Berlin. Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl gilt als Vater der Deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung wird für immer mit ihm verbunden bleiben.

Wenn der Tod einen wirklich Großen aus der Politik holt, steht das Land für einen Moment still. Politischer Streit, Ressentiments, Links-Rechts-Schablonen – das alles spielt plötzlich keine Rolle mehr, wenn man auf die Lebensleistung von Menschen blickt, die sich in außergewöhnlichem Maße verdient gemacht haben.

Helmut Kohl war eine solche Ausnahmepersönlichkeit. Deshalb berührt die Nachricht vom Tod des Altbundeskanzlers nicht nur die politische Klasse oder die Anhänger der CDU. Sie berührt auch den politischen Gegner und jeden Demokraten, der politisch denkt und für den das Wählen keine lästige Pflicht, sondern ein Feiertag ist.

Helmut Kohl war es nicht vergönnt, im hohen Alter sanft und schnell zu sterben. Der Altbundeskanzler musste nach seinem schweren Sturz vor sieben Jahren eine lange, quälende Krankheitsgeschichte durchleiden, bis er gestern Vormittag in seinem Ludwigshafener Privathaus starb. Die letzte Zeit ertrug er mit großer Geduld bei wachem Geist gefangen in einem Körper, aus dem die Kraft lange gewichen war. Intensiv betreut von seiner zweiten Ehefrau Maike Kohl-Richter (51), über die er vor Jahren schon sagte: „Ohne sie, wäre ich nicht mehr am Leben“.

