Berlin/Sofia. Offensive des französischen Präsidenten: Macron bricht in Osteuropa die Blockade gegen schärfere Regeln für ausländische Arbeiter.

Zuletzt sah es nicht so gut aus für Emmanuel Macron. Nach rund hundert Tagen Amtszeit sind fast zwei Drittel der Franzosen nicht zufrieden mit ihrem neuen Präsidenten, seine unpopulären Reformen und Kommunikationspannen trübten das Image. Doch mit einer europapolitischen Offensive dürfte der 39-Jährige bei seinen Landsleuten wieder punkten: In Gesprächen mit vier osteuropäischen Staats- und Regierungschefs hat sich Macron diese Woche Unterstützung für den Kampf gegen Sozial- und Lohndumping in der EU gesichert. Auf der letzten Station seiner Werbereise bekam Macron am Freitag auch vom bulgarischen Präsidenten Rumen Radew die Zusage, bei der Reform der EU-Entsenderichtlinie zusammenzuarbeiten. „Es sind Änderungen notwendig“, räumte Radew in der früheren Sommerresidenz der bulgarischen Könige am Schwarzen Meer ein.

Ein Doppel-Erfolg für Macron. Der sozialliberale Präsident profiliert sich einerseits als entschlossener Verteidiger von französischen Arbeitnehmer-Interessen. Und andererseits auch schon als zentrale Führungsfigur in Europa. Kanzlerin Angela Merkel hatte ihm bereitwillig das Feld bei diesem Thema überlassen – Berlin war nicht erpicht auf neuen Ärger mit Osteuropa.

Osteuropäer fürchten Nachteile für ihre Wirtschaft

Denn der Kampf gegen Lohndumping drohte zu einem weiteren Ost-West-Konflikt in der EU zu werden. Die EU-Kommission hatte im März 2016 vorgeschlagen, die Entsenderegeln für ausländische Arbeiter zu verschärfen. Alle zehn EU-Staaten Mittel- und Osteuropas gingen daraufhin – unterstützt von Dänemark – auf die Barrikaden; seitdem wird hinter den Kulissen gerungen. Die Osteuropäer fürchten Nachteile für ihre Unternehmen und ihre Wettbewerbsfähigkeit: Die bestehende Entsende-Richtlinie ermöglicht es Unternehmen, Mitarbeiter für begrenzte Zeit in ein anderes EU-Land schicken. Sie müssen dort den Mindestlohn verdienen, behalten aber ihren Arbeitsvertrag und zahlen Sozialbeiträge im Herkunftsland. Auf diese Weise können Bauarbeiter aus Rumänien oder Schlachter aus Polen deutlich schlechter bezahlt werden als ihre deutschen oder französischen Kollegen.

