Berlin. Jens Spahn findet, Englisch sprechende Hipster bilden eine „Form der Parallelgesellschaft“. Ist das Unsinn oder politisches Kalkül?

Jens Spahn ist Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er könnte über Investitionsstau reden, über Bezahlbarkeit von Mieten, über die Höhe der Steuern. Doch Spahn, Mitglied der Regierungspartei CDU, hat offenbar neuerdings ein ganz anderes Problem ausgemacht, über das er lieb, gerne und vor allem oft redet: die Anglisierung des Berliner Abendlandes.

Nachdem er sich vor ein kurzem in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ darüber beklagt hatte, dass in Berliner Restaurants und Cafés nur noch Englisch gesprochen werde, und dass Deutsch in Szenebezirken der Hauptstadt zunehmend zu einem Relikt verkomme, legte er jetzt nach.

Spahn: Hipster schotten sich ab

In einem Gastbeitrag für die „Zeit“ greift Spahn die „elitären Hipster“ von Berlin an, die eine „völlig neue Form der Parallelgesellschaft“ bildeten, weil sie ausschließlich Englisch sprächen und sich somit gegenüber dem „Otto Normalverbraucher“ abschotteten. „Das ist nicht weltoffen, sondern provinziell“, schreibt er.

Opfer dieser „elitären“, „um sich greifenden“ Kultur seien die, die nicht Englisch sprechen können. „Alle, die nicht mithalten können bei der Generation EasyJet bleiben außen vor“, meint er. „Es ist doch absurd: Wir verlangen von Migranten mit Recht, dass sie Deutschkurse absolvieren, um sich zu integrieren. Währenddessen verlegen sich die Großstädte hipsterhaft aufs Englische.“

Spahns Vergleich mit dem 18. Jahrhundert

Er fragt, wie fremd sich „die fühlen, die wie meine Eltern nie Englisch gelernt haben“. Dabei ist das bloße Verwenden von Sprache laut Spahn „keine Zeichen für Internationalität“, sondern „zeugt eher von provinzieller Selbstverzwergung“.

Spahn zieht dabei auch einen Vergleich zum 18. Jahrhundert. Damals sei die französische Kultur „das Maß aller Dinge“ gewesen. Französisch als Sprache diente der „bewussten Abgrenzung zu den Unkundigen in anderen Klassen: Bedienstete, Handwerker, und Bauern“.

„Junge Leute aus aller Welt, die unter sich bleiben“

Gleiches gelte jetzt für die elitären Hipster, die diese „höfische, elitäre Kultur“ Spahn zufolge wieder auferstehen lassen. „Junge Leute aus aller Welt, die unter sich bleiben“, schreibt er weiter. Dass in deutschen Großstädten oder anderen europäischen Metropolen nur noch Englisch gesprochen werde, sei das „augenfällige Symptom einer bedauerlichen kulturellen Gleichschaltung“.

Im Internet wird der Beitrag von Spahn vor allem mit Spott überzogen. Es fällt auf, dass sich darunter vor allem auch etliche Politiker finden, die sich über seine Aussagen lustig machen. „Lieber Jens Spahn“, schreibt etwa Grünen-Chef Cem Özdemir – natürlich auf Englisch – an den CDU-Politiker, „Hipster sein dreht sich mehr um Stil als um Englisch sprechen. Entspann dich und trink’ einen Chai-Latte.“

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Kritik an Aussagen des CDU-Politikers

Auch die SPD äußert sich über den Account ihres Bundesvorstandes. „Wir sagen: im Zweifel lieber Mate als Mutti.“ Auch andere Nutzer bemängeln die Aussagen. „In Berlin bekommt zum Glück niemand mit, wie peinlich Jens Spahn andauernd Verhaltenspolizei spielt“, schreibt einer. „Verstehen da ja alle nur Englisch.“

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Das Bundesfinanzministerium, für das Spahn arbeitet, kommentierte seine Aussagen mit einer Portion Selbstironie. „Hallo Hipster, kommt zu unserem Tag der offenen Tür. Jens Spahn würde das auch begrüßen. Übrigens sprechen wir Englisch und Französisch fließend“, schrieb das Ministerium zu einem Gif, das einen Hipster symbolisierenden Mann zeigt, der seinen Bart krault.

Viele Twitternutzer merken an, dass Jens Spahn offenbar selbst in einer Parallelgesellschaft lebt. Aber bei aller Kritik gibt es auch Stimmen, die ihm Recht geben. „Da ist was dran“, schreibt ein Nutzer. Ein anderer findet: „Jaja, da lacht „das Netz“ über den ollen Spahn von der doofen Union. Parallelgesellschaft trifft es aber eigentlich ziemlich gut.“

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Warum wiederholt Spahn seine Aussagen?

Unabhängig davon, wird der 37-jährige CDU-Politiker auch dafür kritisiert, dass er das Thema überhaupt auf die Bühne heben will. Doch es wirkt so, dass Spahn – nach dem jüngsten Wirbel um seine Aussagen im Interview mit der „Osnabrücker Zeitung“ – die Wörter, so kurz vor der Bundestagswahl, zumindest mit Kalkül gewählt haben könnte. Etwa um Aufmerksamkeit zu erzeugen und auf Wählerstimmen auf dem Land zu gehen?

Letzterer Eindruck entsteht zumindest, wenn der Politiker Lobeshymnen auf die „soliden, mittelständischen Betriebe“ auf dem Land singt, „wo oftmals wirklich kosmopolitisch gedacht, gewirtschaftet und gehandelt wird“. Und sie dann mit der „Parallelgesellschaft“ in Berlin und seiner zwar „boomenden“, aber bei weitem nicht so erfolgreichen Start-up-Szene gegenüberstellt, in der „elitäre Hipster“ sich in irgendeinem hippen Café den nächsten Chai Latte bestellen.

Und das auch noch auf Englisch. „Wir haben echt wichtigere Probleme“, meint ein Twitter-Nutzer genervt.