten. Er will Ehrenamtlichkeit fördern. Wirtschaftspolitisch könnte man ihn wohl liberal nennen, gesellschaftspolitisch ist er ein weich gespülter Konservativer. Nur beim Thema Migration ist er hart.

Kurz wurde schon 2011 Integrationsstaatssekretär.
Kurz wurde schon 2011 Integrationsstaatssekretär. © REUTERS | HEINZ-PETER BADER

So will Kurz – obwohl das die slowenischen Nachbarn ärgert und gegen die EU-Beschlüsse ist – auch nach November Kontrollen an den Schengen-Grenzen weiterführen. Solange es keinen effektiven Schutz der Schengen-Außengrenze gebe, sei das notwendig. Mit dieser Linie spricht er nicht nur bisherige FPÖ-Wähler, sondern auch Sozialdemokraten an. Viele Österreicher standen durch die Flüchtlingswelle 2015 unter Schock. Sie fürchten bis heute, dass sich Ähnliches wie damals, als Kolonnen von Migranten über die Grenze kamen, wiederholen könnte. Und sie sehen in Kurz jenen Politiker, der dies verhindern will, und merken dabei nicht, dass er beständig selbst Ängste davor schürt, um Wählerstimmen zu generieren.

Kurz erarbeitete sich politisches Kapital in Flüchtlingskrise

Kurz und der „Mann fürs Grobe“ der ÖVP, Innenminister Wolfgang Sobotka, warnten in den vergangenen Wochen etwa vor einer Flüchtlingskrise auf dem Brenner – also davor, dass massenhaft Migranten aus Italien nach Österreich kommen würden –, obwohl es dafür keine Anzeichen gab. Kurz, der im Februar 2016 mit dem Innenministerium und den Partnern in Slowenien, Kroatien, Serbien und vor allem Mazedonien, die Migration zunächst drosselte und dann fast zur Gänze stoppte, indem die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien wieder zu einer solchen gemacht und die Dublin-Verordnung wieder umgesetzt wurde, hat sich dadurch sein größtes politisches Kapital erarbeitet.

Die Schließung der Balkanroute wurde aber nicht kurz nach der Umsetzung als Erfolg verkauft – sondern erst jetzt. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Botschaft „Wir sind die Guten, weil wir die Flüchtlinge aufgenommen haben“ punktet, ist Kurz mit der Ansage „Ich sorge dafür, dass niemand mehr kommt“ auf Siegeszug. Das hat natürlich mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Umständen zu tun.

Die Österreicher hatten viel weniger das Bedürfnis, „die Guten“ zu sein – auch wenn es unzählige Menschen gibt, die den Flüchtlingen helfen. Die Angst vor der Zuwanderung bestimmt zudem den innenpolitischen Diskurs, seit Jörg Haider 1986 an die Macht kam – also seit 30 Jahren.

Kurz vermeidet Aussagen über Koalitionen

Kurz hat das Profil der ÖVP neu zugeschnitten, das Vorbild scheint die CSU zu sein: Rechts von der ÖVP soll nichts wachsen können. Das Migrationsthema setzt er gezielt ein, versucht sich aber jetzt auch zu verbreitern. Die meisten politischen Beobachter in Österreich gehen davon aus, dass Kurz nach der Wahl mit der FPÖ koalieren wird.

Eine Neuauflage der alten Koalition mit den Sozialdemokraten ist unwahrscheinlich, weil Kurz bei den SPÖ-Spitzen unbeliebt ist und weil die alte Koalition für das Gegenteil davon steht, was Kurz vermitteln will: Aufbruch. Kurz vermeidet Koalitionsaussagen, er erwähnt nur, dass er genug hat von den bisherigen „Minimalkompromissen“ in der alten Koalition. Anders als 1999, als viele Österreicher noch zu mobilisieren waren, um Schwarz- Blau zu verhindern, ist die Mitte inzwischen weiter nach rechts gerückt.