Brüssel. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist alarmiert. Das Militärbündnis ist im Visier von Hackern. Das könnt den Bündnisfall auslösen.

Im militärischen Nato-Hauptquartier (Shape) im Städtchen Mons, 70 Kilometer von Brüssel entfernt, arbeitet das Nato Cyber Incidents Response Centre. 200 Experten, Militärs wie Zivilisten, registrieren täglich 500 Millionen verdächtige Vorgänge im Zugriffsbereich der Rechner und Datenspeicher der Allianz. Diese stehen in der Nato-Zentrale in Brüssel, aber auch an Einsatzorten wie Afghanistan, Kosovo oder den neuen Mini-Basen in Osteuropa. Die meisten auffälligen Kommunikationen können automatisch erledigt werden.

Doch pro Monat gibt es im Schnitt 500 Eingreiffälle – Attacken, die durch aktive Gegenmaßnahmen unschädlich gemacht werden müssen. Das können E-Mails unter falscher Flagge sein, Viren, Versuche von Erpressung oder Datenklau. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht von „bedrohlichen Cyber-Angriffen auf Einrichtungen der Nato, die ein intensives Eingreifen vonseiten unserer Experten erforderlich machten“. Das sei ein Anstieg von 60 Prozent gegenüber dem Jahr 2015, sagte der Norweger der Tageszeitung „Die Welt“. „Ich bin äußerst besorgt über diese Entwicklung.“

Manipulation der US-Präsidentenwahl

Das umso mehr, als die 28 Nationen ihrerseits Ziel von Cyber-Attacken werden. Dabei können, wie erstmals beim mehrwöchigen Angriff auf Estland 2007, sowohl wichtige Elemente der Infrastruktur gelähmt wie auch Einrichtungen des Staats und der Politik ausgeschaltet werden. Der jüngste spektakuläre Fall war im Herbst die Manipulation der US-Präsidentenwahl mit Hacker-Methoden. Immer wieder wird Russland als Ausgangspunkt und Auftraggeber vermutet.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnt vor Attacken aus dem Internet.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnt vor Attacken aus dem Internet. © REUTERS | REUTERS / FRANCOIS LENOIR

Stoltenberg mag sich dazu nicht äußern und spricht diplomatisch von „staatlichen Institutionen anderer Länder“. Deutlicher wollen auch andere Nato-Offizielle nicht werden. „Von uns werden Sie das Wort ‚Russland‘ nicht hören“, heißt es vielsagend. Verstärkte Abwehrvorkehrungen sind aus Sicht des Generalsekretärs indes allemal vonnöten. Dabei hat die Nato erst vor einem halben Jahr auf ihrem Gipfel in Warschau das Thema auf der gemeinsamen Agenda nach oben gerückt.

Cyber-Option senkt Schwelle zum Krieg

Seither gilt Cyber als eigene „Domäne“, parallel zu den Bedrohungsebenen Land, See, Luft. Die Alliierten verpflichteten sich, mehr in die verstärkte Internetverteidigung zu stecken, die Fortschritte werden wie die herkömmlichen Streitkräfte der regelmäßigen Begutachtung unterzogen. Außerdem hält das Bündnis gemeinsame Cyber-Manöver ab. Experten-Teams stehen bereit, um auf Anforderung eines Nato-Landes im Falle des Falles zu helfen, was allerdings bislang noch nicht in Anspruch genommen wurde.

Das Beunruhigende ist, dass die Cyber-Option die Schwelle zum Krieg senkt. Die Abgrenzung zu Spionage und Sabotage wird unscharf. Die eindeutige Linie zwischen „kaltem“ und heißem, also offen ausbrechendem Krieg ist verwischt. Die Aggression kommt nicht mehr in Form einer Panzerarmee, die über eine Grenze rollt, oder als feindliche Rakete, die vom Himmel fällt. Sondern inoffiziell, schleichend, in Verkleidung.

Cyber-Attacken können Bündnisfall auslösen

Schon auf ihrem Gipfel in Wales 2014 stellte die Nato daher fest: Die Attacke aus dem Internet kann genauso gravierend sein wie die klassische Aggression mit militärischen Mitteln. Und Stoltenberg bekräftigt: Cyber-Angriffe können den Bündnisfall auslösen, also die Pflicht zum kollektiven Beistand. Exakte Kriterien dafür gibt es freilich nicht. Das hänge von der politischen Beurteilung im Einzelfall ab, heißt es. Bislang haben die Netzkrieger der Nato nur Nadelstiche beibringen können: Die Webseite der Allianz oder jene des Buchladens im Brüsseler Hauptquartier waren vorübergehend nicht erreichbar.