Helmut Kohl – Eine Karriere in Bildern

Der Kandidat: Bei der Bundestagswahl 1976 trat Helmut Kohl erstmals als Kanzlerkandidat der Union an. Er unterlag gegen Helmut Schmidt.
Der Kandidat: Bei der Bundestagswahl 1976 trat Helmut Kohl erstmals als Kanzlerkandidat der Union an. Er unterlag gegen Helmut Schmidt. © Reuters | REUTERS / Str Old
Der Tierfreund: Für die Pressefotografen fütterte Helmut Kohl im Sommerurlaub am österreichischen Wolfgangsee 1994 das Wild. Der Wolfgangsee war ein beliebtes Ferienziel der Kohls.
Der Tierfreund: Für die Pressefotografen fütterte Helmut Kohl im Sommerurlaub am österreichischen Wolfgangsee 1994 das Wild. Der Wolfgangsee war ein beliebtes Ferienziel der Kohls. © Reuters | REUTERS /
Der Ehrengast: gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Maike Richter-Kohl kam Helmut Kohl zum Festempfang anlässlich des 150-jährigen Bestehens des Unternehmens BASF in seiner Heimatstadt Ludwigshafen. Rechts Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Der Ehrengast: gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Maike Richter-Kohl kam Helmut Kohl zum Festempfang anlässlich des 150-jährigen Bestehens des Unternehmens BASF in seiner Heimatstadt Ludwigshafen. Rechts Bundeskanzlerin Angela Merkel. © Reuters | REUTERS / RALPH ORLOWSKI
Historischer Händedruck: Beim Gedenken an die Opfer des 1. Weltkriegs gedachten Kanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterrand 1984 Hand in Hand der Toten. Die Geste wurde zu einem Symbol der deutsch-französischen Freundschaft.
Historischer Händedruck: Beim Gedenken an die Opfer des 1. Weltkriegs gedachten Kanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterrand 1984 Hand in Hand der Toten. Die Geste wurde zu einem Symbol der deutsch-französischen Freundschaft. © Reuters | REUTERS /
Der Vater: 2001 reiste Helmut Kohl nach Istanbul, wo Sohn Peter Kohl seine langjährige Partnerin Elif Sozen heiratete. Das Bild zeigt das Hochzeitspaar mit Kohl (r.) und an den Eltern der Braut vor der katholische St.-Antonius-Basilika in Istanbul.  Später überwarf sich Helmut Kohl mit seinen Söhnen Peter und Walter. Der Kontakt brach über lange Zeit hinweg ab.
Der Vater: 2001 reiste Helmut Kohl nach Istanbul, wo Sohn Peter Kohl seine langjährige Partnerin Elif Sozen heiratete. Das Bild zeigt das Hochzeitspaar mit Kohl (r.) und an den Eltern der Braut vor der katholische St.-Antonius-Basilika in Istanbul. Später überwarf sich Helmut Kohl mit seinen Söhnen Peter und Walter. Der Kontakt brach über lange Zeit hinweg ab. © Reuters | REUTERS / Fatih Saribas
Der Einheitskanzler: Helmut Kohl am 3. Oktober 1990 - dem Tag, an dem Deutschland wieder vereint war. Kohl hatte als Kanzler einen großen Anteil an der Vereinigung beider deutscher Staaten knapp ein Jahr nach dem Mauerfall.
Der Einheitskanzler: Helmut Kohl am 3. Oktober 1990 - dem Tag, an dem Deutschland wieder vereint war. Kohl hatte als Kanzler einen großen Anteil an der Vereinigung beider deutscher Staaten knapp ein Jahr nach dem Mauerfall. © Reuters | REUTERS / Michael Urban
Der Freund: Mit Kremlchef Michail Gorbatschow verband Helmut Kohl ein enges Verhältnis. Unvergessen ist das Treffen der beiden Politiker im Kaukasus, bei dem Kohl dem russischen Präsidenten die Zustimmung zur deutschen Einheit abrang. Das Bild zeigt die beiden im Juli 1990 bei diesem Treffen.
Der Freund: Mit Kremlchef Michail Gorbatschow verband Helmut Kohl ein enges Verhältnis. Unvergessen ist das Treffen der beiden Politiker im Kaukasus, bei dem Kohl dem russischen Präsidenten die Zustimmung zur deutschen Einheit abrang. Das Bild zeigt die beiden im Juli 1990 bei diesem Treffen. © Reuters | REUTERS / POOL Old
Der Wahlkämpfer: Eines der Lieblingsbilder Kohl. Es zeigt den Kanzler während im Wahlkampfjahr 1990. Aus der ersten Bundestagswahl nach der Einheit ging Kohls CDU im Dezember 1990 als klarer Sieger hervor.
Der Wahlkämpfer: Eines der Lieblingsbilder Kohl. Es zeigt den Kanzler während im Wahlkampfjahr 1990. Aus der ersten Bundestagswahl nach der Einheit ging Kohls CDU im Dezember 1990 als klarer Sieger hervor. © REUTERS | REUTERS / Michael Urban
Der Gastgeber: Im August 2009 empfing der gesundheitlich schon angeschlagene Kohl in seinem Haus in Oggersheim die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Das Verhältnis zwischen den beiden galt als schwierig. Kohl hatte Merkel zunächst das Kanzleramt nicht zugetraut. Später war es Merkel, die nach Kohls Abtritt von der politischen Bühne auf Distanz zum Ex-CDU-Chef ging.
Der Gastgeber: Im August 2009 empfing der gesundheitlich schon angeschlagene Kohl in seinem Haus in Oggersheim die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Das Verhältnis zwischen den beiden galt als schwierig. Kohl hatte Merkel zunächst das Kanzleramt nicht zugetraut. Später war es Merkel, die nach Kohls Abtritt von der politischen Bühne auf Distanz zum Ex-CDU-Chef ging. © Reuters | REUTERS / HO
Der Truppenbesucher: Bei einem Besuch deutscher und britischer Soldaten in Norddeutschland im September 1986 kletterte Kohl auf einen Leopard-Panzer. Es war wieder Wahlkampf.  Die Bundestagswahl Anfang 1987 gewann Kohls CDU.
Der Truppenbesucher: Bei einem Besuch deutscher und britischer Soldaten in Norddeutschland im September 1986 kletterte Kohl auf einen Leopard-Panzer. Es war wieder Wahlkampf. Die Bundestagswahl Anfang 1987 gewann Kohls CDU. © Reuters | REUTERS / Michael Urban
Der USA-Freund: Die Freundschaft mit den USA lag Helmut Kohl stets am Herzen. Das Foto zeigt ihn bei einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush in Deutschland.
Der USA-Freund: Die Freundschaft mit den USA lag Helmut Kohl stets am Herzen. Das Foto zeigt ihn bei einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush in Deutschland. © Reuters | REUTERS / Str Old
Der umstrittene Gastgeber: Im Mai 1985 führte Kanzler Kohl (l.) den US-Präsidenten Ronald Reagan (2.v.r.) bei dessen Deutschlandbesuch auf einen Soldatenfriedhof  in Bitburg in der Eifel. Der Programmpunkt sorgte weltweit für Schlagzeilen - auf dem Friedhof liegen neben 2000 gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs auch 49 Mitglieder der Waffen-SS begraben.
Der umstrittene Gastgeber: Im Mai 1985 führte Kanzler Kohl (l.) den US-Präsidenten Ronald Reagan (2.v.r.) bei dessen Deutschlandbesuch auf einen Soldatenfriedhof in Bitburg in der Eifel. Der Programmpunkt sorgte weltweit für Schlagzeilen - auf dem Friedhof liegen neben 2000 gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs auch 49 Mitglieder der Waffen-SS begraben. © Reuters | REUTERS / Larry Rubenstein
Der Partner: Lothar de Maizière, erster und letzter frei gewählter Regierungschef der DDR, wurde in den Verhandlungen über die Einheit zu einem wichtigen politischen Verbündeten Kohls.
Der Partner: Lothar de Maizière, erster und letzter frei gewählter Regierungschef der DDR, wurde in den Verhandlungen über die Einheit zu einem wichtigen politischen Verbündeten Kohls. © REUTERS | REUTERS / Michael Urban
Der Gefallene. Durch die Spendenaffäre fielt Helmut Kohl im Jahr 2000 auch bei der CDU in Ungnade. Kohl weigerte sich, die Namen von Parteispendern zu nennen. Im Bundestag musste er sich einer Untersuchungskommission stellen. Bei einer spektakulären Pressekonferenz im Juni 2000 verteidigte sich Kohl vor einem Großaufgebot von Journalisten.
Der Gefallene. Durch die Spendenaffäre fielt Helmut Kohl im Jahr 2000 auch bei der CDU in Ungnade. Kohl weigerte sich, die Namen von Parteispendern zu nennen. Im Bundestag musste er sich einer Untersuchungskommission stellen. Bei einer spektakulären Pressekonferenz im Juni 2000 verteidigte sich Kohl vor einem Großaufgebot von Journalisten. © REUTERS | REUTERS / Fabrizio Bensch
1/14

