Berlin. Nach dem verheerenden Anschlag in Kabul läuft die Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan. Was sind die wichtigsten Positionen?

  • Nach dem verheerenden Anschlag in Kabul läuft die Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan
  • Was sind die wichtigsten Positionen?

Nach dem schweren Bombenanschlag in unmittelbarer Nähe der deutschen Botschaft in der afghanischen Hauptstadt Kabul ist in Deutschland die Debatte über Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan wieder voll entbrannt.

Politiker von SPD, Linken und Grünen sowie Menschenrechtsorganisationen fordern angesichts der Sicherheitslage einen generellen Abschiebestopp für Afghanen. Unions-Politiker – allen voran Kanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) – lehnen das ab. Was sind die wesentlichen Positionen in der Debatte? Welche Positionen vertreten die einzelnen Parteien? Ein Überblick.

1. CDU

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach dem Anschlag in Kabul Einzelfallprüfungen für die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan angekündigt. Der Anschlag vom Mittwoch sei Anlass, „noch einmal genau hinzuschauen, die Sicherheitslage immer wieder richtig zu analysieren“, sagte Merkel am Donnerstag in Berlin.

„Ich sage auch Provinz für Provinz, das macht das Bundesaußenministerium auch.“ Zudem solle man sich auf die Flüchtlinge aus Afghanistan konzentrieren, die kriminelle Taten in Deutschland begangen hätten, und sich jeden Einzelfall genau anschauen, sagte sie. „Das ist für mich die Lehre aus dem gestrigen Tag.“

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte indes im ARD-„Morgenmagazin“, es bleibe dabei, „dass grundsätzlich in Regionen nach Afghanistan abgeschoben werden kann“.

2. SPD

Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat indes einen vorläufigen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Afghanistan gefordert. „Ich glaube, dass wir im Lichte der Ereignisse des gestrigen Tages zunächst einmal nicht weiter abschieben sollten“, sagte der Parteivorsitzende am Donnerstag beim WDR-Europaforum in Berlin.

Das Auswärtige Amt müsse nun die Sicherheitslage neu bewerten. Dann müsse auf dieser Grundlage entschieden werden, ob und wann die Abschiebungen wieder aufgenommen werden könnten. Zurzeit seien sie „kein vertretbares Instrument“, sagte Schulz.

Auch Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sprachen sich dafür aus, Abschiebungen nach Afghanistan auf den Prüfstand zu stellen. „Der grausame Anschlag in Kabul macht es aus meiner Sicht zwingend, dass die Bundesregierung ihre Sicherheitseinschätzung überprüft“, sagte der Bremer Regierungschef unserer Redaktion.

3. Grüne

Ähnlich kritisch blicken die Grünen auf Rückführungen. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: „Das ist ein krankes System.“ Das Außenministerium müsse seine Einschätzung, dass Abschiebungen möglich sind, ändern und nicht länger „Gefälligkeitsgutachten“ für den Innenminister erstellen.

Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour forderte indes am Donnerstag im Bayerischen Rundfunk, die Sicherheitslage realistisch einzuschätzen. „Das ist nicht der Fall. Ich frage mich, wie das Auswärtige Amt zu einem so brachial anderen Ergebnis kommt als die Vereinten Nationen.“ Die Sicherheitslage in Afghanistan sei konstant schlecht, betonte er. „Das ist gestern auf dramatische Art und Weise noch mal unterstrichen worden.“

Der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Tom Koenigs, erklärte, Afghanistan sei „ein Land im Krieg – und dahin darf man nicht abschieben“. In fast jeder Provinz oder Region habe es bereits Anschläge gegeben, sagte der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan dem Radiosender WDR5. Deshalb sei die Lage nirgendwo sicher.

4. Linke

Die Linke-Chefin Katja Kipping macht der Union in der Debatte über Abschiebungen nach Afghanistan schwere Vorwürfe. „Die deutsche Botschaft in Kabul liegt nach dem schlimmen Terroranschlag fast in Schutt und Asche, doch die Union will weiter in das Bürgerkriegsland abschieben“, sagte Kipping am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Das ist unchristlich und eine Schande für unser Land.“

Die SPD dürfe sich in der Bundesregierung nicht länger einen schlanken Fuß machen und dem Treiben von CDU und CSU zusehen und „sogar über Einschätzungen des Außenministeriums Munition dafür liefern“, so die Linken-Chefin. Nötig sei ein sofortiger und umfassender Stopp von Abschiebungen nach Afghanistan.

