Bangkok. Zu ihrer Lebzeit unterstützte die Heilige von Kalkutta Dutzende Lepra-Kranke. Vor zwei Jahrzehnten starb sie, die Lepra ist zurück.

Wenn den Missionarinnen der Nächstenliebe der Wind ins Gesicht weht, scheinen sie zu florieren. 20 Jahre nach ihrem Todestag am Dienstag, den 5. August 2017, von Mutter Teresa in Indien verbreitet die in Deutschland geborene 63-jährige Schwester Prema, die den Orden in diesen Jahren leitet, stolz neue Zahlen über das Wachstum des Ordens.

5174 Nonnen in ihren traditionellen blaugestreiften Kutten sind heute in 758 Ordenshäuser in 139 Nationen aktiv. Vor 20 Jahren – am Todestag von Mutter Teresa – zählten die Missionarinnen der Nächstenliebe noch 4000 Nonnen in 520 Häusern in 100 Ländern.

Schwestern des Ordens eröffnen weitere Häuser

Doch mehr als die nackten Zahlen zeigen die drei im vergangenen Jahr eröffneten neuen Häuser des Ordens, wie sehr sich Mutter Teresas Nachfolgerinnen ein Jahr nach ihrer Heiligsprechung durch Papst Franziskus auf ihre Ursprünge besinnen. Zwar öffneten die Schwestern auf persönlichen Wunsch des aus Argentinien stammenden Pontifex in Bajo Flores im Süden von Buenos Aires eine Niederlassung.

Mutter Teresa am 1. Januar 1980 in Kalkutta in Indien.
Mutter Teresa am 1. Januar 1980 in Kalkutta in Indien. © imago/ZUMA Press | imago stock&people

Aber die zwei einzigen anderen, im Jahr 2017 neu eröffneten Häuser der Missionarinnen der Nächstenliebe befinden sich in Indien, in dem die Heilige Teresa von Kalkutta – so ihr neuer korrekter Name seit der Heiligsprechung im vergangenen Jahr – im Jahr 1950 den Orden gegründet hatte. Ein Haus wurde in der Hauptstadt von West-Bengalen in dem Stadtviertel Motijhil gegründet, in dem Mutter Teresa als erstes mit ihren ersten Getreuen untergekommen war.

Missionarinnen wurden mit Steinen beworfen

Die zweite Niederlassung entstand in Khandamal im ostindischen Bundesstaat Odisha (früher Orissa) ganz in dem provokanten Stil, mit dem Mutter Teresa zu ihren Lebenszeiten ihren vielen Kritikern und den zahlreichen Zweiflern an der Arbeit der Friedensnobelpreisträgerin entgegen trat. Im Jahr 2008 war ein Wagen der Missionarinnen der Nächstenliebe in dem Gebiet von Mitgliedern einer fanatischen Hindu-Organisation mit Steinen beworfen und angegriffen worden.