Bodenständig, bieder und das Gespür für den Moment

Helmut Kohl starb dort, wo sein Leben – auch das politische – begann. In der Pfalz, einer Gegend, die man kennen muss, wenn man sich der Persönlichkeit von Helmut Kohl wirklich nähern will. Sie ist geprägt durch römische Feldherren, Bauernkrieger, Tagelöhner, lebensfrohe Winzer, herausragende Ingenieure, große Wirtschaftsführer und politische Intellektuelle. Hier trugen die deutschen Urdemokraten erstmals Schwarz-Rot-Gold auf dem Weg zum Hambacher Schloss. Hier ist Frankreich, der frühere Erbfeind und heutige Freund, schicksalhaft nah. Vielleicht am prägendsten ist jedoch die Bodenständigkeit der Menschen, die mit großstädtischem Chic fremdeln und auch heute noch gerne zum Dorfmetzger gehen, wenn am Schlachttag die Schweinsblase vor der Tür hängt.

Helmut Kohl hat seine ganze Kraft aus dieser Bodenständigkeit geschöpft und in seiner späten Kanzlerschaft die Schmähungen links-intellektueller Kreise nicht nur an sich abperlen lassen. Das Biedere, ja das Spießige in ihm wurde ungewollt zu seinem Markenkern und machte seinen Herausforderern - außerhalb und innerhalb der Partei - das Leben schwer. Helmut Kohl, der auf Auslandsreisen am liebsten mit allen im Bus fuhr. Der Strickjacken und Leberwurst liebte. Der CDU-Chef, der sich beim Partei-Abend zu Franz Lambert an die Hammond-Orgel setzte und die rote Sonne von Capri besang. Hans-Jochen Vogel, Johannes Rau, Oskar Lafontaine, Björn Engholm und Rudolf Scharping – alle sind an ihm gescheitert. „Ich bin einer von Euch“ war in der Person Helmut Kohls die fleischgewordene Botschaft an die Wähler. Und – trotz größter politischer Rauflust – am Ende mit einer tiefen Sehnsucht nach Harmonie, nach „Famillje“ bei gleichzeitig größtem Misstrauen gegenüber politischen Extremen von links wie rechts.

Ein Leben voller Superlativen

Das politische Leben Helmut Kohls war geprägt von Superlativen. Jüngster Abgeordneter in Rheinland-Pfalz, jüngster Ministerpräsident, am längsten amtierender CDU-Chef, Kanzler der Einheit, zahllose Ehren-Professuren und Doktorhüte, Rekord-Kanzler mit 16 Jahren Amtszeit – aber es gab auch den einen, schlimmen Negativ-Rekord, der mit dem Namen Helmut Kohls verbunden bleiben wird: Die Parteispendenaffäre 1999 stürzte den „schwarzen Riesen“ in Abgründe und seine Partei in eine historische Krise.

