Berlin. Der Wähler bestraft Fehler und politische Schwächen schneller und härter als früher. Das musste auch SPD-Politikerin Kraft lernen.

Für die deutschen Sozialdemokraten ist mit dem Ausgang der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen ein Albtraum wahr geworden. Drei Wahlniederlagen in kurzer Folge – brutaler hätte der Hype um den neuen Parteivorsitzenden Martin Schulz nicht enden können.

Dreimal hat die SPD seit der 100-Prozent-Wahl von Schulz ihr erklärtes Wahlziel verpasst: Im Saarland gab es keine Wende. Schleswig-Holstein blieb nicht rot, sondern ein selbstgefälliger SPD-Ministerpräsident wurde eiskalt abgewählt. Und jetzt das Drama um Hannelore Kraft.

Dünne Bilanz von Hannelore Kraft

Ausgerechnet die sozialdemokratische „Landesmutter“ mit Amtsbonus verliert in der Herzkammer der Sozialdemokratie nach nur einer Amtszeit die Wahl. Was ist da passiert?

Auch wenn viele aus durchsichtigen Gründen jetzt Martin Schulz die Schuld geben, ist es zuallererst Hannelore Kraft, die als Ministerpräsidentin versagt hat. Zu dünn war ihre Bilanz nach sieben Jahren Rot-Grün und zu groß die Lücke zwischen selbstgerechtem Auftritt und den realen Verhältnissen in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland.

Thema Sicherheit war wichtiger als Kraft dachte

Was sich in Umfragen abzeichnete, hat die NRW-SPD mit dem Wahlergebnis jetzt schwarz auf weiß: Die Bürger sind nicht zufrieden mit der rot-grünen Leistungsbilanz und sind die Sprüche leid, mit denen die unterdurchschnittliche Performance schöngeredet wurde. „Kein Kind zurücklassen“ klingt gut. Aber dann müssen Schul- und Betreuungssystem auch wirklich top sein. Sonst lässt der enttäuschte Wähler die Sprücheklopfer zurück.

Am gravierendsten war wohl die Fehleinschätzung Hannelore Krafts, wie sehr das Thema Sicherheit die Wähler tatsächlich bewegt. Die schlimme Silvester-Nacht von Köln und die unfassbare Wurstigkeit der NRW-Sicherheitsbehörden im Fall des Weihnachtsmarkts-Attentäters Anis Amri haben das Vertrauen in die Landesregierung – nicht nur in NRW – nachhaltig gestört. Dass der Innenminister und Kraft-Freund Ralf Jäger trotzdem im Amt bleiben und bis zum Schluss die Fehler bei den anderen suchen durfte, hat sich am Wahltag bitter gerächt.

FDP: So gelang den Liberalen das erstaunliche Comeback

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    Sensationserfolg für die Liberalen

    Und nun zu Martin Schulz: Der SPD-Chef und Kanzlerkandidat kann seit Sonntag endgültig nicht mehr auf eine Schulz-Euphorie bauen. Die Zustimmung zum neuen Vorsitzenden hat sich als trügerisch erwiesen. Schöne Zahlen in Beliebtheitsumfragen sind eben noch keine reale Politik.

    Es muss Schulz und seinem Wahlkampfteam auch zu denken geben, dass ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen die These des ungerechten Deutschlands beim Wähler nicht verfing. Im Gegenteil: Die Liberalen mit ihrem Glauben an die Kraft des Marktes erzielten einen Sensationserfolg.

    Wähler bestraft politische Schwächen

    Wie also soll diese SPD-Wahlkampfstrategie am 24. September in ganz Deutschland funktionieren? 86 Prozent der Deutschen erklärten in einer repräsentativen Umfrage, dass sie mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden sind. Mit dem Rest wird die SPD die Bundestagswahl sicher nicht gewinnen können.

