Berlin. Im Sommer kündigte die Politik schärfere Gesetze gegen Gaffer an. Einen Entwurf gibt es bereits. Wann das Parlament berät, ist unklar.

Ein schlimmer Unfall, schwer verletzte Menschen, vielleicht sogar Tote. Und ganz nah dran: Dutzende Schaulustige, manchmal Hunderte, die ihr Smartphone zücken, statt zu helfen. Die Fotos und Videos aufnehmen und den Weg versperren, statt den Einsatzkräften den Zugang zu den Opfern zu ermöglichen. Immer wieder sorgen solche Fälle für traurige Schlagzeilen, Betroffenheit und Empörung.

So wie in einem der jüngsten Fälle, der die Polizei Aalen erzürnte: „Schämt ihr euch nicht?“, fragte sie in einem aufrüttelnden Facebook-Post. Gemeint waren die Gaffer, die am vergangenen Sonntag bei einem Autounfall mit zwei Toten und einem Schwerverletzten pietätlos mit den Smartphones Fotos und Videos machten.

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Seit fünfeinhalb Monaten herrscht Stille um Gesetzentwurf

Im Sommer 2016 riefen ähnliche Fälle sogar die Politik auf den Plan. Von härteren Gesetzen war die Rede. Geldstrafen und bis zu einem Jahr Haft sieht ein Gesetzentwurf vor, den der Bundesrat im Juni verabschiedete und im August der Bundesregierung zur Beratung überstellte. Der Titel: „Effektive Bekämpfung von sogenannten Gaffern sowie Verbesserung des Schutzes des Persönlichkeitsrechts von Verstorbenen“.

Doch was ist daraus geworden? Fünfeinhalb Monate sind seither vergangen und bislang blieb es still um die geplante Verschärfung.

Zwei Lücken sollen mit den Änderungen geschlossen werden – so sieht es der Bundesrat vor. Zum einen wird die Behinderung von Rettungsarbeiten nach Paragraf 113 des Strafgesetzbuches (StGB) bislang nicht explizit unter Strafe gestellt, wenn dabei keine Gewalt zum Einsatz kommt. Das soll sich künftig ändern.

Neuer Paragraf soll Schutzbereich erweitern

Zum anderen soll der strafrechtliche „Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegen die Herstellung und Verbreitung bloßstellender Bildaufnahmen von verstorbenen Personen“ verbessert werden, wie es in dem Entwurf heißt. Denn bislang sind lediglich lebende Personen geschützt. Ein neuer Paragraf 115 StGB soll laut Gesetzentwurf eingeführt werden und den Kreis der geschützten Personen auch auf Verstorbene erweitern.

Wann der Bundestag über die Gesetzesverschärfung berät, ist derzeit noch nicht ganz klar. An der CDU/CSU-Fraktion liege es nicht, dass sich das Verfahren so lange hinziehe, hieß es aus der Arbeitsgemeinschaft für Recht und Verbraucherschutz bei der rechtspolitischen Sprecherin der Unions-Parteien im Bundestag auf Anfrage unserer Redaktion.

Heiko Maas legt Referentenentwurf vor

Vorschläge für einen Termin, zu dem ein Entwurf im Parlament eingebracht werden könnte, seien bislang von der SPD unbeantwortet geblieben, wirft die Unions-Fraktion dem Koalitionspartner vor. Für das Gaffer-Gesetz sei im Kabinett bislang lediglich die Stellungnahme der Bundesregierung beschlossen worden. Die Unions-Fraktion habe von der SPD die erste Lesung des Bundesrats-Gesetzentwurfs für Januar gefordert, bisher dazu aber keine Rückmeldung erhalten.

Dem widerspricht die SPD-Fraktion. Die Partei sehe durchaus Handlungsbedarf und wolle Gesetzeslücken schließen. „Ich halte es für realistisch, dass das Verfahren noch vor der Sommerpause zum Abschluss kommt“, sagt etwa der rechtspolitische Sprecher der SPD, Johannes Fechner, unser Redaktion auf Anfrage. Bereits im Dezember habe Justizminister Heiko Maas (SPD) einen entsprechenden Referentenentwurf vorgelegt.

