Athen/Berlin. Erdogan wirft Kanzlerin Merkel „Nazi-Methoden“ vor. Sein Verteidigungsminister fragt nach einer deutschen Beteiligung am Putschversuch.
Der Krieg der Worte zwischen Ankara und Berlin jagt von einem Höhepunkt zum nächsten. Vor zwei Wochen hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Deutschland „Nazi-Praktiken“ vorgeworfen. Am Sonntag legte er nach und ging Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich an.
„Du wendest auch gerade Nazi-Methoden an“, sagte Erdogan in Istanbul an Merkel gerichtet. „Bei wem? Bei meinen türkischen Geschwistern in Deutschland, bei meinen Minister-Geschwistern, bei meinen Abgeordneten-Geschwistern, die dorthin reisen“, sagte Erdogan.
Klöckner: Ist Erdogan überhaupt noch bei Sinnen?
Mit Blick auf Europa meinte der Staatschef, dort könnten „Gaskammern und Sammellager“ wieder zum Thema gemacht werden, aber „das trauen sie sich nur nicht“. Offen ließ er, wen er mit „sie“ genau meinte.
Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, wies die erneuten Ausfälle Erdogans scharf zurück. „Präsident Erdogans Attacken werden mit jedem Tag bizarrer“, sagte Weber dieser Redaktion. „Mit dieser aggressiven Politik schadet er seinem eigenen Land am meisten. Der Stolz einer Nation kann nicht durch das Beleidigen anderer verteidigt werden. Europa steht zusammen. Wir werden uns nicht provozieren lassen.“
Auch die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner reagierte entsetzt: „Ist Herr Erdogan überhaupt noch ganz bei Sinnen?“, fragte sie. Sie sprach sich dafür aus, Erdogan politischen Wahlkampf in Deutschland zu verbieten und die EU-Heranführungshilfen in Milliardenhöhe zu streichen. „Und vielleicht braucht Herr Erdogan einfach mal ein Blockseminar in Geschichte, Anstand und Völkerverständigung“, fügte sie hinzu.
Türken in Deutschland könnten Zünglein an der Waage spielen
Auf die Absage von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker reagiert die türkische Regierung seit Wochen mit immer schärferen Ausfällen. Die Türken stimmen am 16. April über die Einführung eines Präsidialsystems ab, das Erdogans Machtbefugnisse stark ausweiten würde. Eine Mehrheit für Erdogan gilt jedoch nicht als sicher. In Deutschland leben rund 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken. Sie könnten bei einem knappen Ergebnis das Zünglein an der Waage spielen.
Reaktionen auf Erdogans Nazi-Vergleich
Die Bundesregierung lehnt bislang zwar ein generelles Auftrittsverbot für türkische Politiker ab. Sie hat aber davor gewarnt, dass türkische Konflikte nicht nach Deutschland getragen werden dürften. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) drohte türkischen Politikern am Wochenende erneut mit einem Auftrittsverbot, sollten sie sich in der Wortwahl vergreifen. Das Saarland, in dem am 26. März gewählt wird, hat als bislang einziges Bundesland Auftritte verboten.
SPD-Kanzlerkandidat Schulz verweist auf Schröders Nein zum Irak-Krieg
Noch vor den neuen Ausfällen Erdogans warnte SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz am Sonntag den türkischen Präsidenten davor, Menschen in Deutschland durch Nazi-Vergleiche gegeneinander aufzuhetzen. „Deshalb muss man auch Herrn Erdogan mit klaren Worten sagen, dass das so nicht geht“, sagte Schulz in seiner Parteitagsrede in Berlin.
Indirekt kritisierte Schulz das Agieren von Merkel. Ein Kanzler könne durchaus in so gewichtigen Fragen eine klare Position einnehmen. So wie Gerhard Schröder es mit seinem Nein zum Irak-Krieg getan habe. „Ein deutscher Bundeskanzler muss diese klare Haltung zeigen, wenn es um die Verteidigung unserer grundlegenden Werte geht.“
Türkei attackiert auch BND
Heftige Angriffe richtete Ankara auch gegen den Bundesnachrichtendienst (BND). Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik wies in scharfer Form die vom deutschen Auslandsgeheimdienst geäußerten Zweifel an den Hintergründen des Putschversuchs in der Türkei vom Juli 2016 zurück. Wenn der BND die Version der türkischen Regierung vom Tisch wische, dass die islamisch-konservative Gülen-Bewegung Drahtzieher des gescheiterten Putsches sei, werfe dies die Frage auf, „ob nicht der deutsche Geheimdienst hinter diesem Putsch steckt“, sagte Isik.
BND-Chef Bruno Kahl hatte Ankara im „Spiegel“ vorgeworfen, keine ausreichenden Beweise für die Vorwürfe gegen die Gülen-Bewegung vorgelegt zu haben: „Die Türkei hat auf den verschiedensten Ebenen versucht, uns davon zu überzeugen. Das ist ihr aber bislang nicht gelungen.“
BND-Chef Bruno Kahl: Putsch war willkommener Vorwand
Zudem drehte Kahl die türkische Argumentation um: Der Putsch sei nicht Auslöser, sondern „willkommener Vorwand“ für Massenentlassungen gewesen, die ohnehin geplant gewesen seien. „Deshalb dachten Teile des Militärs, sie sollten schnell putschen, bevor es auch sie erwischt. Aber es war zu spät“, erklärte Kahl. Erdogan-Sprecher Kalin wertete dies als weiteren Hinweis, dass Deutschland die Gülen-Bewegung „unterstützt“.
Rund 30.000 Kurden demonstrierten am Sonnabend in Frankfurt am Main friedlich gegen die Referendumspläne Erdogans. Einige verlangten Wirtschaftssanktionen der Europäer gegen das Nato-Mitglied Türkei. Bei der Kundgebung wurden auch Bilder des Führers der in Deutschland als Terrorgruppe eingestuften PKK, Abdullah Öcalan, gezeigt. Man habe das Tragen der Fahnen dokumentiert und werde strafrechtliche Schritte einleiten, so eine Polizeisprecherin.