Adenauer bis Scholz: Die Kanzler der BRD

Konrad Adenauer (*5. Januar 1876, † 19. April 1976) war der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er bekleidete das Amt von 1949 bis 1963, galt als Vater des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Der Bundeskanzler ist in Deutschland die politisch mächtigste Figur. Wir zeigen alle Amtsinhaber seit der Gründung der Bundesrepublik.
Konrad Adenauer (*5. Januar 1876, † 19. April 1976) war der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er bekleidete das Amt von 1949 bis 1963, galt als Vater des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Der Bundeskanzler ist in Deutschland die politisch mächtigste Figur. Wir zeigen alle Amtsinhaber seit der Gründung der Bundesrepublik. © IMAGO | imago/Sven Simon
Von 1951 bis 1955 war Adenauer zudem Außenminister und ließ in dieser Funktion vor allem die Beziehungen zu Frankreich und den USA wieder aufleben. Adenauer war Mitbegründer der CDU und ab 1950 für 16 Jahre Parteichef.
Von 1951 bis 1955 war Adenauer zudem Außenminister und ließ in dieser Funktion vor allem die Beziehungen zu Frankreich und den USA wieder aufleben. Adenauer war Mitbegründer der CDU und ab 1950 für 16 Jahre Parteichef. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Ludwig Erhard (*4. Februar 1897, † 5. Mai 1977) war von 1963 bis 1966 Bundeskanzler. Zuvor hatte er 14 Jahre an der Spitze des Wirtschaftsministeriums gestanden und das Wirtschaftswunder maßgeblich mit angeschoben.
Ludwig Erhard (*4. Februar 1897, † 5. Mai 1977) war von 1963 bis 1966 Bundeskanzler. Zuvor hatte er 14 Jahre an der Spitze des Wirtschaftsministeriums gestanden und das Wirtschaftswunder maßgeblich mit angeschoben. © IMAGO | imago/Sven Simon
Als Kanzler blieb er in vielen Fragen glücklos und trat schon nach etwas mehr als drei Jahren zurück. Auch den CDU-Vorsitz hatte er nur kurz inne: von März 1966 bis Mai 1967.
Als Kanzler blieb er in vielen Fragen glücklos und trat schon nach etwas mehr als drei Jahren zurück. Auch den CDU-Vorsitz hatte er nur kurz inne: von März 1966 bis Mai 1967. © picture alliance/AP | AP Content
Kurt Georg Kiesinger (*6. April 1904, † 9. März 1988) wurde 1966 nach acht Jahren als baden-württembergischer Ministerpräsident ins Kanzleramt gewählt. Er war der erste Kanzler, der mit einer Großen Koalition regierte. Seine Amtszeit war die kürzeste aller bisherigen Kanzler.
Kurt Georg Kiesinger (*6. April 1904, † 9. März 1988) wurde 1966 nach acht Jahren als baden-württembergischer Ministerpräsident ins Kanzleramt gewählt. Er war der erste Kanzler, der mit einer Großen Koalition regierte. Seine Amtszeit war die kürzeste aller bisherigen Kanzler. © picture alliance / AP Photo | dpa Picture-Alliance / AP
Bei der Bundestagswahl 1969 blieb seine CDU zwar stärkste Kraft, musste die Regierung aber an eine sozialliberale Koalition abtreten. Kiesinger ging die FDP nach deren Absage an die CDU hart an und wurde dafür harsch kritisiert. Auch seine Vergangenheit als NSDAP-Mitglied wurde immer wieder kritisch beäugt.
Bei der Bundestagswahl 1969 blieb seine CDU zwar stärkste Kraft, musste die Regierung aber an eine sozialliberale Koalition abtreten. Kiesinger ging die FDP nach deren Absage an die CDU hart an und wurde dafür harsch kritisiert. Auch seine Vergangenheit als NSDAP-Mitglied wurde immer wieder kritisch beäugt. © IMAGO | imago/Sven Simon
Willy Brandt (*18. Dezember 1913, † 8. Oktober 1992) war der erste Bundeskanzler aus den Reihen der SPD, deren Vorsitzender er von 1964 bis 1987 war. Im Kabinett Kiesinger war er zuvor als Außenminister und Vizekanzler tätig, bis 1957 war er Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen.
Willy Brandt (*18. Dezember 1913, † 8. Oktober 1992) war der erste Bundeskanzler aus den Reihen der SPD, deren Vorsitzender er von 1964 bis 1987 war. Im Kabinett Kiesinger war er zuvor als Außenminister und Vizekanzler tätig, bis 1957 war er Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen. © IMAGO | imago/Sven Simon
In seiner Zeit als Kanzler von 1969 bis 1974 sorgte Brandt vor allem für eine Annäherung an die Staaten des damaligen Ostblocks – eine erste Entspannung in Zeiten des Kalten Kriegs.
In seiner Zeit als Kanzler von 1969 bis 1974 sorgte Brandt vor allem für eine Annäherung an die Staaten des damaligen Ostblocks – eine erste Entspannung in Zeiten des Kalten Kriegs. © © epd-bild / Guenay Ulutuncok | Guenay Ulutuncok
Weltberühmt wurde sein „Kniefall von Warschau“ am 7. Dezember 1970 am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos , mit dem er in der polnischen Hauptstadt um Vergebung für die NS-Verbrechen bat. Für seine Entspannungspolitik erhielt der Brandt 1971 den Friedensnobelpreis. Wegen der Affäre um den Kanzleramtsspion Günter Guillaume trat er im Mai 1974 zurück.
Weltberühmt wurde sein „Kniefall von Warschau“ am 7. Dezember 1970 am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos , mit dem er in der polnischen Hauptstadt um Vergebung für die NS-Verbrechen bat. Für seine Entspannungspolitik erhielt der Brandt 1971 den Friedensnobelpreis. Wegen der Affäre um den Kanzleramtsspion Günter Guillaume trat er im Mai 1974 zurück. © © epd-bild / Keystone | Keystone
Helmut Schmidt (*23. Dezember 1918, †10. November 2015) übernahm ab 1974 für acht Jahre den Chefposten im Kanzleramt. Zuvor der SPD-Politiker von 1969 bis 1972 Verteidigungsminister, danach für zwei Jahre Finanzminister. In seine Amtszeit fielen einige wirtschaftliche Krisen, denen er unter anderem mit der Gründung des „Weltwirtschaftsgipfels“ begegnete.
Helmut Schmidt (*23. Dezember 1918, †10. November 2015) übernahm ab 1974 für acht Jahre den Chefposten im Kanzleramt. Zuvor der SPD-Politiker von 1969 bis 1972 Verteidigungsminister, danach für zwei Jahre Finanzminister. In seine Amtszeit fielen einige wirtschaftliche Krisen, denen er unter anderem mit der Gründung des „Weltwirtschaftsgipfels“ begegnete. © IMAGO | imago/Sven Simon
Im Kampf gegen die RAF-Terroristen setzte der Mann mit der Zigarette ab 1975 auf eine unnachgiebige Linie, die ihm vor allem Kritik der Opfer-Familien einbrachte. Sein in Schmidts eigener Partei hoch umstrittenes Engagement für den „Nato-Doppelbeschluss“, der die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland als Gegengewicht zur sowjetischen Nuklearmacht vorsah, ließ die sozialliberale Koalition schließlich zerbrechen.
