Brüssel/Berlin. Wie hoch wird die Rechnung für die Briten? Bei zentralen Brexit-Fragen gibt es keine Annäherung. Die DIHK warnt bereits vor Chaos.

Die Scheidungsgespräche zwischen Großbritannien und der Europäischen Union steuern auf ihre erste offene Krise zu. Damit wächst die Gefahr, dass der Brexit-Fahrplan völlig durcheinandergerät. Auch in der dritten Verhandlungsrunde, die am Donnerstag in Brüssel nach viertägigen Gesprächen zu Ende ging, habe es in zentralen Fragen keinen Fortschritt gegeben, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Ursprünglich war geplant, dass der EU-Gipfel Ende Oktober die zweite Phase der Austrittsgespräche einläutet. Dabei soll es – neben den umstrittenen Details der Scheidung – auch um die künftigen Beziehungen gehen.

Doch statt den Blick nach vorn zu richten, machen sich die Unterhändler gegenseitig Vorwürfe. Vor allem die Brexit-Rechnung sorgt für Streit. Die EU fordert, dass Großbritannien seine finanziellen Verpflichtungen bis zum Ende der laufenden Finanzperiode 2020 erfüllt. Der britische Brexit-Minister David Davis widersprach. Der Gesamtbetrag der „Austrittsrechnung“ wird in Brüssel auf 60 bis 100 Milliarden Euro beziffert. London weist das zurück.

In Brüssel haben sich die Fronten verhärtet

Die Positionen liegen auch bei den Rechten der EU-Bürger und in der Nordirland-Frage weit auseinander. Davis legte zwar neue Positionspapiere vor. Doch sie stellten weder Barnier noch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zufrieden. In Brüssel haben sich die Fronten verhärtet. Vor allem das Europaparlament, das dem Scheidungsvertrag am Ende zustimmen muss, macht Druck. „Die Frage der Brexit-Rechnung muss aus dem Weg geräumt werden, bevor über die zukünftigen Beziehungen gesprochen werden kann“, fordert der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen.

Ähnlich äußerte sich der Brexit-Beauftragte des Parlaments, Guy Verhofstadt. Bleibt es bei der Blockade, so müssten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen am 19. Oktober die Notbremse ziehen – und die zweite Phase der Verhandlungen verschieben. Es wäre ein Offenbarungseid. Denn dann stünde auch der rechtzeitige Abschluss der Scheidungsgespräche vor dem Austritt am 29. März 2019 infrage. Die britische Premierministerin Theresa May scheint diese Aussicht nicht zu schrecken. Sie spielt auf Zeit – und hat ihren Machtanspruch bekräftigt. Sie denke nicht an Rücktritt und wolle die britischen Konservativen auch in die Wahl 2022 führen, sagte May auf ihrer Japanreise.

Brexit kann chaotische Folgen für Wirtschaftsbeziehungen haben

In der deutschen Wirtschaft wächst die Besorgnis, dass Großbritannien im Frühjahr 2019 ganz ohne Vereinbarung die EU verlässt – mit chaotischen Folgen für die Wirtschaftsbeziehungen. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammerstags (DIHK), Martin Wansleben, sagte dieser Redaktion: „Uns läuft die Zeit davon. Das gilt für die Insel und das Festland gleichermaßen.“ Gebe es bis zum 29. März 2019 keine Einigung, „wird der Handel mit Großbritannien massiv zurückfallen“.

Die Politik müsse sich an den Zeitplan halten und möglichst bald erste Ergebnisse präsentieren: „Ansonsten drohen vor den Grenzen chaotische Zustände mit Lkw-Schlangen historischen Ausmaßes. Wir müssen wirklich aufpassen“, warnte Wansleben. Schon jetzt seien die Ausfuhren nach Großbritannien im ersten Halbjahr 2017 um drei Prozent zurückgegangen, während die Ausfuhren in die EU im gleichen Zeitraum um sechs Prozent gewachsen sind.