Heilige Mutter Teresa – Leben in Bildern

Papst Franziskus wird am Sonntag die vor 19 Jahren gestorbene Ordensgründerin Mutter Teresa heiligsprechen. Schon zu Lebzeiten galt die kleine, unscheinbare Nonne in ihrem weiß-blauen Ordensgewand vielen als Heilige.
Papst Franziskus wird am Sonntag die vor 19 Jahren gestorbene Ordensgründerin Mutter Teresa heiligsprechen. Schon zu Lebzeiten galt die kleine, unscheinbare Nonne in ihrem weiß-blauen Ordensgewand vielen als Heilige. © dpa | Tim Brakemeier
Die Nonne wurde 1910 im heutigen Mazedonien geboren und wuchs unter dem Namen Agnes Gonxha Bojaxhiu in einer albanischen Familie auf. Zeit ihres Lebens hat sie sich mit ihrem Orden „Missionarinnen der Nächstenliebe“ im indischen Kolkata (Kalkutta) um die Armen und Sterbenden gekümmert. Dafür ...
Die Nonne wurde 1910 im heutigen Mazedonien geboren und wuchs unter dem Namen Agnes Gonxha Bojaxhiu in einer albanischen Familie auf. Zeit ihres Lebens hat sie sich mit ihrem Orden „Missionarinnen der Nächstenliebe“ im indischen Kolkata (Kalkutta) um die Armen und Sterbenden gekümmert. Dafür ... © Reuters | Stringer
... bekam sie 1979 den Friedensnobelpreis und wurde zu einer Ikone der Nächstenliebe. „Ihr Lächeln war ihr Geschenk an Jesus und die Welt“, sagte die Generaloberin des Ordens Mary Prema Pierick.
... bekam sie 1979 den Friedensnobelpreis und wurde zu einer Ikone der Nächstenliebe. „Ihr Lächeln war ihr Geschenk an Jesus und die Welt“, sagte die Generaloberin des Ordens Mary Prema Pierick. © imago stock&people | UPI Photo
So schnell wie Mutter Teresa wurden bisher wenige heilig gesprochen, in modernen Zeiten war es nur Papst Johannes Paul II. Sechs Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1997 wurde sie von ihm selig gesprochen. Nachdem in der katholischen Kirche zwei „Wunder“ für eine Heiligsprechung nötig sind, fand sich 2015 dann die zweite wundersame Tat, für die Mutter Teresa verantwortlich sein soll: Ein Brasilianer wurde ohne wissenschaftliche Erklärung von einer Erkrankung des Gehirns geheilt, nachdem er die Nonne um Hilfe gebeten haben soll.
So schnell wie Mutter Teresa wurden bisher wenige heilig gesprochen, in modernen Zeiten war es nur Papst Johannes Paul II. Sechs Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1997 wurde sie von ihm selig gesprochen. Nachdem in der katholischen Kirche zwei „Wunder“ für eine Heiligsprechung nötig sind, fand sich 2015 dann die zweite wundersame Tat, für die Mutter Teresa verantwortlich sein soll: Ein Brasilianer wurde ohne wissenschaftliche Erklärung von einer Erkrankung des Gehirns geheilt, nachdem er die Nonne um Hilfe gebeten haben soll. © REUTERS | Luciano Mellace
Papst Franziskus erkannte dies 2015 als Wunder an, der Weg für die Heiligsprechung war frei. Dass ihr erstes „Wunder“, die Heilung einer Frau in Indien von Krebs, umstritten ist, hielt das nicht auf. In Indien war der Spitzname von Mutter Teresa nicht nur „Engel der Armen“. Viele nennen sie dort auch „Heilige der Gosse“. Mit dieser deutlich drastischeren Umschreibung wollen sie vor allem ausdrücken, in welchen Umständen sie oft arbeitete.
Papst Franziskus erkannte dies 2015 als Wunder an, der Weg für die Heiligsprechung war frei. Dass ihr erstes „Wunder“, die Heilung einer Frau in Indien von Krebs, umstritten ist, hielt das nicht auf. In Indien war der Spitzname von Mutter Teresa nicht nur „Engel der Armen“. Viele nennen sie dort auch „Heilige der Gosse“. Mit dieser deutlich drastischeren Umschreibung wollen sie vor allem ausdrücken, in welchen Umständen sie oft arbeitete. © imago | ZUMA
Mutter Teresa war aber auch so etwas wie ein Pop-Star der Wohltäter. Die Ordensschwester empfing Prinzessin Diana in ihrem Sterbehospiz und ...
Mutter Teresa war aber auch so etwas wie ein Pop-Star der Wohltäter. Die Ordensschwester empfing Prinzessin Diana in ihrem Sterbehospiz und ... © Reuters | © POOL New / Reuters
... unterhielt sich mit dem britischen Thronfolger Prinz Charles.
... unterhielt sich mit dem britischen Thronfolger Prinz Charles. © imago | ZUMA Press
