Steinmeier stellt sich bei Israel-Besuch hinter Gabriel
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Von Christian Kerl
Jerusalem. Bundespräsident Steinmeier will beim Besuch in Israel ein kritischer Freund sein. Er mahnt: „Niemals darf Sprachlosigkeit herrschen“.
Oben auf dem Skopusberg kommt der Bundespräsident für einen Moment ins Schwärmen: „Einen der schönsten Tage“ in seiner Zeit als Außenminister habe er hier erlebt, erinnert sich Frank-Walter Steinmeier beim Besuch der Hebräischen Universität in Jerusalem am Sonntagnachmittag. Vor knapp zwei Jahren verlieh ihm die Hochschule in einer bewegenden Feier den Titel eines Ehrendoktors. Für seine Verdienste um die deutsch-israelischen Beziehungen, als „wahrer Freund Israels“ wurde er zusammen mit Friedensnobelpreisträger Shimon Peres geehrt. Längst vergangene Zeiten.
Jetzt steht der Präsident wieder hier in der Universität, wieder hält er eine Rede – doch diesmal ist alles anders, es ist ein schwieriger Moment selbst für den diplomatisch erfahrenen Bundespräsidenten. In ungewöhnlich klaren Worten übt der deutsche Staatsgast Kritik an der israelischen Regierung wegen des Eklats beim Besuch von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD).
„Sprechverbote helfen nicht beim Verstehen, und sie schaffen kein Verständnis“, mahnt Steinmeier. Und: „Was auch immer geschieht – niemals darf Sprachlosigkeit zwischen Deutschland und Israel einkehren!“
Bundespräsident Steinmeier zeigt klare Haltung
Vor knapp zwei Wochen hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein Treffen mit Gabriel platzen lassen, weil der sich auch mit den Veteranen der Gruppe „Breaking the Silence“ (Das Schweigen brechen) treffen wollte, die den Umgang der israelischen Armee mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten kritisieren. Dem Bundespräsidenten hätte ein ähnlicher Affront gedroht, wenn er bei seinem viertägigen Besuch in Israel mit den Ex-Soldaten zusammengetroffen wäre.
Steinmeier verzichtet ganz auf ein Gespräch mit solchen Gruppen, um die Spannungen nicht weiter zu vertiefen – aber auf eine klare Haltung verzichtet er nicht: Am Sonntagmorgen trifft er sich mit dem Schriftsteller David Grossmann, der wie Steinmeier und die Bundesregierung ein Kritiker der israelischen Siedlungspolitik ist. Am Montag wird unter anderem der Schriftsteller Amon Oz Steinmeiers Gast beim Mittagessen sein, er stärkt in Israel regierungskritischen Organisationen den Rücken. Kritische Stimmen in Israel werden gehört, soll das heißen.
Mahnung an Ministerpräsident Netanjahu
Steinmeier sagt es öffentlich so: Zivilgesellschaftliche Organisationen verdienten den Respekt als Demokraten auch dann, wenn sie einer Regierung kritisch gegenüberstünden. Diese Mahnung bekommt Ministerpräsident Netanjahu auch persönlich während einer einstündigen Begegnung mit Steinmeier zu hören. „Wir haben eine einzigartige Partnerschaft, ein einzigartiges Bündnis“, sagt Netanjahu hinterher.
Aber wer solle denn, das sagt der Gast ihm dem Vernehmen nach, Israel noch unterstützen, wenn die Regierung nicht einmal mit Freunden offen spreche?
Freundschaft bleibt, auch „wenn der Wind rauer wird“
In seiner Rede an der Universität deutet Steinmeier an, auch er hätte das Gespräch jetzt abbrechen können – in Deutschland hätten ihm einige geraten, die Reise abzusagen. Aber, sagt er: „Es entspräche nicht meiner Verantwortung, die Beziehung unserer Staaten tiefer in eine Sackgasse geraten zu lassen“.
Sackgasse? Steinmeier weiß, dass Netanjahu als Chef einer rechts-religiösen Regierung den Eklat aus innenpolitischen Gründen gesucht hat, aber er fürchtet, die Spannungen könnten sich verhärten. Er will die Freundschaft beider Staaten nicht aufs Spiel setzen, einerseits. Die Beziehungen würden immer besondere bleiben, dass dürfe gerade dann nicht vergessen werden, „wenn der Wind etwas rauer wird“.
Die Karriere von Frank-Walter Steinmeier
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Auch Deutschland darf Kritik an Israel üben
Aber der Bundespräsident will andererseits auch klarstellen, dass die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust nicht bedeutet, auf Kritik an aktueller Politik zu verzichten. Wiederholt beharrt Steinmeier in Jerusalem darauf, dass Israel nur in einer Zwei-Staaten-Lösung eine dauerhaft sichere Zukunft habe – was Netanjahu völlig anders sieht.
Es ist ein Balanceakt, der dem erfahrenen Diplomaten Steinmeier aber gut gelingt. Zu Hilfe kommt ihm dabei Staatspräsident Reuven Rivlin. Er lädt Steinmeier und seine Ehefrau Elke Büdenbender gleich nach der Ankunft am Samstagabend zum Gang über den Mahame-Yehuda-Markt in Jerusalem ein, der zur Ausgehmeile für junge Leute geworden ist. Herzlich legt Rivlin seinem Gast den Arm um die Schulter, als er ihn durch die engen Gassen ins Lokal „Bierbazar“ führt. Eine Viertelstunde plauschen sie bei Bier und Snacks, dann drehen sie eine weitere Runde über den Markt. Immer wieder gibt es Beifall für die Präsidenten, Jugendliche berichten ihnen von Besuchen in Deutschland.
Israels Staatspräsident lobt Gabriels Besuch
„Das ist das frische, bunte, lebendige Israel“, freut sich Steinmeier am Tag danach. Rivlin äußert sich nur vage zu den jüngsten Spannungen, lobt aber den Besuch Gabriels vor zehn Tagen. Steinmeier nennt er einen „echten Freund Israels“. So schlecht kann es um die Beziehungen nicht stehen. Steinmeier will seinen Teil beitragen, Zweifel auszuräumen.
Erst legen er und seine Frau Kränze an den Gräbern der israelischen Staatsmänner Yitzhak Rabin und Shimon Peres nieder, dann besuchen sie die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Präsidenten-Gattin Elke Büdenbender ist bei der Zeremonie so bewegt, dass sie immer wieder zum Taschentuch greifen muss. Steinmeier schreibt ins Gästebuch: „Unfassbare Schuld haben wir Deutsche auf uns geladen“.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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