Rom. „Die Hölle auf Erden“ – so beschreibt Oxfam das Bürgerkriegsland Libyen. Die NGO warnt davor, die Menschen an der Flucht zu hindern.

Viele afrikanische Flüchtlinge werden in Libyen der Hilfsorganisation Oxfam zufolge Opfer von Gewalt. Die Organisation beruft sich auf die Befragungen von 158 Geflüchteten in Sizilien, die zwei Partnerorganisationen von Oxfam von Vergewaltigungen, Zwangsarbeit und Folter in dem zerrütteten Bürgerkriegsland berichtet haben.

Oxfam warnt die EU-Mitgliedsstaaten, die Menschen an der Flucht aus Libyen zu hindern. „Der Versuch der Europäischen Union, sicherzustellen, dass Menschen Libyen nicht verlassen können, gefährdet mehr Männer, Frauen und Kinder, missbraucht oder ausgebeutet zu werden“, heißt es in dem Bericht, der am Mittwoch veröffentlicht wird.

Fast alle Befragten haben sexuelle Gewalt erfahren

In Libyen werden demzufolge Menschenrechte systematisch von Menschenhändlern, Schmugglern, Milizen und kriminellen Banden verletzt. Menschen müssten unter unzumutbaren Bedingungen lebten, mahnt Oxfam. Mit Ausnahme einer Frau hätten alle Befragten (31) sexuelle Gewalt erfahren. Ein Großteil der Frauen und Männer hätten mit ansehen müssen, wie andere Migranten gefoltert oder getötet worden seien. Vielen sei regelmäßig Essen und Wasser verwehrt worden.

Oxfam zitiert einen 18-Jährigen aus dem Senegal, der schwer am Kopf verletzt worden sei, nachdem er gefangen genommen worden war. „Als ich aufwachte, dachte ich, ich sei tot. Überall war Blut. Ich war in einer Zelle mit anderen Menschen... Die Zelle war voller Leichen.“ Ein anderer 18-Jähriger aus Nigeria berichtete, in einem Haus mit 300 anderen gefangen gehalten worden zu sein, in dem mehrere Menschen starben. Eine 28-jährige Nigerianerin sagte: „Ich wurde an jedem Teil meines Körpers geschlagen und gezwungen, bei sexueller Gewalt gegen andere Frauen mitzumachen.“

Die EU will Flüchtlinge von Überfahrt abhalten

Seit dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi 2011 herrscht Chaos in dem nordafrikanischen Staat. Drei Regierungen kämpfen um die Macht. Schlepper nutzen die unübersichtliche Lage, um Menschen gegen viel Geld auf Boote in Richtung Europa zu setzen. Oft werden die Geflüchteten tage- und wochenlang in Häusern der Schlepper gefangen gehalten.

Die EU versucht, den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Allen voran will Italien die Libyer bei der Bekämpfung des Menschenhandels nach Europa unterstützen – und mit technischer und logistischer Unterstützung der libyschen Küstenwache auch dazu beitragen, dass weniger Menschen kommen. Außerdem verstärkt die Regierung in Rom den Druck auf Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer Migranten retten. Mehr als 95.000 im Mittelmeer Gerettete kamen in diesem Jahr bereits in Italien an.

Flüchtlinge ertrinken im Mittelmeer

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    „Der Staat gewinnt und die Schlepper verlieren.“

    Ein umstrittener Verhaltenskodex für die Retter sei „wesentlicher Teil“ einer Strategie, die auch die Zusammenarbeit mit den libyschen Behörden vorsehe, sagte Ministerpräsident Paolo Gentiloni am Montagabend dem Fernsehsender Rai. „Diese Strategie (...) zeigt langsam Resultate. Allmählich reduziert sich der Zustrom, der Staat gewinnt und die Schlepper verlieren.“ Seit Freitag rettete die libysche Küstenwache schon mehr als 1100 Menschen in Hoheitsgewässern und brachte sie zurück nach Libyen.

    Viele Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass Migranten, die nach Libyen zurückgebracht werden, wieder Gewalt ausgesetzt sind und unter menschenunwürdigen Umständen in Lagern leben müssen. Für die Vielzahl an Kriminellen in dem Land seien Migranten „bares Geld“, hatte Ärzte ohne Grenzen die Situation unlängst beschrieben.

    EU muss sichere Korridore schaffen

    „Die EU muss sichere Korridore schaffen, über die diese Menschen nach Europa kommen können und ein faires und transparentes Asylverfahren erhalten“, forderte Roberto Barbieri, Geschäftsführer von Oxfam Italien. Oxfam ist an vielen Häfen in Sizilien präsent, in die die Geretteten gebracht werden. Die Gespräche wurden nach Angaben der Organisation zwischen Oktober 2016 und April 2017 geführt. (dpa)