Im Kampf gegen die RAF-Terroristen setzte der Mann mit der Zigarette ab 1975 auf eine unnachgiebige Linie, die ihm vor allem Kritik der Opfer-Familien einbrachte. Sein in Schmidts eigener Partei hoch umstrittenes Engagement für den „Nato-Doppelbeschluss“, der die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland als Gegengewicht zur sowjetischen Nuklearmacht vorsah, ließ die sozialliberale Koalition schließlich zerbrechen. © picture alliance / Klaus Rose | dpa Picture-Alliance / Klaus Rose
Helmut Kohl (*3. April 1930, †16. Juni 2017) absolvierte die bislang längste Amtsperiode als Bundeskanzler: von 1982 bis 1998. Zuvor, von 1969 bis 1976, hatte der CDU-Politiker als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz regiert. In den Siebzigerjahren war Kohl mitverantwortlich für einige Kursänderungen in der CDU, deren Vorsitzender er von 1973 bis 1998 war.
Helmut Kohl (*3. April 1930, †16. Juni 2017) absolvierte die bislang längste Amtsperiode als Bundeskanzler: von 1982 bis 1998. Zuvor, von 1969 bis 1976, hatte der CDU-Politiker als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz regiert. In den Siebzigerjahren war Kohl mitverantwortlich für einige Kursänderungen in der CDU, deren Vorsitzender er von 1973 bis 1998 war. © IMAGO | imago/Sven Simon
In seine Kanzlerschaft fiel die deutsche Wiedervereinigung, er gilt bis heute als „Kanzler der Einheit“. In der Kritik stand er am Ende seiner politischen Laufbahn wegen der CDU-Spendenaffäre, die ihn letztlich auch den Ehrenvorsitz seiner Partei kostete.
In seine Kanzlerschaft fiel die deutsche Wiedervereinigung, er gilt bis heute als „Kanzler der Einheit“. In der Kritik stand er am Ende seiner politischen Laufbahn wegen der CDU-Spendenaffäre, die ihn letztlich auch den Ehrenvorsitz seiner Partei kostete. © picture-alliance/ dpa/dpaweb | dpa Picture-Alliance / Stephanie Pilick
Gerhard Schröder (*7. April 1944) wurde 1998 nach acht Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident zum Bundeskanzler gewählt. Der Sozialdemokrat blieb bis 2005 im Amt und an der Spitze der ersten rot-grünen Bundesregierung. Seine Regierung schickte erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten in einen bewaffneten Konflikt – zur Befriedung des Kosovo.
Gerhard Schröder (*7. April 1944) wurde 1998 nach acht Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident zum Bundeskanzler gewählt. Der Sozialdemokrat blieb bis 2005 im Amt und an der Spitze der ersten rot-grünen Bundesregierung. Seine Regierung schickte erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten in einen bewaffneten Konflikt – zur Befriedung des Kosovo. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
Seine zweite Amtszeit „verdiente“ sich Schröder vor allem mit dem Krisenmanagement beim Elbe-Hochwasser 2002. Aus seiner Kanzlerschaft ging die Agenda 2010 hervor, aus der vor allem die „Hartz-Reformen“ bekannt sind. Die Agenda war seiner Zeit so umstritten und brachte ihm so viel Widerstände ein, dass er für 2005 eine vorgezogene Bundestagswahl ansetzte, die Rot-Grün verlor.
Seine zweite Amtszeit „verdiente“ sich Schröder vor allem mit dem Krisenmanagement beim Elbe-Hochwasser 2002. Aus seiner Kanzlerschaft ging die Agenda 2010 hervor, aus der vor allem die „Hartz-Reformen“ bekannt sind. Die Agenda war seiner Zeit so umstritten und brachte ihm so viel Widerstände ein, dass er für 2005 eine vorgezogene Bundestagswahl ansetzte, die Rot-Grün verlor. © IMAGO | imago/Jürgen Eis
Mit Angela Merkel (*17. Juli 1954) kam 2005 die erste Frau an die Spitze der Bundesregierung. Zunächst regierte die Christdemokratin von 2005 bis 2009 in einer Großen Koalition mit der SPD, nach der Wahl 2009 mit einem Bündnis aus CDU und FDP – und seit 2013 wieder mit der SPD.
Mit Angela Merkel (*17. Juli 1954) kam 2005 die erste Frau an die Spitze der Bundesregierung. Zunächst regierte die Christdemokratin von 2005 bis 2009 in einer Großen Koalition mit der SPD, nach der Wahl 2009 mit einem Bündnis aus CDU und FDP – und seit 2013 wieder mit der SPD. © REUTERS | REUTERS / POOL New
Zuvor hatte sie als Ministerin für Frauen und Jugend (1991 bis 1994) sowie als Umweltministerin (1994 bis 1998) gearbeitet. Seit April 2000 ist Merkel Bundesvorsitzende der CDU.
Zuvor hatte sie als Ministerin für Frauen und Jugend (1991 bis 1994) sowie als Umweltministerin (1994 bis 1998) gearbeitet. Seit April 2000 ist Merkel Bundesvorsitzende der CDU. © dpa | Jörg Sarbach
Nach dem Ja zur Großen Koalition ist Merkel am 14. März, sechs Monate nach der Bundestagswahl, zum vierten Mal wiedergewählt worden. In einem Weißen Blazer (bei den ersten Ernennungen trug sie einen schwarzen Blazer) legte sie Eidesformel ab.
Nach dem Ja zur Großen Koalition ist Merkel am 14. März, sechs Monate nach der Bundestagswahl, zum vierten Mal wiedergewählt worden. In einem Weißen Blazer (bei den ersten Ernennungen trug sie einen schwarzen Blazer) legte sie Eidesformel ab. © dpa | Soeren Stache
Olaf Scholz (*14. Juni 1958 in Osnabrück) ist seit dem 8. Dezember 2021 Bundeskanzler der Bundesrepublik. Er löste  Angela Merkel ab, die im Wahlkampf 2021 nicht mehr für die Union angetreten war. Scholz hatte zuvor in der Großen Koalition als Vizekanzler und Finanzminister gearbeitet.  Scholz gilt als penibler Technokrat.
Olaf Scholz (*14. Juni 1958 in Osnabrück) ist seit dem 8. Dezember 2021 Bundeskanzler der Bundesrepublik. Er löste Angela Merkel ab, die im Wahlkampf 2021 nicht mehr für die Union angetreten war. Scholz hatte zuvor in der Großen Koalition als Vizekanzler und Finanzminister gearbeitet. Scholz gilt als penibler Technokrat. © Bernd von Jutrczenka/dpa/Archivbild
Zu den großen Krisen seiner Amtszeit gehört der Krieg in der Ukraine, den Russland unter Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 begann. Scholz tauschte sich im Sommer 2022 dazu mit den führenden Industrienationen der G7 aus - hier ein Bild mit US-Präsident Joe Biden beim G7-Gipfel im bayerischen Elmau.
Zu den großen Krisen seiner Amtszeit gehört der Krieg in der Ukraine, den Russland unter Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 begann. Scholz tauschte sich im Sommer 2022 dazu mit den führenden Industrienationen der G7 aus - hier ein Bild mit US-Präsident Joe Biden beim G7-Gipfel im bayerischen Elmau. © dpa | Michael Kappeler
1/20

