Saarbrücken. Der Anti-Terror-Einsatz von Polizei und Bundeswehr soll Schwachstellen im System aufdecken. Doch es geht auch darum, Stärke zu zeigen.

Die Republik ist im Ausnahmezustand. Von einem Nachrichtendienst bekommt die saarländische Polizei einen Tipp: Ein Sprengstoff-Anschlag von Terroristen auf eine Schule in dem Bundesland steht unmittelbar bevor. Schon am Vortag gab es Anschläge in Bayern und Nordrhein-Westfalen mit Dutzenden Toten, eine Explosion am Flughafen Düsseldorf und am Münchner Hauptbahnhof.

Die Ministerien von Bund und Ländern sind alarmiert, verstreut in Deutschland laufen Durchsuchungen und Festnahmen der Polizei. Es soll auch Geiselnahmen geben. Bei der Polizei im Saarland gründet sich ein Einsatzstab. Auch Offiziere der Bundeswehr sind dabei. Alles muss jetzt schnell gehen. Niemand weiß, wo die Terroristen genau zuschlagen.

Wann die Bundeswehr gefragt wäre

Das Szenario ist ein Extremfall, der so noch nie eingetreten ist. Außer bei den Planern von Polizei und Bundeswehr für ihre erste gemeinsame Anti-Terror-Übung, genannt Getex. Oberst Thomas Dillschneider steht in Uniform in einer Lagerhalle auf dem Gelände des Polizeipräsidiums in Saarbrücken. Neben ihm postieren sich Soldaten und Polizisten, vor ihm stehen Einsatzwagen der Polizei und der Bundeswehr.

Dillschneider erklärt den Reportern das Terror-Szenario. Und er erzählt, wo Soldaten den Polizisten in solch einem Ausnahmezustand helfen können: mit Sprengstoff-Experten und Spürhunden zum Beispiel, bei der Kontrolle von verdächtigen Autos, aber auch mit gepanzerten Fahrzeugen und bei der Sicherung von mehr als 300 Schulgebäuden im ganzen Saarland.

Politik hält Zusammenarbeit für richtig

Dillschneider steht neben Harald Jenal, Einsatzleiter der Polizei im Saarland. Sie demonstrieren Geschlossenheit. Denn darum geht es heute auch: Einheit beweisen, Stärke zeigen. Aus der Lagerhalle im Saarland soll ein Signal ausgehen: Die deutschen Sicherheitskräfte testen die große Terror-Lage. Man wolle bereit sein, wenn der Ernstfall eintritt. Und damit das Symbol noch etwas größer wird, kommt nun auch noch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in die Lagerhalle und informiert bei Dillschneider und Jenal sich über die Übung.

Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU, r.) ist zur ersten gemeinsamen Übung von Polizei und Bundeswehr, der sogenannten „Gemeinsame Terrorismus-Abwehr-Exercise“ (Getex), gekommen.
Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU, r.) ist zur ersten gemeinsamen Übung von Polizei und Bundeswehr, der sogenannten „Gemeinsame Terrorismus-Abwehr-Exercise“ (Getex), gekommen. © dpa | Oliver Dietze

Polizisten und Soldaten sollen sich besser kennenlernen, ihre Meldewege, die Einsatzstrukturen, die Befehlsketten, ihre Stärken, aber auch die Grenzen der Kapazitäten. So begründen Ministerin von der Leyen und die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) den Terror-Test. Beide Politikerinnen halten eine Zusammenarbeit von Polizei und Bundeswehr in Ausnahmesituationen für richtig.

Es gebe besondere Lagen, in denen die Landespolizeien an ihre Grenzen geraten würden – etwa wenn Terroristen zeitgleich an mehreren Orten angreifen. Man könne den Menschen nicht erklären, dass in einer solchen Notlage etwa gepanzerte Fahrzeuge der Bundeswehr in der Kaserne bleiben, obwohl die Polizisten sie im Einsatz benötigten, sagt von der Leyen.

Einsatz wird nur am Schreibtisch getestet

Neben dem Saarland beteiligen sich auch Bayern, Bremen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen an Getex. Nicht alle Bundesländer hielten eine solche Übung für notwendig. Auch das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz sind dabei, neben dem Verteidigungsministerium und Innenministerium leitet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe die Übung für den Bund.

Drei Tage lang trainieren Einsatzleiter und Kommandeure das Terror-Szenario – allerdings nur am Tisch, in der Theorie, denn zum Einsatz rücken weder Spezialkräfte der Polizei noch Soldaten der Bundeswehr aus. Dennoch sind mehrere Hundert Beamte vor allem auf Leitungsebene bundesweit beteiligt.