Auch zum Beispiel die Linke-Politikerin Ulla Jelpke vertritt den Kurs: „Abschiebungen in Krieg, Terror und Elend sind unmenschlich und müssen dauerhaft ausgesetzt werden.“

5. FDP

FDP-Chef Christian Lindner sagte der „Passauer Neuen Presse“, „ein genereller Abschiebestopp wäre ein Konjunkturprogramm für kriminelle Schlepper“.

Das entspricht der generellen Linie der Partei. Auf ihrem Bundesparteitag im April hatten sich die Mehrheit der Delegierten dafür ausgesprochen, Abschiebungen in das Krisenland nicht auszusetzen. Eine ganz andere Position vertritt die Jugendorganisation der FDP, die Jungen Liberalen. „Derzeit gehen Abschiebungen nach Afghanistan gar nicht“, sagte der JuLi-Vorsitzende Konstantin Kuhle bereits Ende April der „Süddeutschen Zeitung“ – und damit lange vor dem verheerenden Anschlag mit mindestens 90 Toten. (dpa/les)

Bombenanschlag verwüstet Kabul

Bei einem der schwersten Anschläge in Afghanistan in den letzten Jahren sind mindestens 80 Menschen gestorben. Die Detonation ereignete sich in der Nähe der deutschen Botschaft in Kabul.
Bei einem der schwersten Anschläge in Afghanistan in den letzten Jahren sind mindestens 80 Menschen gestorben. Die Detonation ereignete sich in der Nähe der deutschen Botschaft in Kabul. © dpa | Rahmat Gul
Laut afghanischer Regierung sind bei dem Autobombenanschlag mehr als 350 Menschen verletzt worden.
Laut afghanischer Regierung sind bei dem Autobombenanschlag mehr als 350 Menschen verletzt worden. © Xinhuaddp images/Newscom | Rahmat Alizadah
Angestellte einer Firma verlassen nach dem Anschlag das Gebäude in der Nähe der deutschen Botschaft.
Angestellte einer Firma verlassen nach dem Anschlag das Gebäude in der Nähe der deutschen Botschaft. © dpa | Massoud Hossaini
Die deutsche Botschaft liegt rund 300 Meter vom Anschlagsort entfernt.
Die deutsche Botschaft liegt rund 300 Meter vom Anschlagsort entfernt. © Xinhuaddp images/Newscom | Rahmat Alizadah
Angehörige trauern um die Opfer. Nach Angaben von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel wurde auch ein afghanischer Wachmann der deutschen Botschaft getötet. Zudem seien Bedienstete der Vertretung verletzt worden.
Angehörige trauern um die Opfer. Nach Angaben von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel wurde auch ein afghanischer Wachmann der deutschen Botschaft getötet. Zudem seien Bedienstete der Vertretung verletzt worden. © REUTERS | OMAR SOBHANI
Sicherheitskräfte patrouillieren am Morgen nach dem Anschlag auf der Straße. Die Explosion hat sich an einer viel befahrenen Straße zwischen der deutschen Botschaft und einem Sicherheitsposten am Sanbak-Platz ereignet.
Sicherheitskräfte patrouillieren am Morgen nach dem Anschlag auf der Straße. Die Explosion hat sich an einer viel befahrenen Straße zwischen der deutschen Botschaft und einem Sicherheitsposten am Sanbak-Platz ereignet. © dpa | Rahmat Gul
Die Detonation zerstörte Gebäude auch in hunderten Meter Entferung. Dieser Mann wurde am Kopf verletzt.
Die Detonation zerstörte Gebäude auch in hunderten Meter Entferung. Dieser Mann wurde am Kopf verletzt. © dpa | Massoud Hossaini
Dutzende Reinigungskräfte räumten nach dem verheerenden Anschlag Schutt und Asche beiseite.
Dutzende Reinigungskräfte räumten nach dem verheerenden Anschlag Schutt und Asche beiseite. © dpa | Rahmat Gul
Die Wucht der Explosion habe mindestens 30 Fahrzeuge zerstört, hieß es seitens der Behörden.
Die Wucht der Explosion habe mindestens 30 Fahrzeuge zerstört, hieß es seitens der Behörden. © dpa | Rahmat Gul
Noch ist nicht klar, wer den Anschlag begangen hat. Zu den mehr als 350 Verletzten gehört auch diese Frau.
Noch ist nicht klar, wer den Anschlag begangen hat. Zu den mehr als 350 Verletzten gehört auch diese Frau. © dpa | Rahmat Gul
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