Er, der „Kanzler der Einheit“, hatte einen schweren Fehler gemacht. Erstmals musste Helmut Kohl um seine Ehre kämpfen. Er bezahlte mit seinem Ruf und 300.000 D-Mark Bußgeld einen hohen Preis dafür, dass die Partei undeklarierte Spenden in Millionenhöhe angenommen hatte. Die junge Angela Merkel, unter Kohls Auserwählten das größte Talent, nutzte die Gunst der Stunde, sicherte sich die Machtbasis in der Partei und eroberte später auch das Kanzleramt in Berlin. Die schneeweiße Trutzburg, die Helmut Kohl mit seinem Lieblingsarchitekten Axel Schultes geplant hatte. Vertragen hat man sich später öffentlich, vor den Kameras. Wirklich ausgesöhnt – das weiß man im engsten Kreise Kohls – haben sich Angela Merkel und Helmut Kohl nie.

Das Gesetz des Maßhaltens war ihm immer bewusst

Helmut Kohls Prägung begann im bescheidenen Elternhaus, als jüngstes von drei Kindern. Der Vater Finanzbeamter, die Mutter Hausfrau. In seinen Erinnerungen schreibt Kohl: „Was man hatte, schien verhältnismäßig sicher. Das Gesetz des Maßhaltens, des Einschränkens, des Verzichtens war aber immer gegenwärtig“. Die ersten eigenen Schuhe gab es für den jungen Helmut erst, als seine Füße länger waren als die des älteren Bruders. Auch in der dunkelsten Zeit Deutschlands blieb das Elternhaus – „tiefschwarz und christlich-katholisch“ (Kohl) – weitgehend intakt. Die Familie blieb es nicht.