Frankreich wählt sein Staatsoberhaupt

In Frankreich sind knapp 47 Millionen Bürger aufgerufen, ihr Staatsoberhaupt zu wählen. Die Abstimmung gilt als eine der wichtigsten Richtungswahlen seit Jahrzehnten.
In Frankreich sind knapp 47 Millionen Bürger aufgerufen, ihr Staatsoberhaupt zu wählen. Die Abstimmung gilt als eine der wichtigsten Richtungswahlen seit Jahrzehnten. © dpa | Tolga Akmen
Dennoch zeichnete sich eine niedrigere Beteiligung als bei der Wahl vor fünf Jahren ab. Die Wahlbeteiligung habe bis zum Mittag bei 28,23 Prozent gelegen, teilte das Innenministerium in Paris mit. Vor fünf Jahren hatten zu diesem Zeitpunkt bereits 30,7 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.
Dennoch zeichnete sich eine niedrigere Beteiligung als bei der Wahl vor fünf Jahren ab. Die Wahlbeteiligung habe bis zum Mittag bei 28,23 Prozent gelegen, teilte das Innenministerium in Paris mit. Vor fünf Jahren hatten zu diesem Zeitpunkt bereits 30,7 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. © dpa | Burhan Ozbilici
Polizisten patrouillieren am Eifelturm in Paris. Die Wahl findet unter größten Sicherheitsbedingungen statt. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Terrorgefahr sind landesweit mehr als 50.000 Polizisten im Einsatz.
Polizisten patrouillieren am Eifelturm in Paris. Die Wahl findet unter größten Sicherheitsbedingungen statt. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Terrorgefahr sind landesweit mehr als 50.000 Polizisten im Einsatz. © dpa | Emilio Morenatti
Gemeinsam mit seiner Frau Brigitte kam der favorisierte sozialliberale Kandidat Emmanuel Macron ins Wahllokal im nordfranzösischen Le Touquet.
Gemeinsam mit seiner Frau Brigitte kam der favorisierte sozialliberale Kandidat Emmanuel Macron ins Wahllokal im nordfranzösischen Le Touquet. © dpa | Christophe Ena
Wie es sich für einen Gentleman gehört, ließ er seiner Frau bei der Stimmabgabe den Vortritt. In die 24 Jahre ältere Brigitte hatte er sich als 15-Jähriger verliebt. Sie war seine Lehrerin.
Wie es sich für einen Gentleman gehört, ließ er seiner Frau bei der Stimmabgabe den Vortritt. In die 24 Jahre ältere Brigitte hatte er sich als 15-Jähriger verliebt. Sie war seine Lehrerin. © dpa | Christophe Ena
Dann warf der 39-Jährige unter den Augen seiner Frau den Stimmzettel in die Wahlurne.
Dann warf der 39-Jährige unter den Augen seiner Frau den Stimmzettel in die Wahlurne. © dpa | Eric Feferberg
Seine Kontrahentin, die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen, gab im etwa zwei Stunden von Le Tourquet entfernten Henin Beaumont ihre Stimme ab.
Seine Kontrahentin, die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen, gab im etwa zwei Stunden von Le Tourquet entfernten Henin Beaumont ihre Stimme ab. © dpa | Michel Spingler
Während Macron die europäische Integration vertiefen und die deutsch-französische Achse stärken will, strebt die 48-jährige Le Pen einen Austritt Frankreichs aus der EU an.
Während Macron die europäische Integration vertiefen und die deutsch-französische Achse stärken will, strebt die 48-jährige Le Pen einen Austritt Frankreichs aus der EU an. © dpa | Francois Mori
Frankreichs noch amtierender Präsident Francois Hollande gab in Tulle seine Stimme ab.
Frankreichs noch amtierender Präsident Francois Hollande gab in Tulle seine Stimme ab. © REUTERS | REGIS DUVIGNAU
Sein Vorgänger, der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy, wählte dagegen in der Hauptstadt Paris.
Sein Vorgänger, der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy, wählte dagegen in der Hauptstadt Paris. © dpa | Michael Debets
Begleitet wurde er von seiner Gattin, der Sängerin Carla Bruni. Das ehemalige Model, mit der Sarkozy seit 2008 verheiratet ist, wurde in Italien geboren, nahm im selben Jahr die französische Staatsbürgerschaft an.
Begleitet wurde er von seiner Gattin, der Sängerin Carla Bruni. Das ehemalige Model, mit der Sarkozy seit 2008 verheiratet ist, wurde in Italien geboren, nahm im selben Jahr die französische Staatsbürgerschaft an. © dpa | Michael Debets
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Die EU-Kommission will, dass die entsandten Arbeitnehmer künftig die gleichen Ansprüche auf tarifvertraglich geregelte Löhne und Zuschläge bekommen wie ihre Kollegen im Einsatzland - und für höchstens zwei Jahre unter diesen Bedingungen entsandt werden können. Im Prinzip soll damit dieselbe Arbeit am selben Ort gleich entlohnt werden. Als Einsatzland besonders betroffen wären neben Deutschland auch Frankreich und Belgien – fast die Hälfte der zwei Millionen entsandten Arbeitskräfte arbeiten in diesen drei Ländern. Im Wahlkampf hatte Macron den Kampf gegen Lohndumping zu einem zentralen Versprechen gemacht. Er will den Kommissionsvorschlag noch verschärfen: Die Entsendedauer soll auf ein Jahr begrenzt werden.

Im Gegenzug versprach Macron Unterstützung beim Schutz der Grenzen

Die Bundesregierung sieht weniger Handlungsdruck als Macron, unterstützt in Brüssel aber seinen Kurs; dass sich der Präsident vollständig durchsetzen kann, wird in Regierungskreisen allerdings bezweifelt. Doch gestärkt vom Sommerurlaub versuchte Macron diese Woche, bei den Kritikern eine Allianz der Gutwilligen zu schmieden. In Salzburg sicherte sich Macron bei einem Mini-Gipfel die Bereitschaft der Slowakei und Tschechiens, an der Lösung des Problems mitzuarbeiten. Solche Zusagen machten auch Rumänien und Bulgarien, die Macron danach besuchte.

Der Präsident zeigte sich im Gegenzug großzügig, was die Haltung der Osteuropäer im Streit um die Flüchtlingsverteilung angeht, und versprach etwa Bulgarien Unterstützung beim Schutz der Grenzen. „Wir wollen die Mauer durchbrechen, die die neuen von den alten EU-Mitgliedern trennt“, betont er. Neue Töne, nachdem Macron die Osteuropäer anfangs mit der Belehrung verärgert hatte, Europa sei „kein Supermarkt“. Jetzt schmiedet der Franzose neue Bündnisse.

EU-Kommission begrüßt die Vermittlungsbemühungen Macrons

Polen und Ungarn gehören nicht dazu: Beide Länder ließ Macron bei seiner Werbetour aus, obwohl aus Polen besonders viele Entsendearbeiter kommen. Frankreich versucht, die beiden Hardliner in Osteuropa zu isolieren.

Die EU-Kommission begrüßt die Vermittlungsbemühungen Macrons. „Wir hoffen auf einen Erfolg“, erklärt ein Sprecher. Bis Herbst soll eine Lösung für die neue Entsenderichtlinie gefunden sein. Wie weit sich Macron wirklich durchsetzen kann, ist dabei noch offen. Der Präsident glaubt aber, dass trotz des Widerstands mindestens aus Polen und Ungarn im Rat die notwendige qualifizierte Mehrheit für die neuen Regeln zustande kommt. Den Erfolg hätte Macron dringend nötig. Im Herbst beginnt die heiße Phase seiner umstrittenen Arbeitsmarktreformen, die Gewerkschaften haben bereits massive Proteste angekündigt.