Berlin. Mütter und Väter wollen Familie und Job vereinbaren. Die Familienministerin sieht dabei Fortschritte. Doch Eltern klagen über Druck.

Für die meisten Mütter und Väter ist es ein Balanceakt: Sie wollen gute Eltern sein, aber sie wollen auch berufstätig sein. Vor zwei Jahren hat Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig mit Gewerkschaften und Arbeitgebern einen Pakt geschlossen. Das Ziel: bessere Arbeitsbedingungen für junge Eltern.

Der „Fortschrittsindex 2017“ des Familienministeriums, der dieser Redaktion exklusiv vorliegt, kommt nun zu dem Ergebnis, dass die Arbeitswelt in den letzten Jahren deutlich familienfreundlicher geworden ist. Es gebe „messbare Fortschritte auf dem Weg zur Vereinbarkeit“, sagte Schwesig dieser Redaktion. Der Bericht ist gleichzeitig Bilanz der scheidenden SPD-Ministerin, die in Kürze Regierungschefin in Mecklenburg-Vorpommern werden soll. Für die Opposition dagegen steht fest: Schwesig hätte mehr tun können. Der Mehrzahl der Eltern klagt sogar über wachsenden Druck.

Jedes dritte Kleinkind geht zur Kita

Manuela Schwesig (SPD) ist aktuell noch Familienministerin. Sie wechselt nach Mecklenburg-Vorpommern.
Manuela Schwesig (SPD) ist aktuell noch Familienministerin. Sie wechselt nach Mecklenburg-Vorpommern. © dpa | Jens Büttner

Der massive Ausbau der Kindertagesstätten durch Bund, Länder und Kommunen hat für viele junge Eltern die Vereinbarkeit von Job und Familie erleichtert. 2006 gingen 14 Prozent der unter Dreijährigen in die Kita – zehn Jahre später waren es schon 33 Prozent. Bei den Älteren sind es mehr als 90 Prozent.

Das Problem: Die Qualität lässt oft zu wünschen übrig. Die Gruppen sind häufig zu groß und die Personaldecke zu dünn, um eine wirklich hochwertige, einfühlsame Betreuung zu gewährleisten. Und: Noch immer gibt es längst nicht genügend Plätze für alle. Das gilt auch für die Zeit nach der Einschulung: Mehr als 22 Prozent der Eltern von Kindern bis unter elf Jahren haben für sie kein Betreuungsangebot nach dem Unterricht, wünschen sich aber eines.

Die meisten jungen Mütter sind berufstätig

Die Erwerbsquote von Müttern mit Kleinkindern (zwei bis drei Jahre) ist zwischen 2006 und 2015 deutlich gestiegen: Waren damals nur vier von zehn dieser Mütter berufstätig, sind es heute sechs von zehn. Bei den Frauen mit unter zweijährigen Kindern ist die Quote immerhin um zehn Prozent gestiegen.

Doch die wenigsten Frauen arbeiten ganztags: Bei den meisten Paaren haben die Mütter Teilzeitstellen, die Väter arbeiten in Vollzeit. Und es sieht nicht so aus, als würde sich das bald ändern, denn: Ein Modell, bei dem beide Eltern zwischen 28 und 36 Stunden pro Woche arbeiten, wünscht sich nur jede fünfte Mutter und nur jeder vierte Vater.

Hinzu kommt: Bereits jetzt fühlen sich viele Familien durch die Anforderungen der Arbeitswelt unter Druck. Nach einer repräsentativen Umfrage der Zeitschrift „Eltern“ haben heute viele größere Probleme mit der Vereinbarkeit als vor vier Jahren. Viele Frauen beklagen, dass sie nun zwar verstärkt berufstätig sind, der Großteil der Hausarbeit aber unverändert an ihnen hängen bleibt. Es wundert daher wenig, dass besonders die Frauen mit Blick auf die neuen Rollenmodelle eher ernüchtert sind.

