Berlin. Die Bundeswehr will sich modernisieren. Das „Cyber Innovation Hub“ soll dafür mit Startups kooperieren – und bricht mit Prinzipen.

Marcel Yons Büro im Verteidigungsministerium misst nur etwa 17 Quadratmeter, ein paar Laptops stehen dort, Kabel führen durch den Raum, die Mitarbeiter sitzen dicht an dicht – so sieht die Keimzelle des „Cyber Innovation Hub“ im Bendlerblock aus. Das Projekt wirbelt einiges durcheinander, wofür die Bundeswehr steht: Strikte Hierarchien, lange Dienstwege, einen schwerfälligen Verwaltungsapparat.

„Es geht uns im Team und im Umgang mit Startups um Kommunikation auf Augenhöhe. Und Geschwindigkeit. In einer Welt, die immer schneller wird, können lange Entscheidungsketten zur Gefahr werden“, sagt der Fregattenkapitän der Reserve. Er spricht gern im Bundeswehr-Jargon. Wenn Soldaten im Einsatzgebiet sind, sprechen sie vom „Leben in der Lage“. Das drückt aus, dass sie ständig auf neue Situationen reagieren müssen und mit Bordmitteln auskommen müssen. Dieses Prinzip will Yon auf sein Projekt übertragen.

Weltweit ist die Bundeswehr eine der ersten Streitkräfte, die eine eigene Abteilung für die Kooperation mit Startups aufbaut. Im Kern soll das „Cyber Innovation Hub“ zivile Technologien von jungen Unternehmen für das Militär nutzbar machen.

Neues Büro über mehrere Hundert Quadratmeter

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) baut die Bundeswehr um.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) baut die Bundeswehr um. © dpa | Maurizio Gambarini

Dafür investiert die Bundeswehr 12,6 Millionen Euro in ein Team aus 30 Mitarbeitern. Im Sommer ziehen die Mitarbeiter in einen alten Industriebau in der Nähe des Ministeriums, etwa die Hälfte des Teams aus IT-Fachleuten, Netzwerk-Experten und Geisteswissenschaftlern steht bereits. Über zwei Etagen und mehrere Hundert Quadratmeter erstreckt sich das neue Büro, das mit seinen Stahlträgern und großen Metallfenstern an die Lofts Berliner Startups erinnert. Die Laufzeit des Projekts ist zunächst auf drei Jahre befristet. Bis 2020 muss das „Cyber Innovation Hub“ also liefern. Wie soll das aussehen?

„Grundsätzlich stellen wir uns zwei Fragen: Was brauchen unsere Soldaten und was sind die aktuellen großen Trends und Entwicklungen in der Startup-Szene?“, sagt Yon. Er ist in der Technologie-Branche gut vernetzt. Er gründete selbst drei Start-ups und baute sie auf, darunter eine weltweit eingesetzte Software für biometrische Gesichtserkennung, und leitete das Zentrum für Neuroinformatik, ein Aninstitut für Künstliche Intelligenz (KI) der Universität Bochum.

Geschäfte zwischen Staat und Startups selten

Eine Erfahrung sammelte Yon in allen Unternehmen: Fast alle Startups schrecken davor zurück, Geschäfte mit dem Staat zu machen, da die Eintrittshürden und Kosten für die Kundenakquisition zu hoch sind. Besser: Es kommt oft gar nicht erst dazu. Denn bevor eine schwerfällige Behörde neue Technologien von einem Startup kauft, hat dieses längst Umsätze im Ausland, beispielsweise in den USA, oder in der Privatwirtschaft gemacht.

„Die Entscheidungszyklen von Behörden sind zu lang für die Lebenszyklen von Startups, die alle zwei Jahre eine neue Finanzierungsrunde durchlaufen“, sagt Yon. „Wir wollen diese langen Entscheidungszyklen verkürzen. Schließlich geht es bei uns nicht um die Entwicklung von Flugzeugen, sondern um Software.“

Technologie kann in vielen Bereichen helfen

Welche Trends bei Startups derzeit besonders interessant sind? Als ein Beispiel nennt Yon den Bereich der „Künstlichen Intelligenz“, insbesondere den Unterbereich der sogenannten „Computer Vision“, der versucht Computern ein „Sehvermögen“ beizubringen. Diese entwickele sich derzeit besonders schnell.

Die Technologie spielt zum Beispiel bei der Entwicklung von selbstfahrenden Autos eine große Rolle. „Die Anzahl der Kameras wächst ebenfalls exponentiell, was dazu führt, dass es mehr und mehr Bildmaterial gibt, das ausgewertet werden muss“, sagt Yon. Dies könne in zahlreichen Bereichen hilfreich sein: Nicht nur bei der Erkennung von gefährlichen Situationen auf der Straßen, sondern beispielsweise auch bei der Suche nach Flüchtlingsbooten im Mittelmeer oder der Auswertung von medizinischen Bildern. Ganz konkrete Projekte geht das Team aber bislang noch nicht an.

Bewusstsein für Cybersicherheit geschärft

„Aufgrund dieser Entwicklungen halte ich es persönlich für wichtig, dass eine große Organisation wie die Bundeswehr sich mit solchen Technologien und insbesondere auch den KI Entwicklungen aus der Startup Welt befasst und systematisch überlegt, welche Anwendungsgebiete es in der Bundeswehr dafür gibt“, sagt Yon.

Die gesamte Truppe unterliegt derzeit einer grundlegenden Umwälzung. Um für die Digitalisierung gewappnet zu sein, hat Verteidungsministerin Ursula von der Leyen Anfang April das sogenannte Kommando Cyber-und Informationsraum (CIR) aufgestellt. Die Cybereinheit bildet künftig mit dem Heer, der Marine und der Luftwaffe einen der vier Pfeiler der Bundeswehr. Insgesamt 13.500 Soldaten und zivile Mitarbeiter sollen bis zum Jahr 2021 für das CIR arbeiten.

Erwartungshaltung ist hoch

Ihre Aufabe: Die Informatiker-Truppe soll Waffensysteme und Computernetze der Bundeswehr schützen, aber auch zu Angriffen in der Lage sein. Ein kleines Rädchen in diesem großen Apparat ist das „Cyber Innovation Hub“. Die Erwartungshaltung ist nicht zuletzt bei Ursula von der Leyen hoch: „Wir warten nicht, bis sich ein Startup bei uns meldet. Wir suchen disruptive Technologien“, so die Verteidigungsministerin in einer Rede. Und wenn die Bundeswehr fündig werde, solle der Hub diese Technologien möglichst schnell einführen.

Neben Marcel Yon gehören noch zwei andere Mitarbeiter zum Gründerteam vom „Cyber Innovation Hub“: Der ehemalige Hubschrauber-Pilot Nicolas Heyer und der Unternehmer Jan Andresen, beides Startup-Experten. Sie müssen bei ihrem Projekt einige Hürden überwinden.

Zum Beispiel Top-Leute anwerben, die in der freien Wirtschaft ungleich mehr verdienen. Ein Problem? Nein, sagt Yon. „Spätestens seit dem US-Wahlkampf und der möglichen Einflussnahme hat sich bei vielen Menschen das Bewusstsein für Cybersicherheit geschärft.“ Und: „Viele sind davon motiviert, die Truppe zu digitalisieren und ein Quäntchen Startup-Kultur in die Bundeswehr zu tragen.“ Das kleine Büro auf 17 Quadratmetern, die Kabel und Laptops atmen schon mal den Geist eines typischen Startups. Den Beweis, dass dieser auch die Bundeswehr beflügeln kann, will das Team um Yon nun führen.