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    Viele kritische Stimmen

    Eine Übung, die umstritten ist. Denn es geht auch um die Frage, wie weit die Bundeswehr im Landesinneren zum Einsatz kommen darf. Die Opposition lehnt den Einsatz ab. Die Polizei dürfe sich nicht von Hilfe des Militärs abhängig machen, sagt Linken-Politikerin Ulla Jelpke. Auch die Polizeigewerkschaft ist kritisch.

    „Terroristen sind keine Soldaten fremder Streitkräfte, sie sind Schwerverbrecher“, sagt der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek. Eine Zusammenarbeit sei nur sinnvoll, wenn die Polizei technisches Material brauche, über das nur die Bundeswehr verfüge. Aus Sicht des Bundeswehrverbandes sollten solche Einsätze die Ausnahme bleiben.

    Anwaltsverein sieht „überzogenes Signal“

    Den Einsatz der Bundeswehr im Inneren sehen viele kritisch.
    Den Einsatz der Bundeswehr im Inneren sehen viele kritisch. © dpa | Oliver Dietze

    Und auch der Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Ulrich Schellenberg, ist im Gespräch mit dieser Redaktion skeptisch. „Ich halte die Übung von Polizei und Bundeswehr für ein überzogenes Signal an die Bevölkerung“. Das Bundesverfassungsgericht habe für einen Einsatz der Bundeswehr im Landesinneren „klar ein Szenario katastrophischen Ausmaßes vorgegeben“, sagt Schellenberg.

    Ein Terroranschlag wie in Paris im November 2015 oder ein Amoklauf wie in München im vergangenen Sommer sei damit nicht gemeint, hob Schellenberg hervor. „Diese Ausnahmezustände sind Aufgabe der Polizei.“ Und sei diese überfordert mit Terror-Szenarien, müsse man die Polizei besser ausrüsten.

    Rechtliche Grauzone bei Amoklauf in München betreten

    Artikel 35 im Grundgesetz regelt die Amtshilfe der Bundeswehr für die Polizei – bisher galt das nur bei Umweltkatastrophen oder großen Zugunglücken. Doch angesichts der Anschläge wie in Paris oder Brüssel fordern die Verteidigungsministerin und mehrere Innenminister den Einsatz von Soldaten auch bei „terroristischen Großlagen“. Als im Sommer der junge David Sonboly in einem Münchner Einkaufszentrum Amok lief und mehrere Menschen erschoss, war die Lage über Stunden unübersichtlich. Von der Leyen mobilisierte vorsorglich Feldjäger und Sanitäter – und betrat eine rechtliche Grauzone.

    In der Übung entscheiden nun die Bundesländer selbst, ob und welche Hilfe sie von der Bundeswehr in ihrer jeweiligen Terror-Lage beantragen. Juristen der Innenministerien prüfen, ob die Anträge verfassungskonform sind, etwa wenn Soldaten Schulen absichern oder Fahrzeuge kontrollieren sollen. Die Hoheit über den Einsatz bleibt bei der Polizei, das hebt die Bundesregierung hervor. Panzer rollen bei der Getex-Übung nicht über deutsche Straßen. „Sie sehen, die Soldaten tragen keine Waffen“, hebt Oberst Dillschneider bei einer kurzen Vorführung vor der Halle in Saarbrücken hervor. Bewaffnet sind an diesem Tag nur die Spezialkräfte der saarländischen Polizei.

    „Rechtlich immer eine Gratwanderung“

    Der Sicherheits- und Terrorismusexperte Florian Peil hält das ausgedachte Szenario, bei dem Terroristen zeitgleich an sechs oder sieben Orten angreifen, für sehr unwahrscheinlich. Dennoch nennt Peil die Übung sinnvoll, um Schwachstellen im Einsatz von Bundeswehr und Polizei zu erkennen und auch Vertrautheit mit diesen Situationen zu gewinnen. „Dennoch bleibt der Einsatz der Bundeswehr nicht nur rechtlich immer eine Gratwanderung. Auch ist fraglich, ob Befehlsketten zwischen Polizei und Bundeswehr im Ernstfall reibungslos funktionieren“, sagt Peil dieser Redaktion.

    Auch Verteidigungsministerin von der Leyen hebt hervor, dass es „noch viel zu lernen“ gebe. „Gut, dass es diese Übung gibt“, sagt sie. Dann geht sie vor die Halle, wo die Polizeiwagen und die gepanzerten Militärfahrzeuge stehen, und schüttelt den aufmarschierten Vorzeige-Spezialkräften die Hand. Erst den Polizisten, dann den Soldaten.