Berlin. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch über den Machtwillen seiner Partei, Chancen für Rot-Rot-Grün – und warum er Schulz wählen würde.

Fraktionschef Dietmar Bartsch möchte seine Partei nach der Bundestagswahl am 24. September in eine Koalition mit SPD und Grünen führen. Vor dem Parteitag der Linken am Wochenende in Hannover erklärt er, wie das funktionieren könnte.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es am Ende des Jahres einen Bundesminister Bartsch gibt?

Dietmar Bartsch: Ich bin auf das Wahlergebnis im September fixiert, nicht auf Ministerposten. Ich kann mir das aktuell nicht vorstellen.

Warum?

Man kann an vielen Stellen, wie ich aktuell als Fraktionsvorsitzender, eine Menge bewegen – in Partei, Fraktion und Gesellschaft. Außerdem weiß ich, was Minister bedeutet.

Wer ist bei der Linken überhaupt in der Lage, ein Ministerium zu führen?

Da gibt es viele und es würden sich viele finden. In den Ländern haben wir inzwischen nachgewiesen, dass wir kompetente Ministerinnen und Minister haben.

Wollen Sie denn regieren?

Ja. Wir wollen Regierungsverantwortung übernehmen und einen Politikwechsel einleiten. Vor allem muss der soziale Zusammenhalt in Deutschland wieder hergestellt werden. Ein Mitte-links-Bündnis in der zentralen Industriemacht Europas ist essenziell, um ein Scheitern der EU zu verhindern. Seit Angela Merkel regiert, steigt die Jugendarbeitslosigkeit in den Südländern Europas, feiern die Rechtspopulisten Erfolge, die Briten entscheiden sich gegen diese EU. Die EU ist in der schwersten Krise ihrer Geschichte.

Die Bundeskanzlerin ist Schuld am Brexit?

Natürlich hat Angela Merkel nicht die Schuld an allem Elend dieser Welt. Aber ihre unsolidarische, auf deutsche Interessen fixierte Politik hat einen relevanten Anteil am Brexit und dem Erstarken der Rechtspopulisten in Europa. Letztlich schadet das auch unserem Land.

Stört es Sie, dass die SPD bei der Aussicht auf Rot-Rot-Grün auf die Bremse tritt?

Die SPD stört nicht mal mehr Merkel und Seehofer, das ist das Problem. Wir kämpfen für uns und ich mache der SPD keine Vorschriften. Nach der Wahl werden wir sehen, was geht. Einen Politikwechsel gibt es nur mit der Linken.

Würde Ihre Fraktion Martin Schulz zum Kanzler wählen?

Wenn die Voraussetzungen stimmen, würden wir Martin Schulz zum Kanzler wählen. Allerdings müsste davor viel passieren: Erstmal müssen die Wählerinnen und Wähler ein Mitte-links-Bündnis rechnerisch ermöglichen, dann muss es einen Koalitionsvertrag geben, der eine fortschrittliche Politik bringt. Und sollte dieser von der Parteibasis bestätigt werden, dann stünde einem Kanzler Schulz von uns aus nichts im Wege.

In mehreren Landtagen haben wir Sozialdemokraten zu Ministerpräsidenten gewählt. Wenn es um Zuverlässigkeit ging, war auf meine Partei immer Verlass, anders als auf die SPD zum Beispiel in Hessen.

Es gibt eine rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag. Sie könnten Schulz schon jetzt zum Kanzler machen.

Das ist jetzt vorbei. Ich finde, dass die SPD einen großen Fehler gemacht hat, indem sie diese Mehrheit nie nutzte. Das hätten sie 2013 machen können und spätestens 2016 machen sollen.

Ist Schulz der richtige Kanzlerkandidat?

Es geht nicht um Personen, sondern um Politik. Es geht nicht zu sagen: „Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden“ und wie ein Vizekanzlerkandidat zu handeln. Martin Schulz muss konkret sagen, was er in Deutschland und Europa verändern will.

Natürlich wünsche ich mir, dass die SPD viele Stimmen aus dem Lager der Union holt. Gerade sieht es allerdings so aus, als würde es einen Wettlauf geben zwischen SPD, FDP und Grünen in der Frage: Wer ist der erste auf Merkels Schoß? Die SPD wirkt so, als würde sie sich auf die Fortsetzung der großen Koalition einstellen. Aber diese große Koalition war nicht gut für dieses Land.

Was ist das linke Thema für die Bundestagswahl?

Unser zentrales Thema ist die soziale Gerechtigkeit, die eine Umverteilung von oben nach unten und weniger Ausgaben für Rüstung voraussetzt. Es muss zum Beispiel endlich entschlossen gegen Kinderarmut vorgegangen werden, Schluss sein mit der Zwei-Klassen-Medizin.

Wir brauchen eine große Rentenreform, sodass die Rente lebensstandardsichernd im Alter ist, mit einer Mindestrente von 1050 Euro Altersarmut verhindert und die Angleichung der Ost-Renten schneller umgesetzt wird. Und wir brauchen dringend eine große Steuerreform, um kleine und mittlere Einkommen zu entlasten und um kraftvolle Zukunftsinvestitionen in Schulen, Kitas, Krankenhäuser und digitale Infrastruktur zu ermöglichen.

Wie soll die Steuerreform aussehen?

Im Einkommenssteuerbereich brauchen wir einen höheren Freibetrag – 12.000 Euro. Wer allein bis zu 7100 Euro monatlich verdient, wird nach unserem Modell entlastet – also beispielsweise die Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Der Spitzensteuersatz muss später einsetzen und auf 53 Prozent steigen, wie zu Zeiten Helmut Kohls. Ab einer Million Euro Jahreseinkommen greift dann ein Steuersatz von 75 Prozent.

Wir brauchen eine Millionärssteuer und die Reform der Erbschaftssteuer. Wir wollen selbstverständlich keine Betriebe kaputt machen oder Arbeitsplätze gefährden. Wir sind ja nicht behämmert. Uns geht es um obszönen Reichtum und um Superprofite.

Aber warum so viel ändern? Die Deutschen sind laut Umfragen zufrieden. Es geht ihnen offenbar ganz gut.

Das stimmt für viele. Wir reden das Land nicht schlecht. Aber wo Kinder- und Altersarmut in Größenordnungen existieren, kann von einem funktionierenden Sozialstaat keine Rede sein. Bei allen darin enthaltenen Beschönigungen ist der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung der Ausweis einer gescheiterten Politik.

Sie haben mit FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Chef Cem Özdemir einen Brief an die Fernsehsender geschrieben, weil Sie beim TV-Duell von Merkel und Schulz dabei sein wollen. Gab es da schon eine Antwort?

Ja, in dem Brief stand, dass sie unser Anliegen interessant finden, aber dass sie weiterhin nur mit Merkel und Schulz planen. Wir werden nachhaken. Wenn nur Merkel und Schulz zum TV-Duell kommen, ist die große Koalition unter sich. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind stark von Union und SPD dominiert. Wenn jetzt die Parteibücher der Zuständigen in den Sendeanstalten bestimmen, dass die kleinen Parteien nicht zum TV-Duell dürfen, offenbart das ein haarsträubendes Demokratieverständnis.

Wer würde denn aus Ihrer Partei zum TV-Duell gehen? Sie? Sahra Wagenknecht? Einer der Parteichefs, Katja Kipping oder Bernd Riexinger?

Das entscheiden wir, wenn es zu einem solchen Format mit Merkel und Schulz kommen sollte.