In der US-Hauptstadt Washington traf sie 1995 mit der damaligen First Lady Hillary Clinton zusammen. Zehn Jahre zuvor hatte sie ...
In der US-Hauptstadt Washington traf sie 1995 mit der damaligen First Lady Hillary Clinton zusammen. Zehn Jahre zuvor hatte sie ... © Reuters | Handout Old
... US-Präsident Ronald Reagan im Weißen Haus begrüßt.
... US-Präsident Ronald Reagan im Weißen Haus begrüßt. © imago stock&people | /UPI Photo
In Indien hatte Palästinenser-Präsident Jassir Arafat die Ordensfrau besucht.
In Indien hatte Palästinenser-Präsident Jassir Arafat die Ordensfrau besucht. © Reuters | Stringer
Unumstritten war Mutter Teresa nicht: Ihre Einstellung zur Abtreibung, die sie den „größten Friedenszerstörer der Welt“ nannte, und ihr Feldzug gegen Verhütung brachte Kritiker gegen sie auf. Der britisch-pakistanische Autor und Filmemacher Tariq Ali nannte die Heiligsprechung „lächerlich“ und „dumm“. 1994 hatte er zusammen mit seinem 2001 verstorbenen Kollegen Christopher Hitchens die Dokumentation „Hell’s Angel“ („Höllenengel“) gedreht und darin Missstände in Mutter Teresas Heimen angeprangert sowie ihre Freundschaft zu Diktatoren wie dem früheren haitianischen Machthaber „Baby Doc“ Jean-Claude Duvalier.
Unumstritten war Mutter Teresa nicht: Ihre Einstellung zur Abtreibung, die sie den „größten Friedenszerstörer der Welt“ nannte, und ihr Feldzug gegen Verhütung brachte Kritiker gegen sie auf. Der britisch-pakistanische Autor und Filmemacher Tariq Ali nannte die Heiligsprechung „lächerlich“ und „dumm“. 1994 hatte er zusammen mit seinem 2001 verstorbenen Kollegen Christopher Hitchens die Dokumentation „Hell’s Angel“ („Höllenengel“) gedreht und darin Missstände in Mutter Teresas Heimen angeprangert sowie ihre Freundschaft zu Diktatoren wie dem früheren haitianischen Machthaber „Baby Doc“ Jean-Claude Duvalier. © reuters | Scanfoto Scanfoto
Am stärksten verehrt wird Mutter Teresa wohl immer noch in Indien und vor allem in Kolkata – das Bild entstand am Tag ihrer Beerdigung – wo sie 1950 ihren Orden gegründet hatte.
Am stärksten verehrt wird Mutter Teresa wohl immer noch in Indien und vor allem in Kolkata – das Bild entstand am Tag ihrer Beerdigung – wo sie 1950 ihren Orden gegründet hatte. © reuters | Reuters Photographer
Anlass dafür war, wie sie selbst erzählte, eine „göttliche Eingebung“ während einer Zugfahrt im Jahr 1946. Auf ihrer jährlichen Fahrt in die nordindische Stadt Darjeeling habe sie den Ruf Gottes gehört, sich fortan um die Armen zu kümmern und die Liebe Jesu zu verbreiten.
Anlass dafür war, wie sie selbst erzählte, eine „göttliche Eingebung“ während einer Zugfahrt im Jahr 1946. Auf ihrer jährlichen Fahrt in die nordindische Stadt Darjeeling habe sie den Ruf Gottes gehört, sich fortan um die Armen zu kümmern und die Liebe Jesu zu verbreiten. © Getty Images | annegeorg
Auch heute, fast 20 Jahre nach ihrem Tod, hat ihr Orden rund 4500 Mitglieder und ist in 133 Ländern vertreten. Mit mehr als 120 Nonnen gehört das Mutterhaus in Kolkata immer noch zu den größten Niederlassungen ihres Ordens.
Auch heute, fast 20 Jahre nach ihrem Tod, hat ihr Orden rund 4500 Mitglieder und ist in 133 Ländern vertreten. Mit mehr als 120 Nonnen gehört das Mutterhaus in Kolkata immer noch zu den größten Niederlassungen ihres Ordens. © reuters | Reuters Photographer
Hunderte Gäste waren am 26. August ihrem Aufruf zum Massengebet gefolgt. An diesem Tag wäre Mutter Teresa 106 Jahre alt geworden.
Hunderte Gäste waren am 26. August ihrem Aufruf zum Massengebet gefolgt. An diesem Tag wäre Mutter Teresa 106 Jahre alt geworden. © imago | ZUMA Press
Am 4. September wird Mutter Teresa in Rom heiliggesprochen.
Am 4. September wird Mutter Teresa in Rom heiliggesprochen. © REUTERS | Paolo Cocco
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Die Fürsprache einiger Dorfältester rettete die Frauen in der weltbekannten Nonnentracht vor dem sicher scheinenden Tod. „Seit damals haben wir Christen in dem Gebiet weit verstreut gelebt“, schildert eine Überlebender der damaligen blutigen Pogrome die Lebensumstände, „wir haben in Furcht gelebt. Das neue Haus des Ordens gibt uns wieder Hoffnung“.

