Paris. Frankreich stehen Reformen ins Haus. Der französische Präsident will den Kündigungsschutz lockern. Machen seine Landsleute das mit?

Drei Monate nach seinem Amtsantritt geht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aufs Ganze: Am Donnerstag stellte seine Regierung ihre mit Spannung erwartete Arbeitsrechtsreform vor. Seit mehr als 20 Jahren sind alle Vorgänger Macrons bei dem Versuch gescheitert, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren. Doch für Frankreichs Präsidenten ist diese „Mutter aller Reformen“ mehr als ein wichtiges Instrument zur Senkung der hohen Arbeitslosigkeit. Sie ist der erste und entscheidende Schritt gegen die lähmende Verkrustung, welche das Land in Reformstau und Dauerkrise gestürzt hat.

Macron weiß, dass er mit heftigem Gegenwind zu rechnen hat. „Die Franzosen verabscheuen Reformen. Wann immer sie Reformen verhindern können, tun sie es“, hatte er vor wenigen Tagen auf seiner Osteuropa-Reise betont. Aber entmutigen lassen will er sich nicht. Es sei allerhöchste Zeit, mit 30 Jahren Ineffizienz aufzuräumen und Frankreich rundzuerneuern, sagte er in einem heute erscheinenden Interview mit dem Magazin „Le Point“.

Hollande wollte eine Reform durchdrücken und scheiterte

Der Präsident handelt gewissermaßen mit Ansage. Er hatte im Wahlkampf eine tief greifende Reform des Arbeitsrechts auf dem Verordnungsweg versprochen. Darin unterscheidet er sich von seinem Vorgänger François Hollande. Der hatte mit einer zaghaften, nicht angekündigten und ohne Konsultation der Sozialpartner durchgedrückten Reform des Arbeitsmarkts im vergangenen Jahr für monatelange Proteste gesorgt.

Ob dies auch auf Macron zukommt, ist eine offene Frage. Denn die von Regierungschef Édouard Philippe am Donnerstag vorgestellten Verordnungen zur Änderung des Arbeitsrechts haben es in sich. Zu den Knackpunkten zählt eine Lockerung des Kündigungsschutzes. Gleichzeitig sollen die Abfindungen um 25 Prozent angehoben werden. Allerdings will Paris die Höhe der Entschädigung, die Arbeitgeber zahlen müssen, deckeln, wenn sie im Streit über Entlassungen vor Gericht verlieren. Vor allem aber sollen Vereinbarungen über Arbeitszeiten, Produktionsabläufe, Prämien oder Überstundenvergütung künftig in zahlreichen Fällen direkt auf Unternehmensebene ausgehandelt werden.

Reform-Gegner rufen zu Protesten auf

Die Reform-Verordnungen sollen bereits am 22. September im Kabinett abgesegnet werden und wenige Tage später in Kraft treten. Im Prinzip jedenfalls. Denn die große, kommunistisch geprägte Gewerkschaft CGT hat ihren erbitterten Widerstand ebenso angekündigt wie die linkspopulistische Partei „Unbeugsames Frankreich“ des Volkstribuns Jean-Luc Mélenchon. Während die CGT für den 12. September zu landesweiten Demonstrationen gegen die Reform aufruft, will Mélenchon am 23. September das Volk zu einem „Proteststurm“ auf der Straße gegen „Macrons sozialen Staatsstreich“ zusammentrommeln. Glaubt man dem Politologen Jérôme Fourquet vom Meinungsforschungsinstitut Ifop, herrscht in Frankreich bereits eine Stimmung „wie am Vorabend einer großen Schlacht“.

Noch im Sommer 2016 hatten harte Streiks und von schweren Ausschreitungen begleitete Proteste wichtige Punkte von Hollandes Arbeitsrechtsreform zu Fall gebracht – obwohl dessen Gesetzentwurf viel vorsichtiger abgefasst war als der Macrons. Doch es ist keineswegs ausgemacht, dass es dieses Mal genauso läuft. Zum einen, weil die Regierung sehr viel Fingerspitzengefühl zeigte: Sie hat versucht, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer in mehr als 50 Gesprächsrunden auf ihre Reformvorstellungen einzustimmen. Bezeichnenderweise übten die vier übrigen großen Gewerkschaftsorganisationen zwar durchaus Kritik an gewissen Änderungen des Arbeitsrechts. Sie erteilten jedoch dem Vorhaben der CGT eine Absage, die Verordnungen „auf der Straße“ zu kippen.

Umbau des Rentensystems soll folgen

Zum anderen ziehen die Verweigerer nicht an einem Strang. So haben sich CGT und „Unbeugsames Frankreich“ bislang nicht auf gemeinsame Aktionen zur Mobilisierung der Franzosen einigen können. Fraglos werden die kommenden Wochen zu einem Härtetest für Macron. Doch allen Unkenrufen zum Trotz scheinen derzeit keineswegs alle Zeichen auf Sturm zu stehen.

Hingegen deutet alles darauf hin, dass der Präsident unbeugsam bleiben will. „Die Diskussionen mit den Sozialpartnern werden bis zum 22. September fortgesetzt“, erklärte Premier Philippe, „aber Änderungen am Text der Verordnungen kann es nur noch am Rande geben“. Es soll erst gar nicht der Eindruck entstehen, dass sich diese Reform noch entbeinen oder gar abwenden ließe.

„Ça passe ou ça casse“ („Alles oder nichts“), kommentierte ein Berater der Arbeitsministerin Muriel Pénicaud. Denn sollte die Arbeitsrechtsreform am Ende platzen, wäre wohl auch der Präsident frühzeitig mit seinem Vorhaben gescheitert, Frankreich tief greifend zu verändern. Schließlich sollen dieser ersten Strukturreform in wenigen Monaten weitere Schritte folgen. Etwa die Sanierung der Arbeitslosenversicherung oder der Umbau des Rentensystems – alles heiße politische Eisen. Keine Frage: Macron versucht gerade, seinen Landsleuten beizubringen, dass sich mit ihm an der Staatsspitze Reformen nicht länger verhindern lassen. Eine Herkulesaufgabe.