    CDU jubelt, SPD und Grüne am Boden

    Die Söhne von Armin Laschet, Julius und Johannes (v.l.) jubeln, als die ersten Prognosen erscheinen. Die CDU wurde stärkste Kraft in Nordrhein-Westfalen.
    Die Söhne von Armin Laschet, Julius und Johannes (v.l.) jubeln, als die ersten Prognosen erscheinen. Die CDU wurde stärkste Kraft in Nordrhein-Westfalen. © REUTERS | KAI PFAFFENBACH
    Armin Laschet siegte mit 34,4 Prozent laut ersten Hochrechnungen.
    Armin Laschet siegte mit 34,4 Prozent laut ersten Hochrechnungen. © REUTERS | KAI PFAFFENBACH
    Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner (l) gratulierte Laschet. Eine schwarz-gelbe Koalition scheint greifbar. Die Linke könnte den Einzug ins Düsseldorfer Parlament verpassen.
    Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner (l) gratulierte Laschet. Eine schwarz-gelbe Koalition scheint greifbar. Die Linke könnte den Einzug ins Düsseldorfer Parlament verpassen. © dpa | Michael Kappeler
    Armin Laschet (CDU) und Hannelore Kraft (SPD) am Wahlabend. Für die SPD war es ein bitteres Ergebnis.
    Armin Laschet (CDU) und Hannelore Kraft (SPD) am Wahlabend. Für die SPD war es ein bitteres Ergebnis. © dpa | Marius Becker
    Betroffene Gesichter bei der SPD im Willy-Brandt-Haus in Berlin.
    Betroffene Gesichter bei der SPD im Willy-Brandt-Haus in Berlin. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Die SPD fuhr bei der Wahl das schlechteste Ergebnis in der Geschichte Nordrhein-Westfalens ein.
    Die SPD fuhr bei der Wahl das schlechteste Ergebnis in der Geschichte Nordrhein-Westfalens ein. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Für die Grünen war der Wahlabend ein Debakel: Die Partei halbierte ihren Stimmanteil und kam nur noch auf sechs Prozent. Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt (l), und die NRW-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann verfolgten die ersten Prognosen mit starrem Gesicht.
    Für die Grünen war der Wahlabend ein Debakel: Die Partei halbierte ihren Stimmanteil und kam nur noch auf sechs Prozent. Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt (l), und die NRW-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann verfolgten die ersten Prognosen mit starrem Gesicht. © dpa | Ina Fassbender
    „Wir haben einen sehr schweren Abend. Diese Koalition ist abgewählt worden“, sagte Löhrmann am Abends. „Daran haben auch wir Grüne mit unserer Regierungsarbeit einen Anteil.“
    „Wir haben einen sehr schweren Abend. Diese Koalition ist abgewählt worden“, sagte Löhrmann am Abends. „Daran haben auch wir Grüne mit unserer Regierungsarbeit einen Anteil.“ © REUTERS | THILO SCHMUELGEN
    NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) trat am Abend als SPD-Vorsitzende in NRW und stellvertretende Bundesvorsitzende zurück.
    NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) trat am Abend als SPD-Vorsitzende in NRW und stellvertretende Bundesvorsitzende zurück. © dpa | Federico Gambarini
    „Die Entscheidungen, die getroffen worden sind, dafür übernehme ich persönlich die Verantwortung“, sagte Kraft. „Deshalb werde ich mit sofortiger Wirkung von meinem Amt als Landesvorsitzende der SPD und als stellvertretende Bundesvorsitzende zurücktreten, damit die NRW-SPD eine Chance auf einen Neuanfang hat.“
    „Die Entscheidungen, die getroffen worden sind, dafür übernehme ich persönlich die Verantwortung“, sagte Kraft. „Deshalb werde ich mit sofortiger Wirkung von meinem Amt als Landesvorsitzende der SPD und als stellvertretende Bundesvorsitzende zurücktreten, damit die NRW-SPD eine Chance auf einen Neuanfang hat.“ © dpa | Boris Roessler
    Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz bezeichnete die Wahl als „wirklich krachende Niederlage“. Es sei „ein schwerer Tag für die SPD. Es ist ein schwerer Tag auch für mich persönlich“, sagte der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten. „Wir haben eine wichtige Landtagswahl verloren.“ Schulz stammt aus dem nordrhein-westfälischen Würselen.
    Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz bezeichnete die Wahl als „wirklich krachende Niederlage“. Es sei „ein schwerer Tag für die SPD. Es ist ein schwerer Tag auch für mich persönlich“, sagte der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten. „Wir haben eine wichtige Landtagswahl verloren.“ Schulz stammt aus dem nordrhein-westfälischen Würselen. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Am Vormittag war die SPD-Spitzenkandidatin Kraft noch zuversichtlich gewesen. „Wir haben fleißig gearbeitet und die Partei war bis zur letzten Minute unterwegs.“ Am Abend trat sie als SPD-Vorsitzende in NRW und stellvertretende Bundesvorsitzende zurück.
    Am Vormittag war die SPD-Spitzenkandidatin Kraft noch zuversichtlich gewesen. „Wir haben fleißig gearbeitet und die Partei war bis zur letzten Minute unterwegs.“ Am Abend trat sie als SPD-Vorsitzende in NRW und stellvertretende Bundesvorsitzende zurück. © dpa | Kay Nietfeld
    Sie war zusammen mit Mann und Sohn zu Wahl gegangen.
    Sie war zusammen mit Mann und Sohn zu Wahl gegangen. © dpa | Michael Kappeler
    Kraft hatte ihre Stimme in Mülheim an der Ruhr abgegeben.
    Kraft hatte ihre Stimme in Mülheim an der Ruhr abgegeben. © Getty Images | Maja Hitij
    Neben ihrem Mann Udo und Sohn Jan (l) hatte sie das Wahllokal verlassen.
    Neben ihrem Mann Udo und Sohn Jan (l) hatte sie das Wahllokal verlassen. © dpa | Michael Kappeler
    Ähnlich optimistisch war auch Armin Laschet, Spitzenkandidat der CDU, am Vormittag aufgetreten.
    Ähnlich optimistisch war auch Armin Laschet, Spitzenkandidat der CDU, am Vormittag aufgetreten. © REUTERS | THILO SCHMUELGEN
    Er war zusammen mit seiner Susanne in Aachen zur Abstimmung gegangen.
    Er war zusammen mit seiner Susanne in Aachen zur Abstimmung gegangen. © dpa | Oliver Berg
    „Es gibt eine reale Chance auf einen Sieg der CDU“, hatte er gesagt.
    „Es gibt eine reale Chance auf einen Sieg der CDU“, hatte er gesagt. © REUTERS | THILO SCHMUELGEN
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    Bundeskanzlerin Angela Merkel wird bei der ersten Hochrechnung am Sonntagabend vor dem Fernsehschirm eine besonders gute Flasche geöffnet haben. Wer sie kennt, weiß: Noch mehr als die langen Gesichter bei der SPD genießt sie die überschwänglichen Lobeshymnen und Ergebenheitsadressen ihrer schärfsten Kritiker aus der Union.

    Zu siegessicher sollte sie das allerdings nicht stimmen. Bis zum 24. September ist noch eine lange Zeit und spätestens seit Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wissen wir: Der Wähler bestraft Fehler und politische Schwächen schneller und härter als früher. Das muss nicht schlecht sein für die Demokratie.