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Viele Christen in Indien hatten es schwer

Denn der Druck auf Christen in Indien ist seit der Machtübernahme durch den Hindunationalisten Narendra Modi gewachsen. Nahezu alle sogenannten Hindutva-Gruppen, die wie die Regierungspartei Bharitya Janata Party (BJP) hinduistische Regeln für alle religiösen Gruppierungen einführen wollen, treten seit dem Wahlsieg selbstbewusster auf denn je.

Das Reichsfreiwilligenkorps (RSS), eine Art Kaderschmiede für alle Facetten des Hindunationalismus, pickte sich die Nonnen aus Kalkutta, wie das frühere Kalkutta heute offiziell heißt, als Objekt heftiger Kritik heraus. „Es ist gut, selbstlos für eine Sache zu arbeiten“, erklärte Mohan Bhagwat, der Chef von Rashtriya Swayamsevak (RSS), „aber Mutter Teresa handelte aus anderen Motiven. Sie wollte Leute, denen sie half, zum Christentum bekehren. Im Namen der Wohltätigkeit wurden Leute bekehrt.“

Hindunationalisten betrachten Missionarinnen mit Skepsis

Mutter Teresa und Prinzessin Diana.
Mutter Teresa und Prinzessin Diana. © dpa | epa Pool

Das Thema Konvertierung treibt Hindunationalisten bereits seit Jahrzehnten um, obwohl gerade mal 20 Prozent der gegenwärtig rund 1,2 Milliarden Inder keine Hindus sind. Aber christliche Gruppen - und in weitaus geringerem Masse Buddhisten und Moslems - wurden seit der Gründung Indiens vor 70 Jahren sehr zum Ärger der Hindunationalisten häufig zur neuen religiösen Heimat der Dalits, wie heute die einstmals Unberührbaren genannt werden.

Seit ihrem Wahlsieg versuchen die Hindunationalisten die Dalits stärker an sich zu binden, um ihre Machtbasis für die Zukunft auszubauen. Das neue Haus der Missionarinnen der Nächstenliebe in Khandamal betrachten sie als Versuch, ihre Pläne zu durchkreuzen. Die Nonnen um Schwester Prema, der zweiten Nachfolgerin der Heiligen Teresa von Kalkutta, wollen von solchen Vorwürfen nichts wissen. „Wir arbeiten wie schon zu den Zeiten von Mutter Teresa für die Ärmsten der Armen“, heißt es im Mutterhaus in Kalkutta, in der sich auch das Grab der katholischen Heiligen befindet.

Trotz vieler Kritik – Mutter Teresa wird von vielen verehrt

Täglich strömen dort Neugierige und Verehrer der aus Skopje in Albanien stammenden Nonne. Ich habe viel Kritik an ihr gehört, beschreibt Navin Chawla, Indiens ehemaliger Chef der Wahlkommission, die in Indien verbreitete Verehrung, aber wer uns hat sich jemals wie sie niedergebeugt. um mit eigenen Händen zu helfen? Zu ihrem 107. Geburtstag vor einigen Tagen erinnerte er an Mutter Teresas Verdienste bei der Leprabekämpfung.

Bis heute kümmern sich die Missionarinnen um diese Ausgestoßenen, schrieb Chawla in der Tageszeitung „The Hindu“, und wer von uns weiß schon, dass die Lepra wieder sich um greift. Mit einem Fall auf 10 000 Menschen galt Indien im Jahr 2005 als leprafrei. Im vergangenen Jahr zählten die Behörden plötzlich wieder 127 326 neue Fälle in 149 Distrikten von 19 Bundesstaaten des Landes. Mutter Teresa ist seit 20 Jahren tot, die Lepra lebt.