Berlin. Der frühere Europapolitiker Armin Laschet wird Ministerpräsident im roten Nordrhein-Westfalen – und gewinnt in der CDU an Einfluss.

In der Stunde des größten Triumphs, als Armin Laschet sich am Sonntagabend in Düsseldorf bei den CDU-Anhängern bedankt, steht in der ersten Reihe ein alter Mann und verfolgt den Wahlsieger mit Tränen in den Augen. Es ist sein Vater.

Laschets Familienchronik ist auch die Geschichte eines hochpolitischen Versprechens: Sozialer Aufstieg durch Bildung. Der Vater war Bergmann in der Grube „Anna I“ in Alsdorf, Steinkohle, Aachener Revier. Nachts arbeitet er, tagsüber büffelt er, um Lehrer zu werden. „Mikätzchen“ nennt man in den 60er-Jahre diese Quereinsteiger.

Es sind Babyboomer-Jahre, und weil Lehrer fehlen, legt Kultusminister Paul Mikat (CDU) ein Programm für Seiteneinsteiger auf. Den Aufstieg organisieren, das ist dem 56 Jahre alten Laschet bis heute ein Anliegen – ein sozialdemokratisches Thema. Es ist nicht die schlechteste Erzählung für einen, der sich nun anschickt, Ministerpräsident im roten Nordrhein-Westfalen zu werden.

Ausrichtung der Partei

Der Zufall will es, dass binnen sechs Monaten zwei frühere Europapolitiker nach vorne gerückt sind, die gerade einmal sieben Kilometer voneinander entfernt leben: Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz aus Würselen und Laschet, „ein echter Öcher“, Aachener von Geburt und mit Verve. Karneval, Reitturnier, Dom, Dreiländereck – hier ist Heimat, hier ist Europa.

In Aachen-Burtscheid, wo er geboren wird und mit 28 Jahren schon Ratsherr ist, lebt er noch heute mit seiner Frau Susanne, einer Buchhändlerin, die er beim Kinder- und Jugendchor kennenlernte, mit der er seit 1985 verheiratet ist und drei Kinder hat. Laschet war schon bisher Vizechef der Bundespartei. Nach seinem Wahlerfolg im größten Bundesland rückt er urwüchsig in den Kreis derer auf, die Zukunft und Ausrichtung der Partei bis in eine Zeit nach Angela Merkel prägen könnten.

NRW-Wahl: Laschet jubelt

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    Mit Vertrauten zurückgezogen

    NRW stellt ein Drittel der Delegierten auf Parteitagen und aktuell auch noch die Vorsitzenden der Jungen Union und der Senioren Union, der Mittelständler wie der Sozialpolitiker. Die Nacht ist kurz, in Düsseldorf hatte Laschet sich nach der Wahlparty mit Vertrauten zurückgezogen, vielleicht auf ein, zwei Zigarillos seiner Lieblingsmarke „Buena Vista“. Schon bald lässt sich Laschet heimfahren. Am Flughafen in Berlin trifft er später zufällig auf FDP-Chef Christian Lindner, der seine erste Wahl für Koalitionsverhandlungen sein dürfte.

    Es wäre jedenfalls ein Zeichen, „dass es auch bundesweit geht“, meint CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Laschet selbst hält sich dagegen bedeckt: „Politik ist kein Wunschkonzert.“ Vor dem CDU-Vorstand in der Hauptstadt gilt Laschets erster Dank Karl-Josef Laumann. Beide waren zwischen 2005 und 2010 Kollegen im Kabinett Jürgen Rüttgers und später Rivalen. Sie haben es aber irgendwie immer verstanden, ein Arrangement zu finden.

    Zu Fuß nach Düsseldorf

    Frühere Minister erinnern sich noch heute an ein Abschiedsessen Rüttgers mit seinen Ministern in einem Ausflugslokal am Rhein, Laumann und Laschet gehörten zu den Letzten und gingen am Morgen den kilometerlangen Weg zusammen zu Fuß nach Düsseldorf. Auf dem Marsch werden die Machtverhältnisse geklärt. Manchmal reicht das versöhnliches Naturell nicht aus, dann hilft die Kanzlerin nach.