Kohls älterer Bruder Walter starb mit nur 19 Jahren November 1944 bei einem Tieffliegerangriff in Westfalen. Der Verlust war prägend für den Mann, der wie die meisten Politiker seiner Generation, die Sehnsucht nach Frieden in Europa zum Lebensthema machte. Kohl erinnert sich in seinen Memoiren an die letzte Begegnung: „Ich hatte ihn sehr früh am Morgen noch zur Straßenbahnhaltestelle begleitet (…). Beim Einsteigen drehte er sich um und sagte plötzlich und ohne jede Vorwarnung: „Pass auf Dich auf, ich komme nicht wieder. Und kümmere dich vor allem um Mama“.

Mit 16 Jahren trat Helmut Kohl in die CDU ein, obwohl er – so gestand er später – damals Kurt Schumacher interessanter fand als Konrad Adenauer oder Theodor Heuss. Der erste SPD-Chef – KZ-Überlebender, bein- und armamputiert – faszinierte den jungen Kohl, der ihn 1947 in Mannheim persönlich erstmals erlebte. Ganz besonders gefiel ihm dessen Vision der deutschen Einheit. Auch später – nach Jahrzehnten harter Wahlkämpfe gegen die SPD - sollte Kohl die persönliche Nähe zu großen Sozialdemokraten suchen. Und er entsprach im Alter immer weniger dem von der Partei gepflegten Klischee des „SPD-Fressers“, der im Spaß angeblich seinen Schäferhund beim Wort „Soz“ knurren lassen konnte.

Drang zur Einheit schweißte Kohl und Brandt zusammen

Besonders zu Willy Brandt suchte Helmut Kohl im Alter die Nähe, obwohl gerade mit ihm die politische Auseinandersetzung besonders hart und unnachgiebig war. Der unbeirrbare Drang zur deutschen Einheit schweißte die beiden spät zusammen. Legendär bleibt der Besuch Kohls 1998 am Sterbebett des SPD-Kanzlers im Reihenhaus von Unkel. Brandt, vom Krebs gezeichnet, hatte sich für seinen Gast erhoben und angezogen. Auf Kohls Frage, warum er sich diese Mühe gemacht habe, antwortete Brandt: „Wenn mein Bundeskanzler kommt, bleibe ich nicht im Bett liegen“.

Die Partei-Karriere machte Kohl schnell, obwohl er dabei manchen Rückschlag verkraften musste. Jüngster Abgeordneter im Mainzer Landtag 1959, - der Doktortitel nach dem Studium in Heidelberg noch frisch - acht Jahre später Fraktionschef, Einzug in den CDU-Bundesvorstand, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Als „Aussitzer“ wurde Kohl später im Kanzleramt geschmäht, in Rheinland-Pfalz galt er noch als Polit-Rebell und reformierte mit Heiner Geißler das Land und das behäbige Partei-Establishment schwindelig.

Am 12. Juni 1973 wählten die CDU-Delegierten den Pfälzer nach Rainer Barzels schwerer Wahlniederlage mit 43 Jahren in Bonn zum Bundesvorsitzenden. Kohl hatte das Amt 25 Jahre inne und baute die Partei bis zur Übergabe an seinen Nachfolger Wolfgang Schäuble zur mitgliederstärksten Volkspartei Deutschlands aus. Aus dem engen Verhältnis zu Schäuble war durch die Parteispenden-Affäre am Ende eine Feindschaft geworden, das Verhältnis blieb zerrüttet bis zum Tode Helmut Kohls.

Kohl erkannte die einmalige Gunst der Stunde und nutzte sie

„Historisch viel gewichtiger als die Erfolge als Parteiführer“, so urteilt der Historiker und Kohl-Biograf Hans-Peter Schwarz, ist „die Leistung des Kanzlers der Einheit“. Es war tatsächlich DER politische Glücksfall im Leben Helmut Kohls, dass er es war, der im Wende-Herbst 1989 an der Spitze einer bundesdeutschen Regierung stand. Helmut Kohl erkannte die einmalige Gunst der Stunde und nutzte sie. Mit dem Instinkt des Historikers, der aus der Geschichte der Völker gelernt hat, machte Kohl fast alles richtig – auch wenn er erst spät die volle Einheit der Nation als umsetzbares Ziel erkannte.

Die USA mit George Bush Senior hielten den deutschen Kanzler schon lange für verlässlich, man hielt ihm den Rücken frei. Zu Michail Gorbatschow knüpfte Kohl schnell engen Kontakt und er verstand die besondere Situation des Russen, dessen Vertrauen er mit seiner Persönlichkeit aber auch mit teuren Versprechen gewann. Engländer und Franzosen – mit Maggie Thatcher und Francois Mitterrand – keine wirklichen Freunde eines neuen starken Deutschlands, lullte er ein, indem er den Riesen Deutschland noch stärker in ein europäisches Korsett zwängte und später sogar die D-Mark opferte.