Maas’ Entwurf weicht erheblich von Bundesratsentwurf ab

Allerdings: Maas’ Referentenentwurf mit dem Titel „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ weicht vom Gesetzentwurf des Bundesrats erheblich ab – offenbar so stark, dass die Unions-Fraktion nicht anerkennen möchte, dass es sich um den gleichen Themenkomplex handeln soll. Maas’ Entwurf, der voraussichtlich im Februar in die Lesung kommen soll, habe überhaupt nichts mehr mit dem geplanten Gaffer-Gesetz zu tun, so der Unions-Vorwurf an den Koalitionspartner.

Der Referentenentwurf von Maas sieht unter anderem vor, den „tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ als „selbstständigen Strafbestand mit verschärftem Strafrahmen (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren Haft)“ in einem neuen Paragrafen auszugestalten, wie es auf der Website des Bundesjustizministerium heißt. Änderungen kämen auch Hilfskräften der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und der Rettungsdienste zugute.

Bundesrat setzt niedrigere Hürden für Strafbarkeit

Nicht enthalten, das bestätigt Fechner von der SPD auf Rückfrage, sei der Punkt, der auch das Fotografieren von Verstorbenen unter Strafe stellen soll. „Das wollen wir gemeinsam diskutieren“, sagt er. Die SPD sei aber offen, den Entwurf um diesen Aspekt zu ergänzen. Die Unions-Fraktion hat die Möglichkeit, nach der ersten Lesung Änderungsvorschläge einzubringen.

Der Kernpunkt sei dem rechtspolitischen Sprecher der SPD zufolge, die Behinderung von Rettungskräften zu diskutieren. Doch auch in diesem Punkt driften die beiden Entwürfe stark auseinander. Während im Vorschlag des Bundesrats bereits die Behinderung von Rettungskräften durch Gaffer ein Strafbestand wäre, soll die Strafbarkeit nach Maas’ Entwurf erst auftreten, wenn Behinderungen von Einsatzkräften mit Gewalt verbunden seien. „Der Bundesrat stellt damit eine niedrigere Hürde für die Strafbarkeit“, erklärt Fechner. Der Punkt müsse intensiv diskutiert werden. „Wir wollen auch abwarten, was die Experten dazu sagen.“

Polizeihunde gegen Gaffer

Initiiert wurde die geplante Gesetzesänderung von den Ländern Niedersachsen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. Der Gesetzesinitiative waren mehrere Fälle, in denen Gaffer deutschlandweit für mediale Aufmerksamkeit sorgten, vorausgegangen. So behinderten etwa im April 2016 Hunderte Schaulustige die Rettungsarbeiten, nachdem ein zehnjähriges Mädchen im nordrhein-westfälischen Hagen von einem Auto erfasst und schwer verletzt wurde.

Nur wenige Wochen später kam es erneut zu einem Zwischenfall mit Gaffern in Hagen. 150 Schaulustige sammelten sich am Unfallort nach einer Trunkenheitsfahrt, behinderten die Einsatzkräfte und konnten erst durch den Einsatz eines Polizeihundes auf Distanz gehalten werden.

Gaffern könnte künftig Haftstrafe drohen

Auch damals sprach die Polizei Gaffer direkt in den sozialen Medien an, dem Kanal, auf dem im Zweifelsfall später Aufnahmen der Unfälle landen und die Persönlichkeitsrechte der Opfer verletzt werden. Wie die Polizei Aalen in dieser Woche appellierte auch damals die Polizei Hagen an Vernunft und Anstand der Menschen.

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„Einfach Smartphone stecken lassen und weitergehen“, lautete ihre Bitte. „Gaffen geht echt gar nicht“, hieß es in dem Post. Das Gaffen sei „sehr schnell eine Straftat und darüber hinaus moralisch aufs Schärfste zu verurteilen“. Vielleicht ist das Gaffen sogar bald eine Straftat, die mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden könnte.