    Sie holt Laumann 2013 als Patientenbeauftragten nach Berlin. So wird der Posten des Fraktionschefs im Landtag frei und CDU-Chef Laschet Oppositionsführer und Gegenspieler von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Sein Aufstieg ist auch ein Triumph der Hartnäckigkeit. 2010 hatte er beim Rennen um den CDU-Vorsitz den Kürzeren gegen Norbert Röttgen gezogen – und abermals 2012 gegen Laumann als Fraktionschef.

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      Signal der Erneuerung

      Mit Wolfgang Bosbach, den er zuletzt in sein Wahlkampfteam als Law-and-Order-Mann holte, kommt der Jurist und Journalist 1994 in den Bundestag und zählt als junger Abgeordneter gleich zur Pizza-Connection, jener schon legendären von Abgeordneten der CDU und von den Grünen. 1998 verliert der Opernliebhaber den Wahlkreis gegen die Sozialdemokratin Ulla Schmidt, bis heute sein größtes Drama. Laschet geht ins EU-Parlament und ist dort für die Nato und die UNO zuständig.

      „Er war sehr international ausgerichtet“, erinnert sich der CDU-Abgeordnete Pete Liese, sein Büronachbar in Brüsseler Tagen. Liese erzählt es, um das Bild eines Provinzpolitikers zu korrigieren. 2005 sucht Rüttgers einen Mann für das Kabinett und macht Laschet zum Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration. Es ist das erste Integrationsministerium in Deutschland und an sich schon ein Signal der Erneuerung. Außerdem soll Laschet die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorantreiben. Er ist jung und kein Ideologe, für ihn spricht zugegeben auch der regionale Proporz, aber mehr als alles andere seine Offenheit.

      Guter Schachzug

      Der Wahlsieger der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und Vorsitzende der nordrhein-westfälischen CDU, Armin Laschet (CDU).
      Der Wahlsieger der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und Vorsitzende der nordrhein-westfälischen CDU, Armin Laschet (CDU). © dpa | Caroline Seidel

      Rüttgers erkennt: Der hat Potenzial. Und Laschet kniet sich in die Aufgabe rein, schreibt nicht nur für die CDU fortschrittliche Papiere, sondern sucht auch den Kontakt zu den muslimischen Verbänden. Er veröffentlicht ein Buch mit dem Titel „Die Aufsteigerrepublik. Zuwanderung als Chance“. Im Titel stecken seine Herzblutthemen. Bald nennt man ihn in der CDU „Türken-Armin“. Als der Aachener Karnevalsverein 2013 dem Grünen-Chef Cem Özdemir den Orden wider den tierischen Ernst verlieh, kalauert der Laudator, „ich weiß genau, was Cem Özdemir auf Deutsch heißt: Armin Laschet.“

      Der Laudator heißt Martin Schulz, der Sozi weiß genau, wie er Laschet treffen kann. Ein Liberaler, ein Grünen-Versteher, ein Konsens-Politiker – der konservative Teil der CDU fremdelt. Zu wenig Biss. Als guter Schachzug gilt deshalb, dass er den kantigen Bosbach in sein Team holt. Bei Veranstaltungen gibt es regelmäßig den größten Applaus, wenn er über den SPD-Innenminister herzieht: „Frau Kraft hält Herrn Jäger für großartig, wir halten ihn für ein Sicherheitsrisiko.“

      Mangelnder Ordnungssinn

      Sein Ex-Büronachbar Liese meint, Laschet sei tief verwurzelt im katholischen Glauben, „da kann man vieles ableiten“. Gerade auch aus christlicher Überzeugung hat er Merkels Flüchtlingspolitik unterstützt. Selbstredend hält Laschet die rechtspopulistische AfD für einen Katholiken für nicht wählbar, wie er im CDU-Vorstand betont.

      Laschet ist geradezu das Klischee eines Rheinländers, eine Frohnatur, gemütlich, leutselig und dabei gleichzeitig vergleichsweise zurückhaltend. Sein mangelnder Ordnungssinn ist allerdings berüchtigt. Im Juni 2015 kommen ihm Klausuren abhanden, die er als Lehrbeauftragter der Universität Aachen gestellt hatte. Offensichtlich hat Laschet die Noten danach ziemlich freihändig vergeben, auch an Studenten, die die Arbeiten nicht mal mitgeschrieben hatten. Als Ministerpräsident wird er einen richtig guten Staatskanzleichef brauchen. Einen Organisator.