Rom/Kalkutta. Es wird ein Riesenereignis: Der Vatikan erklärt am Sonntag Mutter Teresa zur Heiligen. Doch die Entscheidung wird auch kritisiert.

Am Petersplatz findet am kommenden Sonntag (4. September) eines der wohl größten Ereignisse in der bisherigen Amtszeit von Papst Franziskus statt: Mutter Teresa wird heiliggesprochen. Hunderttausende Menschen werden erwartet, um der kleinen Nonne mit dem weiß-blauen Ordensgewand fast zwanzig Jahre nach ihrem Tod die Ehre zu geben.

Die Heiligsprechung liegt ganz auf einer Linie mit dem Heiligen Jahr, das Papst Franziskus für dieses Jahr ausgerufen hatte. Das Thema: Barmherzigkeit. Denn Mutter Teresa steht wie kaum jemand anderes für das Engagement für die Armen.

„Sie ist eine Figur, die gut ins Pontifikat von Franziskus passt. Denn er ist ein Papst, der die Solidarität und die Sorge für die Armen als Grundelement seines Amtes sieht“, sagte Vatikan-Experte Marco Politi der Deutschen Presse-Agentur. Die Tatsache, dass Mutter Teresa Zeit ihres Lebens an Gott gezweifelt hätte, mache sie umso aktueller. „In der Moderne kann man nicht mehr an den Gott des Mittelalters glauben, den mit dem Bart“, sagte Politi. Jemand, der an Gott zweifelt, kann also durchaus heilig sein. Auch für Franziskus seien Nichtgläubige nicht „minderwertiger.“

Für Heiligsprechung sind zwei „Wunder“ notwendig

Die Nonne wurde 1910 im heutigen Mazedonien geboren und wuchs unter dem Namen Agnes Gonxha Bojaxhiu in einer albanischen Familie auf. Zeit ihres Lebens hat sie sich mit ihrem Orden „Missionarinnen der Nächstenliebe“ im indischen Kalkutta um die Armen und Sterbenden gekümmert. Dafür bekam sie 1979 den Friedensnobelpreis und wurde zu einer Ikone der Nächstenliebe.

So schnell wie Mutter Teresa wurden bisher wenige heilig gesprochen, in modernen Zeiten war es nur Papst Johannes Paul II. Sechs Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1997 wurde sie von ihm selig gesprochen. Nachdem in der katholischen Kirche zwei „Wunder“ für eine Heiligsprechung nötig sind, fand sich 2015 dann die zweite wundersame Tat, für die Mutter Teresa verantwortlich sein soll: Ein Brasilianer wurde ohne wissenschaftliche Erklärung von mehreren Hirntumoren geheilt, nachdem er die Nonne um Hilfe gebeten haben mag.

Papst Franziskus erkannte dies 2015 als Wunder an, der Weg für die Heiligsprechung war frei. Dass ihr erstes „Wunder“, die Heilung einer Frau in Indien von Krebs, umstritten ist, hielt das Verfahren nicht auf.

Filmemacher prangert Mutter Teresas Freundschaften an

Auch ihre Einstellung zur Abtreibung, die sie den „größten Friedenszerstörer der Welt“ nannte, und ihr Feldzug gegen Verhütung brachte Kritiker gegen sie auf. Der britisch-pakistanische Autor und Filmemacher Tariq Ali nannte die Heiligsprechung „lächerlich“ und „dumm“. 1994 hatte er zusammen mit seinem 2001 verstorbenen Kollegen Christopher Hitchens die Dokumentation „Hell's Angel“ („Höllenengel“) gedreht und darin Missstände in Mutter Teresas Heimen angeprangert sowie ihre Freundschaft zu Diktatoren wie dem damaligen haitianischen Machthaber „Baby Doc“ Jean-Claude Duvalier.

Am stärksten verehrt wird Mutter Teresa wohl immer noch in Indien und vor allem in Kalkutta, wo sie 1950 ihren Orden gegründet hatte. Anlass dafür war, wie sie selbst erzählte, eine göttliche Eingebung während einer Zugfahrt im Jahr 1946. Auf ihrer jährlichen Fahrt in die nordindische Stadt Darjeeling habe sie den Ruf Gottes gehört, sich fortan um die Armen zu kümmern und die Liebe Jesu zu verbreiten. Auch heute, fast 20 Jahre nach ihrem Tod, hat ihr Orden rund 4500 Mitglieder und ist in 133 Ländern vertreten.

In Indien wird sie „Heilige der Gosse“ genannt

In Indien war der Spitzname von Mutter Teresa nicht nur „Engel der Armen“. Viele nennen sie dort auch „Heilige der Gosse“. Mit dieser deutlich drastischeren Umschreibung wollen sie vor allem ausdrücken, in welchen Umständen sie oft arbeitete. Selbst heute noch gibt es in den Slums von Kalkutta – so wie in vielen indischen Städten – kaum Strom oder fließend Wasser, von einem funktionierenden Abwassersystem ganz zu schweigen.

Mit mehr als 120 Nonnen gehört Kalkutta immer noch zu den größten Niederlassungen ihres Ordens. Hunderte Gäste waren am 26. August ihrem Aufruf zum Massengebet gefolgt. An diesem Tag wäre Mutter Teresa 106 Jahre alt geworden.

Karen Vaswani, die im Auftrag des Vatikan das Logo für die Heiligsprechung von Mutter Teresa entworfen hat, sagte zur Deutschen Presse-Agentur: „Ich glaube, es ist gut, dass sie heiliggesprochen wird. Viele Menschen sagen, die Heiligsprechung sei eigentlich nicht notwendig. Aber es ist eine Anerkennung dessen, was sie geleistet hat.“ (dpa)