Viele berufstätige Väter beteiligen sich an der Kinderbetreuung

Immer mehr berufstätige Männer nehmen Elternzeit: Die Väterbeteiligung ist innerhalb von zehn Jahren von 3,5 Prozent im Jahr 2006 auf fast 36 Prozent gestiegen. Aber: Die allermeisten nehmen nur zwei Monate – die restliche Zeit überlassen sie in der Regel den Müttern. Dennoch werden die jungen Väter im Fortschrittsindex als Motor der Veränderung bezeichnet: „Väter treiben den Wandel mit ihren Wünschen nach reduzierten Arbeitszeiten und einer anderen Aufgabenteilung. Für sie haben Rechtsansprüche und ökonomische Anreizsysteme eine große Bedeutung“, heißt es im Ministeriumsbericht.

So wünschen sich mit 42 Prozent deutlich mehr Väter als Mütter (35 Prozent), dass beide Eltern etwa im gleichen Stundenumfang arbeiten. Und: Neun von zehn der jungen Männer wollen keine „konsequent traditionelle Rollenverteilung“ mehr leben.

Doch Wunsch und Wirklichkeit klaffen oft auseinander: Die Arbeitgeber seien noch stärker gefordert, eine väterfreundliche Unternehmenskultur in den Betrieben zu etablieren, heißt es im Bericht. Fast jeder fünfte Vater hätte gerne Elternzeit genommen, habe aber aus Angst vor Einkommensverlusten, beruflichen Nachteilen oder organisatorischen Problemen im Betrieb darauf verzichtet.

Der Bericht mahnt: „Es ist eine Führungsaufgabe, den Vätern bei Auszeit oder Arbeitszeitreduktion die Sorge über den vermeintlichen Karriereknick zu nehmen.“ Denn fast immer sei die Angst unbegründet: Fast 90 Prozent der Väter, die Elternzeit genommen haben, sagten rückblickend, dass dies keine negativen Auswirkungen für sie hatte.

Großteil der Unternehmer setzt auf Familienfreundlichkeit

Die Zahl der Unternehmen, die Familienfreundlichkeit für wichtig halten, ist deutlich gewachsen: 2003 gaben weniger als die Hälfte der Unternehmen an, dass sie berufstätige Eltern besonders unterstützen wollten – heute sind es schon 77 Prozent. Doch „Familienfreundlichkeit“ ist für viele Betriebe nach wie vor nur „Mütterfreundlichkeit“. Dabei rechnet der „Fortschrittsindex“ vor, dass sich die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Job und Familie, die sich an Mütter und Väter richten, auszahlen: Kostenersparnisse ergäben sich zum Beispiel durch geringere Fehltage und einen schnelleren Wiedereinstieg nach der Elternzeit.

Die Linkspartei will nicht auf freiwillige Veränderungen warten: „Wer Beschäftigte entlasten möchte, muss die Wochenhöchstarbeitszeit gesetzlich reduzieren“, forderte Sabine Zimmermann, Vizefraktionschefin der Linken im Bundestag. „Beschäftigte mit Kindern müssen das Recht bekommen, von Schichtarbeit in Normalarbeit zu wechseln und zurück. Darüber hinaus brauchen junge Eltern einen besonderen Kündigungsschutz.“ Das Familienministerium lasse Eltern mit den Vereinbarkeitskonflikten allein. „So wird als individuelles Problem erlebt, was die Bundesregierung nicht auf die Reihe kriegt“, sagte Zimmermann.

Kritik kommt auch von den Grünen: „Die Familienpolitik der Bundesregierung in den letzten vier Jahren ging an den Bedürfnissen der Familien vorbei“, sagte Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag dieser Redaktion. „Konkrete Schritte für eine familienfreundliche Arbeitswelt wurden verstolpert.“ Dass die große Koalition sich nicht auf ein Rückkehrrecht auf Vollzeit einigen konnte, sei ein weiteres Armutszeugnis.

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