Mit den Folgen der Währungsunion, die Kohl ohne eine echte gemeinsame europäische Wirtschafts- und Fiskalpolitik vorantreiben musste, hat Europa noch heute zu kämpfen. Auch das ist ein Erbe des Europäers Helmut Kohl, der als zweiter Mensch nach dem Franzosen Jean Monnet durch die Staats-und Regierungschefs der EU 1998 mit dem Titel „Ehrenbürger Europas“ ausgezeichnet wurde.

Kohl hörte in Polen vom Fall der Mauer

Kohls großes Verständnis der europäischen Geschichte brachte auch die Empathie für die kleinen, scheinbar weniger bedeutenden Staaten Europas, mit sich. Auch ihr Vertrauen brauchte Kohl, wenn er die deutsche Einheit erreichen wollte und es war kein Zufall, dass der Kanzler auf einem Staatsbesuch in Polen vom Fall der Berliner Mauer überrascht wurde.

Als am Abend des 9. November 1989 die ersten Ost-Berliner nach der Pressekonferenz des SED-Bezirksvorsitzenden Günter Schabowski die Grenze passieren, sitzt Kohl mit Polens Regierungschef Mazowiecki beim Festbankett im Palast des polnischen Ministerrats. Noch während des Essens wird er diskret von Regierungssprecher Hans Klein über Unglaubliches unterrichtet. Über die offenen Grenzübergänge. Über die Abgeordneten, die im Bundestag spontan das Deutschlandlied sangen.

Kohl ruft nach dem Essen in Bonn seinen engsten Vertrauten Eduard Ackermann an. „Herr Bundeskanzler, im Augenblick fällt gerade die Mauer!“ ruft der begeistert ins Telefon. Kohl fragt ungläubig: „Ackermann, sind Sie sicher?“. „Ja“ lautet die Antwort. Kohl schreibt dazu verblüffend ehrlich in seinen Memoiren: „Es verschlug mir fast die Sprache. Wir alle hatten ja erwartet, dass bald etwas Entscheidendes in Sachen Reisefreiheit passieren würde, aber das es so schnell und vor Allem mit solchen Auswirkungen passieren würde, war kaum zu fassen“.

Eine Nacht, die allen, die dabei waren, unvergessen bleibt

Es war für Helmut Kohl wohl der glücklichste Moment in seiner Amtszeit, die Sternstunde aber kam nach den 329 Tagen, in denen Helmut Kohl – so urteilt der Historiker Schwarz, „ein innen- und außenpolitisches Meisterstück“ ablieferte, „das man keinem Bundeskanzler zugetraut hätte, auch Kohl nicht“: Am Ende eines historischen diplomatischen Großmanövers stand die Nacht der Wiedervereinigung in Berlin am 3. Oktober 1990. Die Wiedergeburt Deutschlands und das Ende des Kalten Krieges. Eine Nacht, die allen, die dabei waren, bis ans Lebensende unvergessen bleibt.

Über eine Million Deutsche aus Ost und West, die sich mit dem zwölften Glockenschlag weinend in den Armen lagen. Über ihren Köpfen ein gigantisches Feuerwerk, auf den Stufen des Reichstags der „Kanzler der Einheit“ umgeben von den Spitzen des Staates, dazu die Klänge des Deutschlandlieds, gespielt von den Berliner Philharmonikern. Nie war Helmut Kohls Triumph größer als in dieser Nacht der Deutschen.

Ehefrau Hannelore starb tragischen Tod

Persönlich tragisch blieb bis zum Tode für Helmut Kohl, dass er sein politisches Idealbild der Familie, nicht im Privaten leben konnte. Seine erste Frau Hannelore, die er als 15-Jährige beim Tanztee im Ludwigshafener Gasthaus „Zum Weinberg“ kennenlernte, starb im Juli 2001 tragisch nach über 40 Ehejahren durch Suizid mit einer Überdosis Schlafmittel. Eine rätselhafte Lichtallergie hatte sie über Jahre gequält und vom öffentlichen Leben nahezu ausgeschlossen.

Mit seinen Söhnen Peter und Walter hat sich Helmut Kohl nach dem Tod Hannelore Kohls überworfen – wer Schuld daran trägt, ist nicht einmal für enge Freunde gerecht zu beurteilen. Es ist Helmut Kohl zu wünschen, dass sie mit Enkeln und Schwiegertöchtern auf der Trauerfeier ihren Frieden mit dem Vater finden. Im Speyrer Dom, dem Wallfahrtsort Helmut Kohls, der ihn schon zu Lebzeiten magisch angezogen hat. In der größten romanischen Kirche der Welt wird die Bundesrepublik die wohl größte Trauerfeier ihrer 70jährigen Geschichte erleben. Politiker und Staatschefs werden einem Politiker gedenken, der Europa geprägt hat. Wahrscheinlich stärker als manch Salier-Fürst, tief unten in der Marmor-Gruft.